Die Berücksichtigung von Wettbewerbsverstößen in Form von Kartellen wird vergaberechtlich zumeist im Rahmen der Eignungsprüfung (Ausschluss wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen) diskutiert. Relativ stiefmütterlich wird die Frage behandelt, wie der öffentliche Auftraggeber damit umgeht, wenn er nach der Beschaffungsentscheidung erfährt, dass sein Vertragspartner an einem Kartell beteiligt war.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Das Landgericht Stuttgart hat jüngst in einem Urteil (19.07.2018, Az. 30 O 33 / 17) zu der Frage des Schadensersatzes in einer entsprechenden Fallgestaltung Stellung genommen. Die dabei angewendeten Grundsätze lassen sich auch auf ähnliche Konstellationen anwenden.

I. Zum Sachverhalt

Eine Gemeinde beschafft im Jahr 2002 ein Feuerwehrfahrgestell bei einem namhaften LKW-Hersteller. Von der Vergabestelle werden im Rahmen der Beschaffung zusätzliche Vertragsbedingungen (ZVB) eingebracht, deren Ziffer 7 lautet:

„Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, hat er 15 v. H. der Auftragssumme an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird.“

Der LKW-Hersteller beteiligte sich im Zeitraum zwischen 1997 und 2011 mit anderen europäischen Herstellern von Lastkraftwagen an kartellrechtswidrigen Absprachen und verstieß damit auch gegen EU-Recht. Der Kartellverstoß wurde von der EU-Kommission festgestellt (Kommissionsentscheidung vom 19.07.2016 in Sachen AT 39824-Trucks).

Aufgrund dessen beziffert die Gemeinde den Schaden auf 15% des Kaufpreises, somit 6.761,32 EUR und machte diesen Betrag letztlich gerichtlich geltend.

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II. Zur Entscheidung

Zu Recht: Das Landgericht Nürnberg entschied, dass der Gemeinde dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aufgrund des streitgegenständlichen LKW-Beschaffungsvorgangs zusteht.

1. Die Anspruchsgrundlage

Anspruchsgrundlage sei nicht Ziffer 7 ZVB. Hierbei handele es sich um eine Regelung zur Schadenspauschalierung, die lediglich die Höhe eines etwaigen Anspruchs betreffe.

Anspruchsgrundlage sei § 33 GWB i.V.m. § 1 GWB. Danach ist derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen verstößt, die den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet. Bei dem Kartellverbot nach § 1 GWB handelt es sich um ein Schutzgesetz, das den Schutz der Marktgegenseite bezweckt.

Der Kartellverstoß steht aufgrund der Bindungswirkung der Feststellungen der EU-Kommission fest. Gemäß § 33 Abs. 4 GWB erfasst die Bindungswirkung nicht nur den Tenor, sondern auch die tragenden Gründe der Entscheidung und erstreckt sich auf die Feststellung des Kartellrechtsverstoßes in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.

Deshalb sei u.a. von Folgendem auszugehen:

Es gab rechtswidrige und fortdauernde Absprachen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für bestimmte Lkw sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien für schwere LKW nach den Abgasnormen Euro 3 bis Euro 6. Hierzu wurden Daten, Preislisten etc. ausgetauscht und regelmäßige Treffen abgehalten, bei denen Bruttopreiserhöhungen besprochen und in einigen Fällen auch vereinbart wurden. Sämtliche Kartellanten beteiligten sich an Gesprächen, die Einführung des Euro zur Reduzierung von Rabatten zu nutzen. Daneben wurden technische Themen und Lieferfristen besprochen. Die Kartellanten tauschten wirtschaftlich sensible Informationen wie zum Beispiel Auftragseingänge, Bestände und weitere technische Informationen per E-Mail und Telefon aus.

Die kollusiven Praktiken verfolgten ein einziges wirtschaftliches Ziel, nämlich die Verfälschung der Preisgestaltung und der übrigen Preisbewegungen für LKW im Europäischen Wirtschaftsraum.

Dabei ließ es das Gericht dahinstehen, ob es sich dabei nach wissenschaftlicher Analyse bzw. Kartelltheorie zuletzt um ein Rabatt-, Konditionen-, Angebots- und Kalkulations-(schema-)kartell oder um ein Preiskartell oder eine (weitere) Mischform der genannten Kartelle oder dergleichen handele. Letztlich müsse dies nicht entschieden werden, da es für die Frage des Schadensersatzes auf das bloße Vorliegen eines Kartellverstoßes ankomme.

2. Vermutung der Kartellbetroffenheit der Beschaffung

Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beschaffung des Feuerwehrfahrgestells von der kartellrechtswidrigen Absprache bzw. Verhaltensweise betroffen ist. Hierfür trage die Darlegungs- und Beweislast die Gemeinde.

Im allerschönsten Juristendeutsch führte das Landgericht aus:

„Für die Kartellbetroffenheit des konkreten Beschaffungsvorgangs streitet ein Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins bei typischen Geschehensabläufen anwendbar, das heißt in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Dabei bedeutet Typizität nicht, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist.“

Der nicht erschütterte Anschein der Kartellbetroffenheit ergebe sich hinsichtlich des in Frage stehenden Beschaffungsvorgangs dadurch, dass dieser sich in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht in die von der EU-Kommission festgestellte Kartellabsprache einfüge. Es sei nicht erforderlich, dass die einzelnen Beschaffungsvorgänge Teil der Absprachen sind.

3. Vorliegen des Schadens

Die Schadensersatzpflicht des § 33 Satz 1 GWB setze voraus, dass bei der Klägerin zumindest mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden in irgendeiner Höhe eingetreten ist.

