Jeder Vergabepraktiker kennt die Situation: Zuschlagskriterien wie Qualität, Benutzerfreundlichkeit oder Zweckmäßigkeit sollen in die Wertung einfließen. Damit müssen Angebotsinhalte in Form von Wertungspunkten operationalisiert werden. Eine Möglichkeit ist, Punkte oder Schulnoten zu vergeben. Dabei muss der Wertende eine Transformationsleistung erbringen: Eine Information muss in einen Punktewert oder eine Schulnote „übersetzt“ werden.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Es liegt auf der Hand, dass der Bieter ein Interesse daran hat, diejenigen Kriterien zu kennen, an denen sein Angebot gemessen wird. Die entsprechende rechtliche Forderung nach Transparenz enthält bspw. § 58 Abs. 3 Satz 1 VgV: „Der Öffentliche Aufraggeber gibt in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen an, wie er die einzelnen Zuschlagskriterien gewichtet, um das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln.“

Damit ist aber noch nicht gesagt, wie detailliert diese Information zu erfolgen hat. Muss der Bieter genau erkennen können, welches Angebotsdetail zu welcher Benotung führt? Wie detailliert müssen Wertungssprünge beschrieben sein und wie ist mit Unterkriterien bzw. Unter-Unter-Kriterien zu verfahren?

Diese Fragen waren unter dem Stichwort „Schulnotenrechtsprechung“ immer wieder Gegenstand unterschiedlicher Entscheidungen verschiedener Gerichte und Instanzen (EuGH, OLG, BGH). Sowohl Juristen als auch Vergabepraktiker fragen sich angesichts der äußerst differenzierten und häufig auch einzelfallbezogenen Rechtsprechung und Entwicklung(en) zunehmend, was denn nun bei der täglichen Vergabetätigkeit im Hinblick auf das Bewertungssystem zu beachten ist.

Bei der immer wieder erörterten Schulnotenrechtsprechung geht es – verkürzt gesagt – um die Frage, welche Maßstäbe an die Transparenz bei der Bewertungsmethode und den Erläuterungen anzulegen sind, d.h. worin sich denn etwa bei einer Skala von 0 bis 10 ein 3-Punkte Angebot von einem 5-Punkte Angebot unterscheidet.

Mit dem nachfolgenden Blog-Beitrag soll anlässlich der jüngsten Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 17.01.2018, Az: VII – Verg 39 / 17) etwas Licht ins Dunkel gebracht werden.

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Die letzten Entscheidungen im Überblick

Ursprünglich galt – vereinfacht formuliert – dass die Wertungssystematik bei Bekanntmachung fertig sein und den Bietern diese auch detailliert mitgeteilt werden musste. Aus Transparenzgründen sollte der Bieter erkennen, wie sein Angebot, abhängig vom Erfüllungsgrad, bewertet wird. Dies schloss bspw. auch ein, dass der Bieter bestimmte Wertungssprünge und die konkrete Punktevergabe schon im Vorhinein erkennen konnte (so bspw. OLG Düsseldorf v. 16.12.2015). Diese Rechtsansicht entwickelte sich zur vorherrschenden Rechtsprechung und wurde u.a. geteilt vom OLG München (22.01.2016, Verg 13/15), dem OLG Frankfurt (23.06.2016, 11 Verg 4/16), dem OLG Celle (23.02.2016, 13 U 148/45) sowie dem OLG Brandenburg (28.03.2017, 6 Verg 5/17).

Das OLG Dresden wollte von der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf abweichen und eine Wertung am Maßstab von Schulnoten auch dann zulassen, wenn nicht jedem einzelnen Wertungsaspekt ein konkreter Punktwert oder eine nähere sprachliche Umschreibung zugeordnet werden kann. Deshalb legte es diese Frage dem BGH im Rahmen einer Divergenzvorlage zur Entscheidung vor (02.02.2017 Verg 7/16).

Der BGH stellte in seinem Beschluss (04.04.2017 X ZB 3/17) fest:

  • Es steht einer transparenten und wettbewerbskonformen Auftragsvergabe regelmäßig nicht entgegen, wenn für die Erfüllung qualitativer Wertungskriterien Noten mit zugeordneten Punktewerten vergeben werden, ohne dass die Vergabeunterlagen weiter konkretisierende Angaben dazu enthalten, wovon die jeweils zu erreichende Punktezahl abhängen soll.
  • Die Wahl einer bestimmten Preis-Umrechnungs-Methode kann vergaberechtlich nur beanstandet werden, wenn sich gerade ihre Heranziehung im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände als mit dem gesetzlichen Leitbild des Vergabewettbewerbs unvereinbar erweist.
  • Der Gefahr, dass die Offenheit eines Wertungsschemas zu einer nicht hinreichend transparenten Vergabe führt, ist durch eingehende Dokumentation des Wertungsprozesses zu begegnen.

