Ein Urteil des BGH (v. 29.11.2016 – X ZR 122/14) befasst sich mit der Frage, ob bei einer zeitversetzten elektronischen Einreichung eines zweiten Angebotes immer davon auszugehen sei, dass es sich um die Abgabe von zwei Hauptangeboten handelt. Für die Praxis besonders relevant ist der Umstand, dass der BGH sich differenziert auch mit der Abgrenzung zwischen der postalischen und elektronischen Abgabe befasst. Wir haben für Sie einen Blick in die Entscheidung geworfen und erste Schlüsse für die Praxis abgeleitet.

Werden von einem Bieter kommentarlos zwei Angebote zeitlich nacheinander abgegeben, so liegt bei einer elektronischen Übermittlung kein einheitlicher Sendevorgang vor, der (zwingend) die Annahme rechtfertigt, dass zwei Hauptangebote abgegeben werden sollen. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der Verkehrssitte unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben davon auszugehen, dass das spätere Angebot das erste Angebot ersetzen soll.

Dabei ist auch bei einer elektronischen Übermittlung zu berücksichtigen, dass das Angebot bis zum Ablauf der Frist, bis zu der die Vergabeunterlagen abgeben werden können, jederzeit ausgetauscht werden kann. Erst mit Ablauf dieser Frist wird das Angebot bindend (§ 145 BGB).

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Zum Sachverhalt

Die Beklagte schrieb im Zuge von Sanierungsarbeiten und des Neubaus von Flächen eines Universitätsinstituts Tischlerarbeiten aus. Die Frist zur Abgabe der Angebotsunterlagen lief am 25.04.2012 ab.

Am 24.04.2012 sendete die Klägerin zunächst um 9.11 Uhr elektronisch ein Angebot über 268.202 € und um 11.02 Uhr, also ca. 2 Stunden später, kommentarlos ein weiteres Angebot in Höhe 268.580 €. Inhaltlich unterschieden sich beide Angebote lediglich darin, dass bei zwei Positionen die jeweiligen Einheitspreise umgekehrt zugeordnet wurden, woraus sich auch der Preisunterschied von 378 € ergab.

Obwohl zwei Angebote der Klägerin vorlagen, ließ die Beklagte im Öffnungstermin das erste Angebot unberücksichtigt und nahm lediglich das zweite Angebot im Protokoll auf. Dieses war um bis zu 3% günstiger als die Angebote der anderen beiden Bieter.

Das Vergabeverfahren wurde schließlich von der Beklagten mit der Begründung aufgehoben, dass die Kostenschätzung erheblich überschritten wurde und die Kostenansätze für einzelne Leistungspositionen in den Angeboten der Bieter nicht nachvollziehbar seien.

Die Klägerin strengte daraufhin ein Nachprüfungsverfahren an. Ihr Nachprüfungsantrag wurde von der Vergabekammer als unzulässig verworfen. Diese Entscheidung wurde bestandskräftig.

Mit ihrer zivilrechtlichen Klage begehrte die Klägerin sodann Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses und begründete dies u.a. damit, dass sie bei einer ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens den Zuschlag für ihr zweites Angebot erhalten hätte.

Das Landgericht gab der Klage zunächst vollumfänglich statt. Das OLG Naumburg als Berufungsinstanz hielt die Aufhebung des Vergabeverfahrens ebenfalls für rechtswidrig. Es ließ den auf das positive Interesse gerichteten Schadensersatzanspruch aber daran scheitern, dass die Klägerin aufgrund der unzulässigen Abgabe von zwei Hauptangeboten nicht für den Zuschlag in Betracht gekommen wäre und wies daher die Klage bis auf einen Teilbetrag in Höhe von 62 € für die als erstattungsfähig erachteten Angebotserstellungskosten ab.

Zur Entscheidung

Anders als das Berufungsgericht sieht der BGH im vorliegenden Fall keine Annahme dafür, dass in den nacheinander abgegebenen Angeboten von der Klägerin zwei Hauptangebote abgegeben wurden. Vielmehr sei vorliegend davon auszugehen, dass hier das erste Angebot durch das zweite Angebot ersetzt werden solle.

Für die Beurteilung der Frage, ob vorliegend zwei Hauptangebote im vergaberechtlichen Sinne abgegeben wurden oder das zweite Angebot das erste Angebot ersetzen solle, sei darauf abzustellen, wie die Beklagte als Erklärungsempfängerin die Übersendung des zweiten Angebots verstehen durfte. Dies sei wiederum im Wege der Auslegung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte zu ermitteln.

Nach Ansicht des BGH könne man dann zweifelsfrei von der Abgabe von zwei Hauptangeboten ausgehen, wenn die Angebotsunterlagen per Post oder im Wege der direkten Übermittlung in einem verschlossenen Umschlag eingereicht würden (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A 2016), da es höchst unwahrscheinlich sei, dass zwei Hauptangebote versehentlich in einem Umschlag versandt würden.

