Bei der Vergabevorbereitung sieht die interne Lage oftmals wie folgt aus: Der Bedarfsträger weiß vermeintlich genau, was er will; nach seiner Vorstellung kommt nur ein Produkt bzw. eine technische Spezifikation, die auf ein Produkt hinausläuft, in Frage. Die produktscharfe Ausschreibung steht im Spannungsverhältnis zu der grundsätzlichen Verpflichtung, im Sinne eines möglichst breiten Wettbewerbs produktneutral auszuschreiben. Die Vergabekammer des Bundes hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung die Zulässigkeits­voraussetzungen für eine produktscharfe Ausschreibung herausgearbeitet (Beschluss vom 13.06.2019, VK 2 – 26 / 19).

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Zum Sachverhalt

Die Vergabestelle schreibt IT-Hardware aus, die im Bereich des „Machine Learning“ oder auch „Deep Learning“ eingesetzt werden soll. Außerdem soll sie zum Datenmanagement sowie zur Analyse und Verarbeitung von großen und heterogenen Datenmengen verwendet werden.

Neben Leistungswerten, die das Cluster (als Verbund zahlreicher einzelner Rechenkerne) insgesamt erreichen muss, enthält die Leistungsbeschreibung auch die Anforderung einer Mindest-Rechenleistung pro einzelner CPU (central processing unit / Hauptprozessor) von 1,4 TFLOP/s und die Vorgabe, dass die Prozessoren x86_64-basiert sein müssen.

Für den Nachweis der Leistung waren bieterseitig Kennzahlen zu ermitteln und in die Kennwerttabelle verbindlich einzutragen. In den Vergabeunterlagen hat sich die Vergabestelle vorbehalten, „sich bei Zweifeln (…) die Werte auf einem baugleichen Testsystem demonstrieren zu lassen“.

Nach erfolgloser Rüge stellte der Bieter einen Nachprüfungsantrag und griff vor allem die technische Produktvorgabe an, da die nachgefragten Leistungsdaten nur von einem bestimmten Intel-Prozessor erreicht werden. Außerdem wendete er sich gegen die nicht klar bestimmte Vorgabe einer Teststellung.

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Entscheidung zur Produktneutralität

Mit Blick auf die vermeintlich unzulässige Produktvorgabe stellt die Vergabekammer des Bundes zunächst auf den rechtlichen Rahmen ab und lehnt sich dabei an die hierzu ergangene Rechtsprechung des OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.06.2017 – VII-Verg 13/17) an. Demnach sei das Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers i.S.d. § 31 Abs. 6 VgV gewahrt, sofern

  • die Bestimmung sachlich gerechtfertigt sei,
  • vom Auftraggeber dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe angegeben wurden,
  • die Bestimmung willkürfrei getroffen sei,
  • solche Gründe tatsächlich vorhanden seien und
  • die Bestimmung andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiere.

Die Vergabekammer verweist darauf, dass die in den Vergabeunterlagen definierten Mindestleistungsanforderungen auf sachlichen Gründen beruhten, die insbesondere aus der Verwendung zu Studienzwecken resultierten. Darüber hinaus führte die Vergabestelle aus, dass vorgesehen sei, die kleinsten Recheneinheiten des Clusters, letztlich also die Leistung einzelner CPUs, an einzelne Wissenschaftler für deren Studien vergeben zu wollen, sodass auch die Rechenleistung dieser kleinsten Einheiten entscheidend sei, um die durchzuführenden Berechnungen in angemessener Zeit abschließen zu können.

Die Vergabestelle habe damit sachliche, nachvollziehbare und auftragsbezogene Gründe für die Forderung nach CPUs mit einer gewissen Mindestrechenleistung angegeben, die die faktische Beschränkung auf Produkte eines Herstellers i.S.d. § 31 Abs. 6 S. 1 VgV rechtfertigen.

Soweit der Bieter sich gegen die Beschaffung der Cluster-Computer als technische Lösung wendet, hält die Vergabekammer das Vorbringen für unerheblich. Die Entscheidung, wie die den Beschaffungsbedarf auslösende Aufgabe optimal gelöst werden soll, treffe der Auftraggeber nach seiner eigenen Einschätzung selbst. Insoweit komme es nicht darauf an, ob die Beschaffung eines Cluster-Computers die einzige oder sinnvollste Lösung zur Durchführung von Berechnungen auf einzelnen CPUs sei.

