Was wie ein Treppenwitz klingen mag, ist ein in der Praxis vorkommender und in der Kommentarliteratur leider nahezu unbeachteter Fall: Die elektronisch vorliegenden Daten in Vergabeunterlagen oder auch bei Angeboten sind zu „groß“ für die elektronische Kommunikation.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

Alle Beiträge von Norbert Dippel »

Der Beitrag von Norbert Dippel, Rechtsanwalt für Vergaberecht und Syndikus der cosinex, befasst sich mit der Frage, ob etwa bei Dateien im Umfang eines mehrstündigen Films in HD-Qualität eine Ausnahme von der Pflicht zur E-Vergabe gemacht werden kann oder – mindestens mit Blick auf die Bieter – gemacht werden muss.

Die technischen Lösungen zur Durchführung elektronischer Vergabeverfahren sind etabliert. Gleichwohl können es spezielle Auftragsgegenstände mit sich bringen, dass die IT-Infrastrukturen an ihre Grenzen stoßen. Eine derartige Fallkonstellation kann bspw. vorliegen, wenn einzelne Dateien in den Vergabeunterlagen oder Angeboten außergewöhnlich groß werden. Dies kann dazu führen, dass systemseitige Einstellungen der Vergabestelle oder der Bieter (etwa in der hauseigenen Firewall) das Hoch- oder Herunterladen der entsprechenden Dateien z.B. aufgrund der damit verbundenen Ladezeiten verhindern oder unterbrechen. Wie damit auf Seiten der Bieter und der Vergabestelle umzugehen ist, wird nachfolgend erläutert.

Der Grundsatz: Die elektronische Kommunikation

Den Grundsatz regelt § 9 Abs. 1 VgV bzw. § 9 Abs. 1 SektVO et al. (die Grundsätze der Kommunikation im Vergabeverfahren). Demnach müssen sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Unternehmen in einem Vergabeverfahren für das

  • Senden,
  • Empfangen,
  • Weiterleiten und
  • Speichern von Daten

grundsätzlich Geräte und Programme für die elektronische Datenübermittlung (elektronische Mittel) verwenden.

Keinen Beitrag mehr verpassen? Jetzt für unseren Newsletter anmelden und Themen auswählen

Ihre Anmeldung konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuchen Sie es erneut.
Ihre Anmeldung war erfolgreich.

Die Ausnahmen

Die VgV kennt zwei relevante Ausnahmen von der Verpflichtung zur elektronischen Kommunikation. Nämlich hinsichtlich der

  • Bereitstellung der Vergabeunterlagen (§ 41 VgV) und
  • der Abgabe der Angebote (§ 53 VgV).

Nach § 41 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VgV kann der öffentliche Auftraggeber die Vergabeunterlagen auf einem anderen geeigneten Weg übermitteln, wenn die erforderlichen elektronischen Mittel zum Abruf der Vergabeunterlagen aufgrund der besonderen Art der Auftragsvergabe nicht mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie kompatibel sind.

53 Abs. 2 VgV verweist für den Fall der Angebotsabgabe ebenfalls auf den vorstehenden technischen Ausnahmegrund. Liegt ein derartiger Fall vor, kann die Kommunikation auf dem Postweg oder auf einem anderen geeigneten Weg oder in Kombination mit der Verwendung elektronischer Mittel erfolgen. Zu beachten ist, dass die Vergabestelle im Vergabevermerk die Gründe angeben muss, warum die Angebote mithilfe anderer als elektronischer Mittel eingereicht werden können.

Dateigröße als technisches Hindernis

Wann ist davon auszugehen, dass mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie Angebote nicht übertragen bzw. Vergabeunterlagen nicht bereitgestellt werden können?

Taucht man in die Kommentarliteratur ein, stößt man auf das immer gleiche und möglicherweise wenig praxisnahe Beispiel, welches wohl dem Erwägungsgrund Nr. 53 der klassischen Vergaberichtlinie (2014/24/EU) entnommen wurde: der berühmte Plotter, den man zum Ausdruck von Plänen aus der Leistungsbeschreibung benötigt.1. Da die Verbreitung von Plottern in Planungsbüros und Bauunternehmen vorgeblich nicht vorausgesetzt werden könne, käme hier die postalische Versendung der ausgedruckten Pläne in Betracht.

Fraglich ist, ob unter den Ausnahmefall auch der Fall subsumiert werden kann, dass die Größe der Datei ein Hoch- oder Herunterladen mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie in gängigen Infrastrukturen üblicherweise nicht zulässt.

In Erwägungsgrund Nr. 53 der RL 2014/24/EU ist hierzu lediglich ausgeführt: „Es ist angezeigt klarzustellen, dass – sofern dies aus technischen Gründen erforderlich ist – die öffentlichen Auftraggeber in der Lage sein sollten, eine maximale Größe der einzureichenden Dateien festzulegen.“ Daraus kann abgeleitet werden, dass von der EU-Kommission das Problem der Dateigröße bereits erkannt wurde. Ebenfalls wird offensichtlich davon ausgegangen, dass es eine Größenbegrenzung geben muss. Über die so vom Auftraggeber vorgegebene Dateigröße hinausgehende Daten sollen im Rahmen der E-Vergabe nicht mehr von diesem verarbeitet werden müssen.

