Früher war das Vergaberecht grundsätzlich strikt: Fehlte ein Nachweis, führte dies unweigerlich zum Ausschluss des Angebotes. Seit 2009 die VOL/A geändert wurde gilt diese Gleichung nicht mehr, denn Nachweise können unter bestimmten Voraussetzungen nachgefordert werden. Hieraus ergeben sich zahlreiche Fragen und Zweifelsfälle, wann, welche Nachweise nachgefordert werden dürfen.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Der Vergabesenat bei dem OLG Karlsruhe hat in einem jüngst veröffentlichten Beschluss Systematik und Grenzen der Nachforderungsmöglichkeit aufgezeigt, wie sie derzeit in der VgV geregelt sind (Beschluss vom 14.08.2019, 15 Verg 10 / 19).

Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb im offenen Verfahren Leistungen der Bioabfallverwertung aus. Mit dem Angebot war eine Versicherungsbestätigung über 2 Mio EUR abzugeben.

Mehrere Bieter gaben Angebote ab. Eine Bieterin, die später für den Zuschlag vorgesehen war, reichte eine nicht mehr aktuelle Bestätigung zur Umweltschadensversicherung mit einer Deckungssumme von nur 1 Mio. EUR ein. Von ihr forderte die Vergabestelle den Nachweis nach. Innerhalb der gesetzten Frist reichte diese eine Versicherungsbestätigung mit einer Deckungssumme von 2 Mio. EUR ein.

Im weiteren Verlauf stellte eine Teilnehmerin am Verfahren einen Nachprüfungsantrag wegen angeblicher Vergabefehler und führte später auf Grundlage der Akteneinsicht aus, dass der Versicherungsnachweis nicht hätte nachgefordert werden dürfen. Das Angebot der Bieterin hätte wegen Unvollständigkeit zwingend ausgeschlossen werden müssen.

Die Vergabekammer stellte fest, dass die mit dem Angebot eingereichte Versicherungsbestätigung den formalen Anforderungen nicht genügt habe, da sie veraltet gewesen sei. Die Bestätigung sei daher praktisch als nicht vorgelegt anzusehen und hätte deshalb nachgefordert werden dürfen. Durch die Nachforderung seien auch nicht die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung verletzt worden. Durch die nachträglich vorgelegte Versicherungsbescheinigung sei lediglich der Nachweis einer bereits vor Angebotsabgabe abgeschlossenen Versicherung erbracht worden.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde verfolgte die Antragstellerin u.a. weiter den Ausschluss der Bieterin, weil diese keine den Anforderungen entsprechende Versicherungsbestätigung vorgelegt habe.

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Die Entscheidung des OLG

Nach Ansicht des Vergabesenats sei die Nachforderung der Bestätigung einer Umweltschadensversicherung mit einer Deckungssumme von 2 Mio. EUR vergaberechtswidrig.

Die Nachforderung war nicht gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV gestattet. Nach dieser ist vorgesehen, dass

“der öffentliche Auftraggeber … den Bewerber oder Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern kann, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen.“

Zunächst stellte der Vergabesenat grundlegend fest, dass es sich bei der nachgeforderten Versicherungsbestätigung um eine unternehmensbezogene Unterlage handelt. Schließlich sei sie in der Bekanntmachung der Ausschreibung unter den Nachweisen der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des Bieters aufgeführt worden. Sie diene demnach dazu, sicherzustellen, dass die Kosten der Beseitigung eventueller Umweltschäden dadurch gedeckt sind, dass der Schadensvorgang versichert ist. Folglich könne sie grundsätzlich gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV nachgereicht, vervollständigt oder korrigiert werden.

Nachfordern nur bei Fehlen möglich

Im vorliegenden Fall sei aber entscheidend, dass auf Grundlage von § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV nur fehlende Unterlagen nachgefordert bzw. nachgereicht werden dürfen. Eine Unterlage fehle aber nur dann, wenn sie vorher körperlich nicht vorgelegt wurde.

Die Wettbewerberin habe aber mit dem Angebot zunächst eine Versicherungsbestätigung vorgelegt, die den Abschluss einer entsprechenden Versicherung mit einer Deckungssumme von 1 Mio. EUR, für den Zeitraum vom 1.1.2017 bis 1.1.2018 und einer stillschweigenden Vertragsverlängerung von Jahr zu Jahr (solange eine rechtswirksame Kündigung unterbleibt) bescheinigt. Nach den Vergabeunterlagen war der Nachweis einer abgeschlossenen Versicherung aber mit einer Deckungssumme von 2 Mio. EUR gefordert. Der Nachweis abgeschlossener Versicherungen lag somit körperlich vor, auch wenn dieser den Vorgaben nicht entsprochen habe.

