Häufig finden sich in den Vergabeunterlagen Formulierungen, wonach sämtliche Kommunikation mit der Vergabestelle über die von der Vergabestelle vorgegebene Vergabeplattform erfolgen muss. Dass diese Vorgabe nicht für die Rüge gilt, hat die VK Sachsen jüngst entschieden (Beschluss vom 27.02.2020, 1 / SVK / 041 – 19) und ist dabei auch auf das Vertreten-Müssen eingegangen, wenn die elektronische Angebotsabgabe scheitert.

Die zum Teil sehr technischen und ausführlichen Erörterungen des Beschlusses werden nachfolgend nur grundsätzlich wiedergegeben. Den an technischen Details Interessierten kann die Lektüre des Beschlusses empfohlen werden.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb die Erbringung von Rettungsdienstleistungen im offenen Verfahren aus. Sämtliche Kommunikation sollte laut Vergabeunterlagen über das sog. Bietercockpit erfolgen, was explizit auch für Rügen gelten sollte. Ein Bieter beteiligte sich an dem Vergabeverfahren. Am Tag vor der Angebotsabgabe (Fristende am Folgetag um 10 Uhr) versuchte er, sein Angebot im Bietercockpit beginnend ab 16 Uhr hochzuladen. Als der Ladevorgang seiner Aussage nach gegen 22 Uhr immer noch lief, ging er nach Hause. Der Vorgang wurde systemseitig abgebrochen.

Am nächsten Tag versuchte er das Angebot erneut zu übermitteln, was ihm nach Angebotsfrist über eine andere Internetverbindung auch gelang. Letztlich wurde das Angebot ausgeschlossen, was der Bieter per E-Mail und per Fax rügte.

Nach Zurückweisung der Rüge stellte er einen Nachprüfungsantrag, wobei er sich insbesondere gegen den Ausschluss seines Angebotes wandte.

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Die Entscheidung zur Rüge

Im Rahmen der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags hat die Vergabekammer zunächst geprüft, ob die vermeintlichen Vergabefehler formwirksam gerügt wurden.

Dies war u.a. fraglich, da der Bieter sich per Telefax und zudem per E-Mail an die Vergabestelle gewandt hatte. In den Vergabeunterlagen war aber als einzig zulässiger Informationskanal eine elektronische Übermittlung über das Bietercockpit zugelassen.

Nur im Falle einer nicht nur erkennbar vorübergehenden Störung der Erreichbarkeit der Kommunikationsplattform durften Hinweise auf die Störung an eine vorgegebene E-Mail-Adresse gerichtet werden.

Nach Auffassung der Vergabekammer war das Rügeschreiben formgerecht einzuordnen, wenngleich es dem Auftraggeber ausschließlich per Telefax und E-Mail und nicht über das Bietercockpit zugeleitet wurde. Hierfür standen nach Überzeugung der Vergabekammer im Wesentlichen vier Argumente.

