Die Textform wird in den verschiedenen Vergaberegimen an unterschiedlichen Stellen vorgeschrieben.

Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. So der in § 97 Abs. 4 festgelegte Grundsatz zur Losvergabe. Wer hiervon (ausnahmsweise) abweicht, muss dies – möglichst rechtssicher – begründen, da Lose zum Gegenstand von Nachprüfungsverfahren gemacht werden können.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Der Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. hat kürzlich die „Spielregeln“ zum Grundsatz der Losaufteilung und der ausnahmsweise zulässigen Gesamtvergabe eindrucksvoll dargelegt (Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4 / 18). Wer sich in diesem Bereich rechtssicher verhalten möchte, dem sei die nachfolgende Darlegung sehr empfohlen.

I. Zum Sachverhalt: Verpflichtung zur Losvergabe verletzt?

Die Vergabestelle schrieb Instandsetzungsmaßnahmen und Betriebsdienste für ihre Kreisstraßen im offenen Verfahren nach VOB/A europaweit aus.

In der Auftragsbekanntmachung war der Beschaffungsgenstand in einen Teil A „Erhaltungsmaßnahmen“ und einen Teil B „ Betriebsmaßnahmen“ unterteilt. Zu B gehörten u.a. auch Grünschnitt und Reinigungsleistungen. Ausweislich des Vergabevermerks ging es der Vergabestelle um „eine bestimmte Qualität der Straßeninfrastruktur während und am Ende der Vertragslaufzeit„; diese sollte „in einem bestimmten, jeweils im Auftrag festgelegten Umfang“ gewährleistet werden.

Ein Unternehmen, das lediglich Teil A erbringen konnte, sah die Verpflichtung zur losweisen Vergabe verletzt. Es gab kein Angebot ab und legte nach erfolglosem Nachprüfungsantrag sofortige Beschwerde beim OLG Frankfurt ein.

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II. Zur Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages

Vor dem Hintergrund, dass das Unternehmen kein Angebot abgegeben hat, widmete sich der Vergabesenat u.a. zunächst der Frage, ob und in welchem Umfang der Nachprüfungsantrag zulässig war.

Der Vergabesenat ging davon aus, dass in dieser Konstellation die Antragsbefugnis beschränkt sei. Wenn ein Unternehmen kein Angebot abgegeben habe und die Vergaberechtswidrigkeit der Ausschreibung rüge, beschränke sich die Antragsbefugnis auf solche Vergaberechtsverstöße, die kausal für den Entschluss gewesen sein können, kein Angebot abzugeben. Derartige Vergaberechtsverstöße führten entweder zur Aufhebung der Ausschreibung oder die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in das Stadium vor Angebotsabgabe. Demgegenüber könnten sich auf Fehler bei der Behandlung der eingegangenen Angebote nur solche Unternehmer berufen, die sich am Wettbewerb beteiligt haben.

Da die Antragstellerin bereits wegen der unterlassenen Fachlos-Aufteilung kein zuschlagsfähiges Angebot abgegeben habe, werde ihre eigene Rechtsposition durch etwaige (weitere) Vergabefehler nicht beeinträchtigt. Das gelte auch für den Fall, dass die Gesamtvergabe unzulässig sei. Denn in diesem Falle wäre das Verfahren ohnehin zu wiederholen, sodass dem Antragsteller durch etwaige (weitere) Fehler des vorliegenden Verfahrens ebenfalls kein Schaden entstehen könne.

Unter dieser Maßgabe war der Nachprüfungsantrag zulässig.

III. Zur Begründetheit des Nachprüfungsantrages

Allerdings hielt der Vergabesenat den Nachprüfungsantrag für unbegründet. Insbesondere sei die Vergabestelle nicht verpflichtet, den Auftragsgegenstand in Fachlosen auszuschreiben.

Dabei differenzierte der Vergabesenat zunächst wie folgt:

Von der Beschaffungshoheit der Vergabestelle sei grundsätzlich die Frage gedeckt, was beschafft werden soll.