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Sonderfall: Verstoß gegen formale Voraussetzungen

Der Vergabesenat wandte sich dann einem Sonderfall zu. Denn eine unternehmensbezogene Unterlage werde auch dann gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV als fehlend behandelt, wenn sie in rein formaler Hinsicht nicht den Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers entspreche (unter Hinweis auf: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.3.2018 – Verg 42/17 – juris Rn. 43; OLG München, Beschluss vom 27.7.2018 – Verg 2/18 – juris Rn. 82).

Allerdings könne eine Unterlage, die in formaler Hinsicht vollständig übermittelt und verständlich sei, deren Inhalt aber nicht den Anforderungen genüge, als fehlerhaft bezeichnet werden. Begrifflich könne es sich aber nicht mehr um eine nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV gestattete Ergänzung oder Vervollständigung der Unterlagen handeln, wenn der in der Unterlage dokumentierte Erklärungsinhalt nachträglich geändert werde.

Im Rahmen der Prüfung, ob die Angebote formal vollständig seien, habe ein öffentlicher Auftraggeber keine weitere, inhaltliche bzw. materiell-rechtliche Prüfung der mit dem Angebot vorgelegten Unterlagen vorzunehmen. Daraus folge, dass eine Nachforderungspflicht des Auftraggebers im Hinblick auf körperlich vorhandene Erklärungen oder Nachweise nur bestehe, wenn sie in formaler Hinsicht von den Anforderungen abwichen.

Die von der Beigeladenen vorgelegte Versicherungsbescheinigung habe den formalen Voraussetzungen an den vorzulegenden Nachweis abgeschlossener Versicherungen entsprochen. Die Bestätigung sei von einem Versicherer ausgestellt worden und habe den Abschluss u.a. einer Umweltschadensversicherung bescheinigt. Aufgrund der Einreichung der Bestätigung sei bei der formalen Prüfung, ob die mit der Ausschreibung geforderten Unterlagen und Erklärungen vollständig vorgelegen haben, davon auszugehen, dass die Wettbewerberin die Versicherung mit dem bestätigten Inhalt abgeschlossen hatte.

Der Umstand, dass die Versicherungsbestätigung keine Versicherung mit einer Deckungssumme von 2 Mio. EUR ausgewiesen habe, könne nach alledem nicht dazu führen, die Versicherungsbestätigung bei der formalen Prüfung als fehlend zu behandeln. Die nachgereichte Versicherungsbestätigung weise auch lediglich Änderungen von Deckungssummen aus. Der Versicherer sei derselbe, die Versicherungen seien dieselben und die Policennummer sei dieselbe.

Ebenso wenig sei es als formales Defizit zu behandeln, dass die Versicherungsdauer mit 1.1.2017 bis 1.1.2018 angegeben war. Ob die Prüfung des Bestehens einer Versicherung für einen bestimmten Zeitraum oder zu einem bestimmten Zeitpunkt zur formalen oder zur inhaltlichen Prüfung gehöre, könne offen bleiben. Denn der Versicherungsbestätigung sei nicht zu entnehmen gewesen, dass die Versicherung zum 1.1.2018 endete. Vielmehr sei eine Fortdauer der Versicherung durch stillschweigende Vertragsverlängerung bestätigt worden, falls der Versicherungsvertrag nicht gekündigt werde. Dass die von der Beigeladenen mit dem Angebot eingereichte Bestätigung einen Vertragsschluss vor Angebotsabgabe ausweise, sei sowieso unerheblich, weil es lediglich auf das Bestehen des Versicherungsschutzes ankommen könne.

Keine Korrektur durch Nachforderung

Nach Ansicht des Vergabesenats könne in der Nachforderung auch keine nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV zulässige Korrektur einer fehlerhaften Unterlage gesehen werden.

Dabei stellte der Vergabesenat entscheidend darauf ab, dass mit der nachgereichten Unterlage nicht der Nachweis in formaler Hinsicht, sondern der Erklärungsinhalt geändert wurde, indem die Versicherungssumme von 1 auf 2 Mio EUR angehoben wurde. Der in der Unterlage dokumentierte Erklärungsinhalt sei nicht lediglich ergänzt oder vervollständigt worden.

§ 56 Abs. 2 Satz 1 VgV sei aber richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass einem Bieter nicht Gelegenheit gegeben werden dürfe, inhaltlich nachgebesserte Unterlagen einzureichen (unter Hinweis auf: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.3.2018 – Verg 42/17 – juris Rn. 44).

Durch § 56 Abs. 2 VgV solle Art. 56 Abs. 3 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU umgesetzt werden. Dieser eröffne aber lediglich die Möglichkeit, unvollständige oder fehlerhafte Informationen oder Unterlagen zu übermitteln, zu ergänzen, zu erläutern oder zu vervollständigen. Hinsichtlich der in § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV vorgesehenen Möglichkeit, fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen korrigieren zu lassen, nehme die Begründung sogar darauf Bezug, dass Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich diese Möglichkeit vorgesehen habe. Die Richtlinie spreche aber nicht von korrigieren, sondern lediglich von übermitteln, ergänzen, erläutern und vervollständigen. Die englische Fassung der Richtlinie benutze die Verben to submit, supplement, clarify or complete, die französische Version die Verben présenter, completer, clarifier ou preciser.