  • Zum einen sei zunächst darauf zu verweisen, dass die Rüge nach § 160 Abs. 3 GWB vorrangig einen verfahrensrechtlichen Charakter habe. Sie sei eine zwingende Sachentscheidungs- oder Zugangsvoraussetzung für ein hierauf gestütztes Nachprüfungsverfahren.
  • Weiter sei nach Auffassung der Vergabekammer deutlich zu betonen, dass § 160 Abs. 3 GWB keine Formvorschriften enthalte, sodass eine Rüge nach einheitlicher Rechtsauffassung formlos, insbesondere auch mündlich, angebracht werden könne.
  • Sodann erscheine schließlich auch fraglich, ob die Rüge überhaupt unter den Anwendungsbereich der §§ 10 bis 13 VgV falle. Hiergegen könne sprechen, dass § 9 VgV der Umsetzung des Art. 22 Abs. 1 UAbs.1 und Abs. 2 der Vergaberichtlinie RL 2014/24/EU in nationales Recht diene. Die Vergaberichtlinie regele aber ausschließlich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge und in diesem Zusammenhang die gesamte Kommunikation und den gesamten Informationsaustausch. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein Vergabenachprüfungsverfahren und damit auch der Rüge regele hingegen die Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG. Insoweit spreche vieles dafür, dass auf § 160 GWB (als die auf der Rechtsmittelrichtlinie basierende, speziellere Norm) die §§ 10 bis 13 VgV keine Anwendung fänden. Auch ein Hinweis in den Vergabeunterlagen, dass Rügen über das Bietercockpit einzureichen seien, ändere daran nichts. Denn eine solche Regelung stellt nach Auffassung der Vergabekammer eine unzulässige Verschärfung der materiellen und prozessualen Zugangsvoraussetzungen zum Nachprüfungsverfahren dar, die geeignet sei, Bieter unangemessen zu benachteiligen.
  • Als letztes und sicherlich schwächstes Argument sei anzuführen, dass eine Pflicht, Rügen ausschließlich über ein Bietercockpit anzumelden, die Möglichkeit der Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten und deren kurzfristiges Agieren vor einer Zuschlagserteilung vereiteln würde, da diese erfahrungsgemäß keinen eigenen Zugang zum jeweiligen Bietercockpit haben.

Im Ergebnis hat die Vergabekammer die per Telefax und per E-Mail eingereichte Rüge als vergaberechtskonform angesehen.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Ausschluss ist rechtmäßig

Die Vergabekammer sah den Angebotsausschluss gem. § 57 Abs.1 Nr. 1 VgV wegen des nicht fristgerechten Einganges auf der vorgesehen Angebotsplattform als rechtmäßig an.

Gemäß § 57 Abs.1 Nr. 1 VgV werden Angebote von Unternehmen, die nicht form- oder fristgerecht eingegangen sind, von der Wertung ausgeschlossen, es sei denn, der Bieter hat dies nicht zu vertreten. Dabei trage der Bieter die Beweislast für das Nicht-Vertreten-Müssen.

Träten technische Schwierigkeiten beim Betrieb der verwendeten elektronischen Mittel auf, so seien die Folgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen seien. Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite dürften nicht zu Lasten der Anbieterseite gehen. Demgegenüber gingen vom Bieter selbst zu verantwortende Schwierigkeiten zu seinen Lasten. Diese zählten zum Übermittlungsrisiko, das üblicherweise vom Absender zu tragen sei (vgl. hierzu auch u.a. VK Südbayern). Der Bieter trage also das Risiko der Übermittlung und des rechtzeitigen und vollständigen Eingangs seines Angebotes. Er müsse sein Angebot so rechtzeitig auf den Weg bringen und den Übermittlungsvorgang beginnen, dass sein Angebot vor Fristablauf an der vorgesehenen Stelle eingegangen ist.

Vorliegend habe der Geschäftsführer des Bieters ab ca. 16:00 Uhr des Vortages der Angebotsfrist begonnen, das Angebot auf der Vergabeplattform hochzuladen. Der diesbezügliche Zeitpunkt der (versuchten) Angebotsabgabe sei zunächst als rechtzeitig zu beurteilen.

Fraglich sei jedoch, ob das weitere Verhalten des Geschäftsführers ebenso noch als „sorgfältig“ anzusehen sei.

Maßstab für das Vertreten-Müssen sei zunächst § 276 BGB. Die dazu ausreichende einfache Fahrlässigkeit bestimme sich nach dem am allgemeinen Verkehrsbedürfnis ausgerichteten objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab. Grundsätzlich könne sich daher die Vergabestelle darauf verlassen, dass die Bewerber und Bieter die notwendigen Vorkehrungen träfen, um eine form- und fristgerechte Einreichung der Angebote zu gewährleisten.