Für die Frage, ob und in welcher Höhe durch einen Kartellrechtsverstoß ein Schaden entstanden sei, gelte das Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO („Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“).

Für die allgemein preissteigernde Wirkung des (vorliegenden) Kartells gelte ein Anscheinsbeweis. Auch diese Formulierung wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten: „Wie dargelegt, sind Grundlage des Anscheinsbeweises besonders zuverlässige Sätze der Lebenserfahrung, nach denen aus bestimmten Ursachen in aller Regel bestimmte Wirkungen hervorgehen und umgekehrt bestimmte Wirkungen auf bestimmte Ursachen rückschließen lassen. Dabei müssen die Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein, dass sich aus ihnen der Rückschluss auf die zu beweisende Behauptung aufdrängt, wobei Typizität nicht bedeutet, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist.“

Ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass sich ein Kartell preissteigernd auswirkt bzw. dass eine wettbewerbswidrige Absprache zu einer Schädigung bei den Abnehmern der Kartellanten führt, sei nicht nur bei sog. Quotenkartellen, sondern auch bei sog. Stammkundenmodellen anerkannt.

Dabei entspreche es einem allgemeinen wirtschaftlichen Erfahrungssatz, dass die Gründung eines Kartells grundsätzlich der Steigerung des Gewinns der am Kartell beteiligten Unternehmen diene. Deshalb spreche eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Kartell gebildet und erhalten werde, weil es höhere am Markt erzielbare Preise erbringe. Damit sei es zugleich wahrscheinlich, dass bei den Abnehmern der Kartellanten hierdurch ein Schaden verursacht werde. Unternehmen bildeten derartige Kartelle, um keine Preissenkung vornehmen und damit auch keine Gewinnschmälerung hinnehmen zu müssen. Nach ökonomischen Grundsätzen werde bei Kartellen regelmäßig eine Kartellrendite entstehen. Deshalb spreche – wie der BGH bereits im Hinblick auf Submissionsabsprachen ausgeführt habe – eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Kartell gebildet und erhalten wird, weil es höhere als am Markt sonst erzielbare Preise erbringt.

Mit Blick auf das konkrete Kartell führte das Landgericht aus, dass zeitliche Dauer, räumliche Ausdehnung und organisatorischer Aufwand nur erklärlich seien, wenn den LKW-Herstellern durch den Informationsaustausch ein finanzieller Vorteil entstanden sei. Durch das Kartell seien Preissetzungsspielräume eröffnet worden, die sie genutzt hätten. Andernfalls seien der mit den Zuwiderhandlungen einhergehende (Kosten-)Aufwand und das damit verbundene Risiko, insbesondere eines Bußgeldes wegen wettbewerbswidrigen Handelns, unnötig gewesen.

Hinsichtlich der Höhe des Schadens könne sich die Klägerin im Ausgangspunkt auf Ziffer 7 ZVB berufen. Hierbei handele es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S. der §§ 305 ff. BGB, die wirksam in den Kaufvertrag einbezogen wurden.

Die Klausel sei auch nicht nach dem Maßstab des § 309 Nr. 5a BGB unzulässig, weil der in der streitgegenständlichen Klausel vorgesehene pauschalierte Schadensersatzanspruch nicht den in den geregelten Fällen nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schaden übersteige.

Dabei sei auf den branchentypischen Durchschnittsschaden abzustellen. Eine als Vergleichsmaßstab heranzuziehende, ex ante bestimmbare typische Schadenshöhe existiere bei wettbewerbsbeschränkenden Absprachen nicht; aufgrund der Vielfalt der ein Kartell beeinflussenden Faktoren gebe es vielmehr keine typische Kartellschadenshöhe. Insgesamt könne aber von einem durchschnittlichen Preisaufschlag bei Kartellen von rund 20 % ausgegangen werden. Zusammen mit der gebotenen Beachtung einer Präventionsfunktion des Schadenersatzes sei deshalb eine Schadenspauschale in Höhe von 15 % der Auftragssumme als angemessen zu bewerten.

Weil die Klägerin auch Zinsen geltend machen könne, deren Höhe dem Betragsverfahren vorbehalten bleiben müsse, konnte in diesem Verfahren nur ausgeurteilt werden, dass ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bestehe.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Die vorstehend lediglich in den Grundzügen vorgestellte Entscheidung läßt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Kartelle werden gebildet, um rechtswidrig wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Dies kostet den Auftraggeber, der Leistungen von Kartellanten bezieht, Geld und führt auf Seiten des Auftraggebers zu einem Schaden.

Die im Kern sehr lebensnahe Anwendung der Anscheinsvermutung bei dem Vorliegen des Schadens ist ein scharfes Schwert bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen. Neben dem Ausschluss von Unternehmen vom Vergabeverfahren gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB (Anhaltspunkte für wettbewerbsbeschränkende Absprachen) ist die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen ein wichtiges Signal und Mittel, den Markt „sauber“ zu halten.

Die Möglichkeit, in den zusätzlichen Vertragsbedingungen des Auftraggebers den Schadensersatz bei Kartellverstößen zu pauschalieren ist – wie die vorstehende Entscheidung zeigt – ein probates Mittel, einem Anspruch zur Durchsetzbarkeit zu verhelfen bzw. ihn der Höhe nach unstreitig zu stellen.

Allgemein kann daher nur empfohlen werden, die besonderen oder ergänzenden Vertragsbedingungen um einen entsprechenden Passus zu ergänzen. Bei einer Pauschalierung über 20% ist allerdings nicht nur nach den Ausführungen des Landgerichts Vorsicht geboten.

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