Eine weitergehende Auslegung könne auch nicht aus einer im Nachprüfungsverfahren angeführten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 29.3.2012 – C-599/10 – Tz. 40; Urteil vom 7.4.2016) entnommen werden. Der Europäische Gerichtshof führe dort lediglich aus, dass Gleichbehandlungs- und Transparenzgrundsatz (Art. 2 der Richtlinie 2004/18/EG) nicht verböten, Angebote ausnahmsweise in einzelnen Punkten zu berichtigen oder zu ergänzen, insbesondere wegen einer offensichtlich gebotenen bloßen Klarstellung oder zur Behebung offensichtlicher sachlicher Fehler. Dies gelte aber nur unter der Voraussetzung, die Änderung laufe nicht darauf hinaus, dass in Wirklichkeit ein neues Angebot eingereicht werde (unter Hinweis auf Urteil vom 29.3.2012 – C-599/10 – Tz. 40; Urteil vom 7.4.2016 – C-324/14 – Juris Rn. 62 ff.). Demgegenüber sei der von der Beigeladenen mit dem Angebot vorgelegte Nachweis inhaltlich klar gewesen und habe keinen offensichtlichen sachlichen Fehler enthalten. Allenfalls wäre zu klären gewesen, ob der Versicherungsvertrag gekündigt war.

Die Entscheidung

Der Vergabesenat gab der Vergabestelle auf, die Angebote erneut zu prüfen und zu werten. Dabei dürfe sie aber nicht die nachgeforderte Versicherungsbestätigung beachten, sondern müsse bei der Prüfung die mit dem Angebot eingereichte Versicherungsbestätigung über 1 Mio EUR einbeziehen.

Exkurs: Keine Divergenzvorlage im Hinblick auf den Beschluss des OLG München

Ausführlich ging der Vergabesenat auf eine Entscheidung des OLG München ein, in welcher es als ein formaler Mangel angesehen wurde, dass ein amtliches Führungszeugnis abgelaufen war. Hiernach konnte ein „aktuelles“ Führungszeugnis nachgereicht werden, weil ein solches fehlte; eine derartige behördliche Bescheinigung, die nicht von individuellen Abreden oder Einflüssen abhänge, sondern vielmehr amtlich und objektiv die Rechtslage bescheinige und deswegen keinen Raum für Manipulationen oder nachträgliche Veränderungen zulasse und lediglich eine andere „Gültigkeitsdauer“ habe als die vom öffentlichen Auftraggeber geforderte, weiche in formaler Hinsicht – und nicht inhaltlich – von den Anforderungen ab (OLG München, Beschluss vom 27.7.2018 – Verg 2/18 – juris Rn. 84). In Abgrenzung hierzu verwies der Vergabesenat des OLG Karlsruhe darauf, dass im vorliegenden Fall der Versicherungsnachweis keine behördliche Bescheinigung sei, die lediglich die objektive Rechtslage wiedergebe. Manipulationen oder nachträgliche Änderungen könnten bei einer nachgereichten Versicherungsbestätigung auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

Insoweit habe der Vergabesenat bei dem OLG Karlsruhe in seiner Entscheidung keinen anderen Rechtssatz zugrunde gelegt als das Oberlandesgericht München in seiner Entscheidung. Es hat auch nicht denselben tragenden Rechtssatz anders verstanden als das Oberlandesgericht München. Insoweit sei für eine Divergenzvorlage kein Raum.

Hinweise für die Praxis

Die EU-Vergaberichtlinien geben den Rechtsrahmen vor, der in deutsches Vergaberecht umgesetzt wird. Für den Rechtsanwender, der im Regelfall nicht immer die Vergaberichtlinien in den verschiedenen Sprachen parallel zum deutschen Recht liest, sind Ungenauigkeiten in der Umsetzung eine ärgerliche Quelle für Fehler. Denn wenn die Richtlinien von „übermitteln, ergänzen, erläutern und vervollständigen“ bzw. „to submit, supplement, clarify or complete“ oder „présenter, completer, clarifier ou preciser“ sprechen, ist nicht nachvollziehbar, wie sich der Begriff „korrigieren“ in § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV eingeschlichen hat.

Darüber hinaus bleibt es dabei:

  • Nachfordern“ setzt ein „Fehlen“ der gesamten entsprechenden Unterlage voraus. Im Rechtssinne fehlen sie nach dem Beschluss des OLG auch dann, wenn sie zweifelsfrei „abgelaufen“ sind.
  • Vervollständigen“ setzt ein partielles Fehlen voraus.

Darüber hinaus können Aufklärungsgespräche geführt werden, die den Erklärungsinhalt plausibilisieren und erläutern, ihn aber nicht verändern.

Bildquelle: BCFC – shutterstock