Sachlich spricht viel dafür, dass etwa eine Dateigröße, die z.B. nicht mit den üblicherweise verbreiteten Internet-Anschlüssen sinnvoll verarbeitet werden kann, unter diese Fallgruppe zu fassen ist. Denn letztlich können dann die Vergabeunterlagen aufgrund der im Auftragsgegenstand begründeten Dateigröße nicht mit allgemein verfügbaren oder verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie heruntergeladen werden.2 Hierbei muss ferner berücksichtigt werden, dass im Rahmen der E-Vergabe zum Teil auch die Anforderungen angebundener Drittsysteme ggf. berücksichtigt werden müssen, wie etwa ERP-Lösungen, Dokumentenmanagement- oder Archivierungs-, aber auch integrierte Lösungen zur Verschlüsselung. Insofern ist eine absolute Begrenzung der Dateigröße nicht nur ein evident technisches Erfordernis, sondern auch rechtlich zulässig. Liegt die Dateigröße über den üblicherweise verarbeitbaren Formaten, ist der entsprechende technische Ausnahmefall begründet.

Die Folge

Im Hinblick auf die Bereitstellung der Vergabeunterlagen (§ 41 Abs. 2 Nr. 1 VgV) können diese ausnahmsweise auch auf einem anderen Weg als durch die allgemein verfügbaren Geräte oder Programme übermittelt werden. Hierzu gehört zunächst der Einsatz alternativer elektronischer Mittel unter den Voraussetzungen des § 12 VgV. Wenn auch diese speziell von der Vergabestelle bereitgestellten oder vom Bieter verwendeten Mittel nicht geeignet sind, kommt auch eine postalische Übermittlung in Betracht. Gleiches gilt für den Fall der elektronischen Angebotsabgabe.

Aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis dürfte aber zu folgern sein, dass sich die Ausnahme lediglich auf denjenigen Teil der Vergabeunterlagen bzw. des Angebotes bezieht, der nicht mit den allgemein verfügbaren elektronischen Mittel bereitgestellt werden kann. Für den Rest bleibt es bei der Verpflichtung zur Bereitstellung bzw. Übermittlung auf elektronischem Wege.

Weiterhin ist zu beachten, dass sich die Angebotsfrist gem. § 41 Abs. 2 Satz 2 VgV um fünf Tage verlängert, sofern nicht ein Fall hinreichend begründeter Dringlichkeit gemäß § 15 Abs. 3, § 16 Abs. 7 oder § 17 Abs. 8 VgV vorliegt.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Sonderfall Teilnahmewettbewerb

Nach dem Wortlaut des § 53 Abs. 2 VgV bezieht sich dieser nur auf den Fall der Angebotsabgabe. Wegen des eindeutigen Wortlauts wird deshalb teilweise explizit darauf hingewiesen, dass die Ausnahmebestimmung nicht für Teilnahmewettbewerbe gilt.3

Dass dies nicht sachgerecht ist, verdeutlicht das folgende Beispiel: Im Rahmen eines offenen Verfahrens werden mit der Angebotsabgabe Referenzen (etwa hochauflösende Bilder) abgefordert, die aufgrund der erheblichen Dateigröße nicht auf dem üblichen elektronischen Wege übermittelt werden können oder so groß sind, dass die Dateien von der Vergabestelle nicht ohne weiteres heruntergeladen werden können. Aufgrund dessen wäre die postalische Übermittlung auf Datenträgern im Rahmen der Angebotsabgabe erlaubt. Würden die identischen Referenzen aber in einem Teilnahmewettbewerb abgefordert, bliebe es bei der technischen Unmöglichkeit der Übermittlung per allgemein verfügbaren oder verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie. Trotz dieser Unmöglichkeit würde nach dieser Ansicht der entsprechende Ausnahmetatbestand nicht greifen. Da es für Teilnahmewettbewerbe keine spezielle Ausnahmebestimmung gibt, könnte die Vergabestelle die Referenzen bei wortlautgetreuer Anwendung faktisch nicht abfordern; ein völlig offensichtlich sachwidriges und unsinniges Ergebnis.

Auch wenn es noch keine Entscheidung hierzu gibt, dürfte die für die Angebotsabgabe explizit geregelte Ausnahme entsprechend auch für Teilnahmewettbewerbe anzuwenden sein. Insoweit liegt nahe, dass es sich hierbei um eine ungewollte Regelungslücke des Normgebers handelt, die eine analoge Anwendung auch für Teilnahmewettbewerbe ermöglicht.

Fazit

Der Verordnungsgeber hat mit der Regelung einen Spagat zwischen der Verpflichtung zur E-Vergabe und technisch begründeten Ausnahmefällen vollzogen. Mit Blick in die Zukunft dürfte das Problem außergewöhnlicher Dateigröße schrittweise kleiner werden, wenn auch die IT-Infrastrukturen der Auftraggeber leistungsfähiger bzw. für Bieter im ländlichen Raum auch Breitbandanschlüsse flächendeckend verfügbar sind.

Bildquelle: Stockwerk-Fotodesign – fotolia.de

Fussnoten

  1. Format DIN A0; so bspw. Horn in Müller-Wrede, VgV-Kommentar, § 41 Rz. 21; Krohn in Beck`scher Vergaberechtskommentar, § 41 Rz. 50
  2. ebenso: Horn in Müller-Wrede, VgV-Kommentar, § 41 Rz. 21
  3. so z.B. Lausen in Müller-Wrede, VgV-Kommentar, § 53 Rz. 33; Koch in Beck`scher Vergaberechtskommentar, § 53 Rz. 14