Schon vorher hatte der EuGH in seiner Entscheidung vom 14.07.2016 – C-6/15 (Dimarso) entschieden, dass Art. 53 Abs. 2 der damaligen Vergaberichtlinie (2004/18/EG) im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der daraus hervorgehenden Transparenzpflicht auszulegen sei. Daraus folge, dass der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet sei, den potenziellen Bietern in der Auftragsbekanntmachung oder in den entsprechenden Verdingungsunterlagen die Bewertungsmethode, die er zur konkreten Bewertung und Einstufung der Angebote anwenden wird, zur Kenntnis zu bringen. Allerdings darf diese Methode keine Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung bewirken.

Das OLG Düsseldorf griff im Weiteren diese Rechtsprechung auf (Beschluss vom 08.03.2017, VII Verg 39/16).

In einer kürzlich ergangenen Entscheidung hatte das OLG Düsseldorf erneut Gelegenheit, ausgesprochen praxisrelevante Hinweise zum Thema „Schulnotenrechtsprechung“ zu geben.

Sachverhalt der aktuellen Entscheidung des OLG Düsseldorf

Die Antragsgegnerin machte im März 2017 die beabsichtigte Vergabe eines Bauauftrages im Rahmen eines offenen Verfahrens europaweit bekannt.

Mit den Vergabeunterlagen teilte die Antragsgegnerin den Bietern in einem Formblatt auch die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung mit. Insbesondere folgende drei Punkte waren im späteren Nachprüfungsverfahren relevant:

  • Für bestimmte Unterkriterien sollten Punkte zwischen 0 und 10 vergeben werden. Dazu wurde ausgeführt: „Die Unterkriterien werden innerhalb des jeweiligen Kriteriums gleich gewichtet.
  • Die Vergabestelle legte vor Bekanntmachung des Auftrags sog. Vorteile für eine positive Bewertung der Unterkriterien fest. Diese teilte sie den Bietern aber nicht mit.
  • Ein im Vergabevermerk vorgesehenes und von dem bekannt gemachten Bewertungsschema abweichendes Bewertungsschema für den Gesamt-Treibstoffverbrauch teilte sie den Bietern nicht mit.

Nachdem ein Bieter den Zuschlag nicht erhalten sollte, wendete er sich u.a. mit der Begründung an die Vergabekammer, dass das Wertungssystem intransparent gewesen sei.

Die Vergabekammer des Bundes sah dies ebenso und versetzte das Verfahren in den Stand vor Angebotsaufforderung zurück. Hiergegen wendete sich die Vergabestelle mit einer sofortigen Beschwerde zum OLG.

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf

Das OLG bestätigte die Ansicht der VK Bund und macht sich ausdrücklich deren Argumentation zu eigen.

Im Kern begründete die VK Bund ihre Entscheidung damit, dass die Vergabestelle entgegen § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 S. 1 VOB/A nicht bekannt gegebene Zuschlagskriterien bei der Angebotswertung verwandt bzw. bekannt gegebene Kriterien bzw. deren Gewichtung faktisch nachträglich abgeändert hat. Dies verletzt den Anspruch des Bieters auf Durchführung eines transparenten und wettbewerbskonformen Verfahrens (§ 97 Abs. 1 S. 1 GWB).

Dabei haben sich sowohl die Vergabekammer, als auch das OLG intensiv mit der zu den Wertungssystemen bislang ergangenen Rechtsprechung auseinandergesetzt:

Als Ausgangspunkt verwies das OLG darauf, dass auch der EuGH (Entscheidung v. 24.01.2008 – C-532/06 Lianakis) von Auftraggebern fordere, dass alle Kriterien, die bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots berücksichtigt werden sollten, sowie ihre relative Bedeutung den Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote bekannt sein müssten. Der öffentliche Auftraggeber dürfe daher keine Unterkriterien oder Gewichtungsregeln für die Zuschlagskriterien anwenden, die er den Bietern vorher nicht zur Kenntnis gebracht habe. Hieran habe sich die Vergabestelle nicht gehalten. So gewichte sie bspw. Unter-Unterkriterien nicht gleich, obwohl die Bieter nach der Darstellung in den Vergabeunterlagen davon ausgehen mussten, dass diese gleichrangig nebeneinander stehen und auch abschließend waren.