Nur wenn trotz aller gebotenen Maßnahmen aus Gründen außerhalb der Erkennbarkeit und Beeinflussbarkeit der Bewerber und Bieter die vorgegebene Übermittlung eines Angebotes scheitere, komme eine Berufung auf diesen Ausnahmetatbestand in Betracht. Die Beweislast dafür, dass ausnahmsweise Umstände verantwortlich seien, die er nicht selbst zu vertreten habe, obliege dabei dem Bieter

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung habe der Bieter vorgetragen, dass sich nach Betätigen des Buttons „Senden“ gegen 16 Uhr sodann ein weißer Screen mit einem orangefarbenen, sich drehenden Kreissymbol gezeigt habe. Aus diesem habe der Bieter abgeleitet, dass der Vorgang des Hochladens begonnen habe, wenngleich sich nach seinem Bekunden diese Vermutung nicht anhand einer Fortschrittsanzeige oder Prozentanzeige bestätigt hätte. Als das drehende Kreissymbol gegen 21:50 Uhr oder 22:00 Uhr immer noch zu sehen gewesen sei, habe man sich entschieden, den Computer und den Bildschirm anzulassen. Man habe den Computer nicht heruntergefahren, sondern sei dann in den Feierabend gegangen. Man sei insoweit davon ausgegangen, dass am Vorabend des Tages der Angebotsabgabe sämtliche Bieter versuchen würden, ihre Angebote abzugeben, sodass die Datenübertragung entsprechend länger dauere.

Diesbezüglich äußerte die Vergabekammer ernsthafte Zweifel, ob das geschilderte Vorgehen noch als sorgfältiges Handeln bewertet werden könne. Es sei mindestens bedenklich, wenn man einen entscheidenden technischen Prozess wie das Hochladen eines Bieterangebotes, mit dem man sich auf einen Auftrag für einen Leistungszeitraum von fünf oder gar sieben Jahren bewerben möchte und hinter dem ein wirtschaftliches Volumen im zweistelligen Millionenbereich stehe, nicht nur über eine halbe Stunde, sondern über fünf Stunden bzw. eine Nacht lang sich selbst überlasse.

Nach Ansicht der Vergabekammer wäre dem Antragsteller womöglich abzuverlangen gewesen, dass er spätestens nach einer halben Stunde des erfolglosen Beobachtens des weißen Screens mit dem sich drehenden Kreissymbol umgehend technische Hilfe sucht, was zu dem Zeitpunkt unter Umständen noch möglich gewesen wäre. Dies würde umso mehr gelten, wenn der Antragsteller eventuelle Fehlermeldungen dadurch versäumt haben sollte.

Des Weiteren setzte sich die Vergabekammer dezidiert mit vermeintlichen Widersprüchen in der Darstellung des Bieters auseinander, die nach ihrer Ansicht aber dahinstehen könnten.

Stelle der Auftraggeber nach § 11 Abs. 1 und 2 VgV eine funktionierende Vergabeplattform zur Verfügung, habe er zunächst die ihm obliegende Pflicht erfüllt. Träten sodann technische Schwierigkeiten beim Betrieb der verwendeten elektronischen Mittel auf, gingen vom Bieter selbst zu verantwortende Schwierigkeiten zu seinen Lasten. So sei es nach Überzeugung der Vergabekammer Sache des Bieters, dafür zu sorgen, dass seine Hard- und Software korrekt installiert sei und aktuell gehalten werde. Ebenso habe der Bieter sicherzustellen, dass seine allgemeine Netzwerkumgebung und Internetverbindung leistungsfähig sei, um die erforderliche Datenmenge zu transportieren und im erforderlichen Maß mit der Vergabeplattform zu kommunizieren. Der Verantwortungsbereich des Bieters beginnt und endet am Übergabepunkt, also dort, wo die Daten seinen technischen Einflussbereich betreten bzw. verlassen.

