„Ausschreibungsfrei“ bedeutet nicht zwangsläufig „vergaberechtswidrig“. Dies gilt nicht nur für den Bereich der Inhouse-Vergabe oder die ausschreibungsfreien Möglichkeiten des Leistungsaustausches zwischen Öffentlichen Auftraggebern, sondern auch – in Teilen – für die Bereiche, die Beschaffungen im Kontext der nationalen Sicherheitsinteressen tangieren.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Dass man hierbei mitunter den Bogen auch überspannen kann, zeigt u.U. der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. Nach diesem soll die Berufung auf den Ausnahmetatbestand „nationale Sicherheitsinteressen“ deutlich erweitert werden: „Zum Erhalt nationaler Souveränität bei Schlüsseltechnologien werden wir bestehende vergaberechtliche Spielräume konsequenter nutzen, Auslegungshilfen zur Verfügung stellen und prüfen, inwieweit der Ausnahmetatbestand des Art. 346 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Beschaffungspraxis stärker herangezogen werden kann.

Hierzu passt – allerdings nur thematisch – eine Entscheidung des EuGH, der wahrscheinlich den deutschen Koalitionsvertrag nicht im Fokus hatte, als er für die Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes jüngst klare Leitplanken einzog (EuGH, Urteil vom 20.03.2018, C – 187 / 16).

Zum Sachverhalt

Die Republik Österreich hatte im Wege einer Direktvergabe Aufträge zum Druck von Ausweisen und amtlichen Dokumenten an die im Jahr 2000 privatisierte Staatsdruckerei vergeben. Mit dem österreichischen Staatsdruckereigesetz (StDrG) gibt es hierfür sogar eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, die unter anderem vorsieht:

  • Die Österreichische Staatsdruckerei GmbH hat die Herstellung von Druckprodukten für die Bundesdienststellen, bei deren Herstellungsprozess Geheimhaltung beziehungsweise die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften (Sicherheitsdruck) geboten ist, wahrzunehmen (§ 1 StDrG).
  • Die Bundesorgane haben mit der Herstellung der entsprechenden Produkte ausschließlich die Österreichische Staatsdruckerei zu betrauen, es sei denn, dass (…) das betreffende Produkt dem Bundesorgan bei gleichem Leistungsinhalt und gleichen vertraglichen Konditionen von einem Dritten preislich günstiger angeboten wird (§ 6 StDrG).

Daneben sieht das StDrG detaillierte Prüf-, Zutritts- und Kontrollrechte des österreichischen Staates bei der Druckerei vor.

Die Republik Österreich rechtfertigte die Direktvergabe insbesondere mit dem Argument, dass die Versorgung mit amtlichen und sicherheitsempfindlichen Dokumenten zur Wahrung des nationalen Sicherheitsinteresses direkt an die Staatsdruckerei vergeben worden sei.

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Zur Entscheidung des EuGH

Als Ausgangspunkt der rechtlichen Würdigung stellte der EuGH zunächst fest, dass selbstverständlich ein Auftrag zum Druck von Ausweispapieren und amtlichen Urkunden etc. grundsätzlich dem Vergaberecht unterliegt. Darauf aufbauend prüfte er, ob hier ausnahmsweise Vergaberecht nicht zur Anwendung kommen solle, da die Direktvergabe zur Wahrung nationaler Sicherheitsinteressen erforderlich sei.

Nach Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV bzw. der entsprechenden Bestimmung der EU-Vergaberichtlinie ist ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht.

Der EuGH sprach diesbezüglich den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum bei der Entscheidung über die Maßnahmen, die sie für den Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen als erforderlich erachten, zu. Dies könne jedoch nicht als Ermächtigung der Mitgliedstaaten ausgelegt werden, durch bloße Berufung auf die Sicherheitsinteressen von den Bestimmungen des AEU-Vertrags (hier des EU-Vergaberechts) abzuweichen. Ein Mitgliedstaat, der sich auf diese Ausnahmen berufe, müsse nämlich nachweisen, dass ihre Inanspruchnahme zur Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sei. Mit anderen Worten: Eine vergaberechtskonforme Ausschreibung wäre dem Schutz solcher Interessen nicht gerecht geworden. Dementsprechend prüfte der EuGH detailliert, ob die von Österreich vorgebrachten Ziele nicht auch mit einer vergaberechtskonformen Ausschreibung hätten gewahrt werden können, im Einzelnen:

Erstens verteidigte Österreich die Direktvergabe damit, dass zur Wahrung der Sicherheitsinteressen der Druck der Ausweispapiere etc. von einer zentralen Stelle erfolgen müsse. Der EuGH akzeptierte dieses Argument im Kern. Allerdings sah er es als möglich an, die zentrale Stelle auch im Wettbewerb zu ermitteln. Insofern spreche die Zentralisierung nicht gegen einen vorherigen Wettbewerb.