Die Antragsgegnerin könne sich für ihre Vorgehensweise nicht auf die Entscheidung des EuGH vom 14.07.2016 – C-6/15 (Dimarso) berufen. Mit dieser Entscheidung seien nicht die Anforderungen an die Bekanntgabe der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung abgeschwächt worden. Der Gerichtshof habe mit diesem Urteil lediglich entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet sei, seine Bewertungsmethode vorab bekannt zu geben. Zugleich habe er aber betont, dass die vom öffentlichen Auftraggeber verwendete Bewertungsmethode nicht zu einer Veränderung der bekannt gemachten Gewichtung der einzelnen Zuschlagskriterien führen dürfe (EuGH, Beschluss vom 14.07.2016 – C-6/15, zitiert nach juris, Tz. 36).

Hieran habe sich die Vergabestelle nicht gehalten:

  • Sie habe bspw. die Übererfüllung bestimmter Punkte bewertet, obwohl die Vergabestelle dies den Bietern nicht mitgeteilt hat.
  • Zugleich habe sie – wie beim Treibstoffverbrauch – eine Bewertungsmethode bekanntgegeben, sich hieran dann aber nicht gehalten.

Das Vorgehen der Vergabestelle sei mit dem Transparenzgrundsatz nicht zu vereinbaren.

Gleichzeitig stellte das OLG klar, dass es richtig sei, dass den Bietern die Bewertungsmethode nicht bekannt gemacht werden müsse. Demzufolge müsse es ihnen auch nicht im Vorhinein möglich sein, zu erkennen, welchen Erfüllungsgrad ihre Angebote auf der Grundlage des aufgestellten Kriterienkatalogs oder konkreter Kriterien aufweisen müssen, um mit dem in einem Bewertungsschema festgelegten Punktwert bewertet zu werden. Daraus zog das OLG den Schluss, dass die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung umso klarer gefasst sein müssen, damit die Bieter erkennen können, was der Auftraggeber von ihnen erwarte.

In dem konkreten Fall war das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Versendung der Angebotsaufforderung zurückzuversetzen und den Bietern unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer erneut Gelegenheit zur Angebotsabgabe zu geben.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Schulnoten: Ein erstes Fazit

Es steht zu vermuten, dass die Schulnoten-Thematik bei der Angebotswertung auch weiter die Nachprüfungsinstanzen beschäftigen wird. Allerdings ist zu beachten, dass ein Großteil der bisherigen Rechtsprechung noch die „alte“ Vergaberichtlinie betrifft. In die „neue“ Vergaberichtlinie 2014/24 ist ein neuer Art. 67 Abs. 4 eingefügt worden:

„Die Zuschlagskriterien dürfen nicht zur Folgen haben, dass dem öffentlichen Auftraggeber uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen wird. Sie müssen die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleisten und mit Spezifikationen einhergehen, die eine wirksame Überprüfung der von den Bietern übermittelten Informationen gestatten, damit bewertet werden kann, wie gut die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen (…).“

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Rechtsprechung vor diesem Hintergrund ändert.

Hinweise für die Praxis

Unabhängig davon lässt sich für den Vergabepraktiker aus der dargestellten Entscheidung ableiten:

  • Bekanntgemachte Wertungskriterien dürfen nicht nachträglich abgeändert werden.
  • Es dürfen ausschließlich bekanntgemachte Wertungskriterien verwendet werden.
  • Eine besondere Herausforderung stellt die von der Rechtsprechung vorgenommene Verknüpfung von Leistungsbeschreibung und Wertungsmatrix dar: Konsequent gehen OLG Düsseldorf und der BGH bei der Bestätigung der Anwendung von „Schulnoten“ davon aus, dass die Leistungsbeschreibung in diesen Fällen so erschöpfend beschrieben sein muss, dass es einer weiteren Konkretisierung durch eine (exakte) Definition der einzelnen Notenstufen nicht mehr bedarf.

Insbesondere der letzte Punkt dürfte in der Praxis zu erheblichen Schwierigkeiten führen.

Am Ende darf gefragt werden, ob mit der „alten“, im Hinblick auf die Transparenz strengeren, Schulnotenrechtsprechung des OLG Düsseldorf nicht auch ein Mehr an Handlungssicherheit bestanden hat. Auch wenn die Gestaltung des Leistungsverzeichnisses im Vorfeld mitunter etwas aufwändiger wird, führen die den Bietern zur Verfügung gestellten Informationen doch auch im Regelfall dazu, dass diese ihre Angebote besser an den Anforderungen des Auftraggebers ausrichten können – gerade im Bereich funktionaler Leistungsbeschreibungen. Der Nutzen der neueren Entwicklung mag sich erst noch zeigen.

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