Vor diesem Hintergrund hat die Vergabekammer im Rahmen ihrer Amtsermittlung durch schriftliche Befragung des Plattformbetreibers und durch Zeugenvernehmung sowohl eines Mitarbeiters des Plattformbetreibers, als auch durch Zeugenvernehmung eines Mitarbeiters des IT-Dienstleisters des Antragstellers versucht, die Ursache des Fehlschlagens der Angebotsübermittlung herauszuarbeiten.

Im Ergebnis folgerte die Vergabekammer aus den Aussagen die Rechtmäßigkeit des Ausschlusses. Von tragender Bedeutung war für die Vergabekammer zunächst, dass im fraglichen Zeitraum insgesamt ca. 130 Angebote über denselben Server abgewickelt wurden und es keine Reklamation anderer Bieter gegeben hatte. Außerdem waren ausweislich der Vergabedokumentation fünf weitere Wettbewerber des gleichen Vergabeverfahrens in der Lage, ihr Angebot erfolgreich hochzuladen.

Diese Umstände stellen für die Vergabekammer zunächst belastbare Indizien dafür dar, dass die Ursache für das misslungene Hochladen des Angebotes des Antragstellers nicht in der Sphäre des Auftraggebers lag.

Nach Ansicht der Vergabestelle wiegt dieser Umstand schwer, da die Feststellungslast für das Vorbringen, dass der Auftraggeber nicht gegen § 11 VgV verstoßen hat, beim Auftraggeber liege. Er müsse belegen, dass die Unmöglichkeit des Hochladens des Angebotes auf einem Nutzerfehler und nicht auf einem Fehler der Vergabeplattform oder dessen Betreiber beruht. Schließlich berufe er sich auf den nicht fristgerechten Eingang des Angebotes des Antragstellers und dessen Vertreten-Müssen.

Bezogen auf den Umstand, dass die Unmöglichkeit des Hochladens auf einem Verbindungs-Time-out zu beruhen scheint, kam erschwerend hinzu, dass der Mitarbeiter des Vergabeplattformbetreibers eine eindeutige Verantwortungssphärenzuweisung vorgenommen hatte. Er führte nämlich technisch aus, dass ein Verbindungs-Time-out an den Netzwerkkomponenten des Bieters liegen könne, beispielsweise der Internetgeschwindigkeit, an der Proxykonfiguration oder auch der Netzwerkkonfiguration, je nachdem wie die Netzwerkinfrastruktur aufgebaut sei. Dass das Time-out im Bereich des Betreibers gelegen habe, konnte er definitiv ausschließen, weil zum gleichen Zeitpunkt andere Bieter auch ihre Angebote hätten hochladen können. Jedenfalls stellte er zur Überzeugung der Vergabekammer unmissverständlich klar, dass ein Time-out bedeuten würde, dass die Verbindung zum Server unterbrochen werde und dass sich dieses technische Phänomen noch im Netzbereich des Bieters ereigne.

Ebenso habe der Bieter mit Unterstützung des IT-Dienstleisters nach Fristablauf über eine andere Verbindung binnen drei/vier Minuten das Angebot hochladen können. Als mögliche technische Ursache habe der Mitarbeiter des eigenen IT-Dienstleisters des Bieters ausgeführt, dass das seines Erachtens womöglich auf ein Java-Problem zurückzuführen sei.

Praxishinweise

Die vorstehende Entscheidung zeigt einmal mehr, dass Bieter und Bewerber bei der E-Vergabe verstärkt in die Pflicht genommen werden. Sie verantworten in ihrer Beeinflussungssphäre das Funktionieren von Hard- und Software. Dies schließt die Aktualität der verwendeten Programme ein.

Die Vergabekammer hat sich mit der Erforschung des Sachverhalts und der technischen Gründe ausweislich des Beschlusses viel Mühe gegeben und sehr gründlich Beweise erhoben. Dabei scheint manchem Bieter nicht klar zu sein, dass über Log-In-Files oder andere elektronische Spuren viel nachvollziehbar ist, was ggf. späteren Darstellungen widersprechen kann.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.com