Gleiches gelte auch bei der elektronischen Übermittlung von Angeboten. Auch hier sei davon auszugehen, dass ein Bieter zwei Hauptangebote abgeben wolle, wenn er diese in einem einheitlichen Sendungsvorgang übermittelt habe.

Vorliegend wurden die Angebote in einem zeitlichen Abstand von ca. zwei Stunden nacheinander übersandt. Ein einheitlicher Sendevorgang liege nach der Ansicht des BGH also gerade nicht vor. Ein Empfänger müsse diesen Vorgang so verstehen, dass das zweite Angebot das erste, also zeitlich früher abgegebene, Angebot ersetzen solle. Offensichtlich habe auch die Vergabestelle im vorliegenden Fall dies so verstanden, da sie lediglich das zweite Angebot der Klägerin bei Angebotsöffnung in die Niederschrift aufgenommen habe.

Dieses Vorgehen sei auch rechtlich zulässig. Ein Bieter könne sein erstes Angebot durch ein weiteres Angebot bis zum Ablauf der Frist, zu der die Vergabeunterlagen abgegeben werden müsste, ersetzen. Im Hinblick auf § 145 BGB werde ein abgegebenes Angebot nämlich erst dann bindend, wenn die Frist zur Abgabe der Vergabeunterlagen abgelaufen sei. Bis zu diesem Zeitpunkt könne ein Angebot durch ein anderes Angebot desselben Bieters ersetzt werden.

Im Übrigen sei die Abgabe von mehreren Hauptangeboten lediglich unter engen Voraussetzungen zulässig. Soweit keine besonderen Umstände vorlägen, könne im Regelfall davon ausgegangen werden, dass ein Bieter nur ein Angebot abgeben wolle, weil er sich andernfalls dem Risiko aussetze, gar kein zulässiges Angebot abzugeben. Auch dieser Umstand spräche dafür, dass bei zeitlich versetzter Abgabe zweier Angebote das zweite Angebot das Erste ersetzen solle und beide Angebote gerade nicht parallel gelten sollten.

Hinweise für die Praxis

Wie bereits auch in einer Urteilsbesprechung von Hr. Dr. Kunde im Vergabeblog (Vergabeblog.de vom 28/02/2017, Nr. 29512) angemerkt, verstellt der Fokus auf das Vergaberecht rasch den Blick dafür, dass es sich bei Vergabeverfahren vor allem um eine Vertragsanbahnungsphase handelt, die aufgrund ihres fiskalischen Wesens eben kein öffentlich-rechtliches Handeln der Auftraggeber darstellt und sich damit auch im Hinblick auf die Auslegung der Willenserklärungen an zivilrechtlichen Grundsätzen orientieren muss.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass bei Vorliegen von zwei vorliegenden Hauptangeboten immer davon auszugehen ist, dass mit dem zweiten Angebot konkludent auch das Zurückziehen des ersten Angebots beabsichtigt wurde.

So nimmt der BGH an, dass das Vorliegen von zwei Hauptangeboten jedenfalls dann zweifelsfrei zu bejahen sei, wenn bei einer postalischen Einreichung zwei Angebote in einem verschlossenen Umschlag oder in einer elektronischen Einreichung entsprechend mehrere Hauptangebote in einer Sendung übermittelt würden.

Neben den vom BGH genannten Fällen wird es bei einer solchen Auslegung nicht nur auf die weiteren Umstände des Einzelfalls ankommen, sondern auch auf die Funktionsweise der eingesetzten E-Vergabe-Lösung. So ermöglichen die E-Vergabeplattformen auf Basis des cosinex Vergabemarktplatzes den Bietern nach Abgabe ihres Angebotes im System eine Übersicht aller für das jeweilige Verfahren eingereichten Haupt- und ggf. auch Nebenangebote. Ausgehend von dieser Übersicht können bis zum Ablauf der Angebotsfrist auch Angebote elektronisch zurückgezogen werden mit der Folge, dass diese zwar nicht physisch gelöscht, allerdings der Vergabestelle mit Angebotsöffnung nicht mehr vorgelegt werden.

In anderen marktgängigen Lösungen findet das „Zurückziehen“ eines Angebotes dergestalt statt, dass (vor Ablauf) auf dem gleichen Weg wie das Angebot eine Nachricht zum Zurückziehen an die Vergabestelle übermittelt wird.

Weitere Informationen

Die Entscheidung finden Sie in der Entscheidungsdatenbank des BGH unter diesem Link. Eine weitere Besprechung von Hr. RA Dr. Martin Kunde findet sich im Vergabeblog (28/02/2017, Nr. 29512).