Kleine Skulptur der Justitia

Je häufiger elektronische (Kommunikations-) Mittel in Vergabeverfahren Einsatz finden, desto mehr Anlässe ergeben sich, in denen sich auch Nachprüfungsinstanzen mit Zweifelsfällen befassen müssen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Bestimmungen zur elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen. Wird hiergegen verstoßen, kann dies zur Aufhebung des Vergabeverfahrens führen, wie die 2. Vergabekammer (VK) des Bundes in einem Beschluss unterstrichen hat (VK 2 – 128 – 17).

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Im Kern ging es in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt darum, dass eine Vergabestelle einen Rahmenvertrag über Reinigungsdienstleistungen ausgeschrieben hat. Die Vergabeunterlagen enthielten ein Merkblatt, welches hinsichtlich bestimmter Kalkulationsvorgaben wiederum auf ein Muster des Handbuchs der Gebäudereinigung verwies. Das entsprechende Muster war in den elektronisch bereitgestellten Unterlagen allerdings nicht enthalten. Ein Bieter verstieß gegen die auf diesem Weg mitgeteilte Kalkulationsvorgabe. Aus diesem Grund sollte sein Angebot von der Wertung ausgeschlossen werden.

Nach § 57 Abs. 1 VgV sind Angebote auszuschließen, die nicht den Erfordernissen des § 53 VgV entsprechen. § 53 Abs. 7 Sätze 1 und 2 VgV schreiben vor, dass Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig sind (Satz 1) und Angebote vollständig sein und alle geforderten Angaben und Erklärungen enthalten müssen (Satz 2). Im betrachteten Fall lagen mangels Formblatt bestimmte Erklärungen zur Pflegeversicherung und Insolvenzgeldumlage gerade nicht vor.

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In dem Nachprüfungsverfahren kam es daher darauf an, ob die Verwendung des Formblattes seitens der Vergabestelle aufgrund des bloßen Verweises in den Vergabeunterlagen überhaupt wirksam gefordert worden war.

Als Ausgangspunkt stellt die VK auf § 41 Abs. 1 VgV ab. Demnach muss der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung eine elektronische Adresse angeben, unter der die Vergabeunterlagen unentgeltlich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können.

Die Vergabestelle hatte im vorliegenden Fall das entsprechende Muster aus dem Handbuch der Gebäudereinigung aber nicht elektronisch bereitgestellt, sondern lediglich in den Vergabeunterlagen hierauf verwiesen. Ein bloßer Verweis auf externe Quellen für etwaige Vorgaben sei nach Beschluss der Vergabekammer mit den Bestimmungen zur elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen nicht vereinbar. Hinzu komme, dass die Kalkulationsvorgaben auch inhaltlich unklar und missverständlich seien. Die Verwendung der Kalkulationsvorgabe sei damit unwirksam und unbeachtlich.

Im Ergebnis wurde die Ausschreibung daher aufgehoben.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Hinweise für die Praxis zu Verweisen in Vergabeunterlagen

Die Entscheidung verdeutlicht einmal mehr, dass ein Verstoß gegen die Pflicht zur vollständigen elektronischen Bereitstellung der Vergabeunterlagen kein Kavaliersdelikt ist: Wenn die Vergabestelle sicherstellen möchte, dass Informationen wirksam in das Verfahren eingeführt wurden, muss sie diese Informationen (abschließend) zum direkten Gegenstand der Vergabeunterlagen machen und elektronisch abrufbar als Teil der Vergabeunterlagen zur Verfügung stellen. Verweise auf Drittquellen bergen das Risiko, dass solche Informationen nicht wirksam in das Vergabeverfahren eingeführt worden sind.

Einzelne Bewertungen des Beschlusses, nach denen generell jedweder Verweis in den Vergabeunterlagen auf weiterführende Informationen unzulässig seien, dürften hingegen zu weit gehen. Nach wie vor dürfte beispielsweise ein hinreichend bestimmter Verweis auf allgemein bekannte und zugängliche Normen im weiteren Sinne zulässig sein. Gleiches ist wohl anzunehmen, wenn etwa in Einkaufsbedingungen oder Vertragsentwürfen z.B. auf die VOL/B oder EVB-IT verwiesen wird. Ebenso wenig dürfte von einer Vergabestelle zu erwarten sein, dass diese den Vergabeunterlagen die DIN ISO 9001 oder alle produktspezifischen Anforderungen des blauen Engels beifügt, nur weil nach den Ausschreibungsbedingungen ein möglicher Vertragspartner entsprechend zertifiziert sein oder eine angebotene Leistung bestimmte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen muss.

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