Zweitens verwies Österreich auf das Erfordernis wirksamer Verwaltungskontrollen bei den Produktions- und Lagerstätten der Staatsdruckerei durch österreichische Behörden, um so den Schutz der Vertraulichkeit zu gewährleisten. Hierfür böte § 6 Abs. 3 StDrG eine eigene gesetzliche Grundlage gegenüber der Staatsdruckerei. Auch hier akzeptierte der EuGH das Erfordernis entsprechender Schutzmaßnahmen zur Wahrung der Vertraulichkeit der Informationen. Allerdings sah er es als nicht erwiesen an, dass solche Verwaltungskontrollen nicht auch bei anderen in Österreich niedergelassenen Unternehmen durchgeführt werden könnten. Österreich habe nicht ausreichend dargelegt, dass die entsprechenden Kontrollbefugnisse weniger gut gewährleistet würden, wenn der Druck im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens an andere – ob in Österreich oder in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene – Unternehmen vergeben würde. Diesen Unternehmen könnten zivilvertraglich Vertraulichkeits- und Sicherheitsmaßnahmen vorgeschrieben werden. Beispielsweise könnten entsprechende Zutrittsrechte, Sicherheitskontrollen oder technische Vertraulichkeitsanforderungen vereinbart werden.

Drittens hielt der EuGH das von Österreich vorgebrachte Argument, wonach die Versorgungssicherheit gewährleistet werden müsse, im Kern für zutreffend. Österreich habe aber nicht nachgewiesen, dass das angeführte Ziel nicht im Rahmen einer Ausschreibung sichergestellt werden könne und dass die Versorgungssicherheit gefährdet wäre, wenn andere Unternehmen, gegebenenfalls auch in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen, mit dem Druck der betreffenden Dokumente beauftragt würden.

Viertens begründete Österreich die Direktvergabe mit der Notwendigkeit, die Vertrauenswürdigkeit des Auftragnehmers sicherzustellen. Dieses Erfordernis ergebe sich aus der besonderen Vertraulichkeit der im Rahmen des Auftrags übermittelten Daten. Auch bei diesem letzten Argument hat der EuGH die Schutzbedürftigkeit grundsätzlich akzeptiert. Allerdings sah er es als möglich an, die Vertraulichkeit von Daten durch eine Geheimhaltungspflicht sicherzustellen. Letztlich hindere den öffentlichen Auftraggeber nichts daran, besonders hohe Anforderungen an die Eignung und Vertrauenswürdigkeit der Auftragnehmer festzuschreiben, die Ausschreibungsbedingungen und Dienstleistungsverträge entsprechend zu gestalten sowie von den potenziellen Bewerbern die nötigen Nachweise zu verlangen.

Insgesamt habe die Republik Österreich nicht nachgewiesen, dass das Ziel, das Bekanntwerden sensibler Informationen über die Herstellung der fraglichen amtlichen Dokumente zu verhindern, nicht im Rahmen einer Ausschreibung hätte erreicht werden können. Deshalb könne sie sich auch nicht auf den besonderen Ausnahmetatbestand des Vorliegens nationaler Sicherheitsinteressen berufen.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Fazit

Wie eingangs gezeigt, ist auch in Deutschland die Diskussion über eine mögliche Ausweitung der Ausnahmetatbestände in vollem Gange. Allerdings ändert auch eine intensive Lobbyarbeit nichts daran, dass der EuGH (in Bezug auf die nationalen Sicherheitsinteressen im Kontext der öffentlichen Auftragsvergabe) feste Grundsätze entwickelt hat. Dementsprechend hat die Kommission in ihrer Mitteilung zu Auslegungsfragen des Art. 296 EG-Vertrag (heute Art. 346 AEUV; vom 7. Dezember 2006) bereits vor über zehn Jahren einen dreistufigen Prüfkanon aufgestellt:

  1. Welches wesentliche Sicherheitsinteresse i.S. des Art 346 AEUV ist betroffen?
  2. Worin besteht der Zusammenhang zwischen diesem Sicherheitsinteresse und der speziellen Beschaffungsentscheidung?
  3. Warum ist die Nichtanwendung der Vergaberichtlinie in diesem speziellen Fall für den Schutz dieses wesentlichen Sicherheitsinteresses notwendig?

Auch nach mehr als einer Dekade ist dem eigentlich nichts hinzuzufügen. Jedenfalls sind die Grenzen nunmehr nicht nur aus Brüssel, sondern auch aus Luxemburg klar gezogen bzw. bestätigt.

Bildquelle: Cédric Puisney, Wikimedia Commons, CC BY 2.0