Die Anforderungen an die einzelnen CPUs seien auch nicht willkürlich gewählt. Nach dem plausiblen Vortrag der Vergabestelle seien die Leistungswerte von einem bereits bestehenden System abgeleitet und böten somit aus der praktischen Erfahrung heraus eine besondere Gewähr für erfolgreiche Arbeit mit dem System.

Eine der Vergabe vorausgehende Markterkundung sei nicht erforderlich. Die Vergabestelle habe Recherchen im Rahmen der täglichen Arbeit sowie anhand der Lektüre einschlägiger Fachliteratur durchgeführt, was auch – in Reaktion auf eine erwartete Markteinführung weiterer geeigneter Prozessoren – das Entfallen der expliziten Vorgabe zur Verwendung von Intel-Chips, die noch in der ersten Version der Ausschreibung enthalten war, bewirkte. Dass Konkurrenzprodukte nicht bis zum Ende der Angebotsabgabefrist verfügbar wurden, ändere nichts daran, dass vor dem geschilderten Hintergrund die Formulierung von Anforderungen, die nach den derzeitigen Marktverhältnissen nur von den Produkten eines einzigen Herstellers erfüllt werden könnten, zulässig war.

Eine diskriminierende Wirkung komme der Produktspezifizierung schon deshalb nicht zu, weil der Bieter selbst auch in der Lage sei, Intel-Produkte anzubieten. Ein Wettbewerb auf Ebene der Dienstleister, für welche die Intel-Produkte lediglich zu beschaffende Vorprodukte darstellen, werde somit eröffnet.

Entscheidung zur Teststellung

In der mündlichen Verhandlung räumte der Bieter ein, dass der Umfang der geforderten Teststellung angemessen sei. Einziger Streitpunkt sei nur die Konkretisierung der Formulierung, „bei Zweifeln“ eine Teststellung zur Live-Demonstration der angegebenen Leistungswerte zu verlangen.

Nach Ansicht der Vergabekammer sei diese Formulierung hinreichend konkret, um den Bietern zu verdeutlichen, unter welchen Bedingungen der Auftraggeber eine Teststellung fordern wird.

Schon aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 97 Abs. 1 S. 2 GWB) ergebe sich, dass eine Aufklärung, die nicht nur das Vergabeverfahren für den Auftraggeber aufwändiger gestalte, sondern auch den Bieter mit zusätzlichem Aufwand belaste, nur bei sachlich begründeten Zweifeln zulässig sei. Nicht ausreichend wäre insoweit eine Aufklärung ins Blaue hinein. Es bedürfe fachlicher Anhaltspunkte, die zumindest nach einer ersten Prüfung Bedenken wecken, ob die vom Bieter angegebenen Eigenschaften des angebotenen Produktes zutreffen und die Anforderungen des Auftraggebers erfüllen können.

Aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) folgt weiterhin, dass alle Angebote, an denen Zweifel eines gewissen Grades bestünden, aufgeklärt werden müssten, jedenfalls sofern die Angebote eine ernsthafte Chance auf Zuschlagerteilung haben. Insoweit ergebe sich schon aus der Anwendung allgemeiner vergaberechtlicher Grundsätze hinreichend transparent, unter welchen Umständen der Auftraggeber „Zweifel“ haben kann. Eine ergänzende Erläuterung dazu sei nicht erforderlich. Die Bestimmung in den Vergabeunterlagen entspreche dem Konkretisierungsgrad der rechtlichen Grundlage aus Art. 67 Abs. 4 der EU-Vergaberichtlinie (2014/24/EU).

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Praxishinweise

Der vorstehende Beschluss der Vergabekammer des Bundes verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig die sachgerechte Vorbereitung im Vorfeld eines Vergabeverfahrens ist. Nur wer den Aufwand einer tiefen technischen und sachlichen Begründung in dem Vergabevermerk nicht scheut, kann eine produktspezifische Vergabe rechtssicher durchführen. Dabei müssen vergaberechtlicher und technischer Sachverstand interdisziplinär zusammenarbeiten.

Betrachtet man die Personaldecke bei manchen Vergabestellen, scheinen Zweifel angebracht, ob die erforderliche Bearbeitungstiefe und der hohe Sorgfaltsmaßstab vor dem Hintergrund fehlender Ressourcen flächendeckend eingehalten werden kann.

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