Vorliegend stelle die Vergabestelle aber darauf ab, dass eine „ganzheitliche Infrastrukturbetreuung“ erforderlich sei. Die Verknüpfung von Erneuerungsaufwand und Betrieb betreffe die Festlegung des Mittels, um das gewünschte Ziel – die genannte Gewährleistung einer bestimmten Qualität der Straßeninfrastruktur – zu erreichen. Insoweit gehe es nicht mehr um das „Was„, sondern um das „Wie“ der Beschaffung. Dieser Aspekt sei ohne Weiteres den Detailregelungen des Vergaberechts unterworfen.

1. Losvergabe als Mittelstandsschutz

Eine derartige Regelung sei in § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB geregelt. Demnach seien Leistungen in Losen zu vergeben. Hiervon könne nach Satz 3 nur dann abgesehen werden, „wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern“. Mit dieser 2009 eingeführten Regelung soll der Mittelstandsschutz gestärkt werden; es sollen die Nachteile der mittelständischen Wirtschaft gerade bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Kapazitäten mittelständischer Unternehmen überfordern könnte, ausgeglichen werden. Deshalb soll von dem Gebot der Losvergabe nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen werden können.

Der Auftraggeber sei nicht gehalten, eine Ausschreibung so „zuzuschneiden“, dass bestimmte Wirtschaftsteilnehmer daran teilnehmen können.

Im Hinblick auf die Qualität des Ausnahmegrundes stellte der Senat zunächst fest, dass dieses klare Regel-/Ausnahmeverhältnis nicht mit dem Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes gleichgesetzt werden dürfe. Mittelstandsförderung durch Losvergabe sei kein Selbstzweck; der Auftraggeber sei nicht gehalten, eine Ausschreibung so „zuzuschneiden“, dass bestimmte Wirtschaftsteilnehmer daran teilnehmen können.

§ 97 Abs. 4 GWB sei vielmehr im Kontext der primären Ziele des Vergaberechts auszulegen, zu denen insbesondere auch die Wirtschaftlichkeit der Beschaffung gehört. Dabei seien auch die weiteren Grundsätze des Vergaberechts (Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit) sowie die vom Gesetzgeber nunmehr in § 97 Abs. 3 GWB normierten strategischen Ziele (Qualität, Innovation, soziale und umweltbezogene Aspekte) im Blick zu behalten.

Allerdings ergebe sich aus der klaren Wertung des Gesetzgebers, dass es nicht ausreiche, wenn der Auftraggeber anerkennenswerte Gründe für die Gesamtvergabe vorbringen könne; auch vermöge die Entlastung des Auftraggebers von typischerweise mit einer losweisen Vergabe verbundenen Koordinierungsaufgaben oder sonstigem organisatorischem Mehraufwand für sich allein ein Absehen von einer Losvergabe nicht zu rechtfertigen.

Erforderlich sei vielmehr, dass sich der Auftraggeber im Einzelnen mit dem grundsätzlichen Gebot der Fachlosvergabe einerseits und den im konkreten Fall dagegen sprechenden Gründen auseinandersetze und sodann eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange treffe. Im Ergebnis müssten die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen.

Dabei sei die Entscheidung des Auftraggebers von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf einer Fehlbeurteilung, namentlich auf Willkür, beruhe.

2. Entscheidung nicht zu beanstanden

Nach diesen Maßstäben sei die getroffene Entscheidung, von einer Fachlosvergabe Abstand zu nehmen, nicht zu beanstanden: So ergebe sich aus dem Vorbringen des Antragsgegners, dass das Konzept der „ganzheitlichen Infrastrukturbetreuung“ mit der Verknüpfung von Erneuerungsaufwand und Betrieb in technischer Hinsicht erhebliche Vorteile zur Erreichung des gewünschten Zieles – Gewährleistung einer bestimmten Qualität der Straßeninfrastruktur – biete. Besonders sei darauf abzustellen, dass eine „Gesamtverantwortung“ des Auftragnehmers für den Straßenzustand übertragen werde, die mit bestimmten Leistungsanreizen einhergehen.

Durch die Regelungen werde der Auftragnehmer auch zu einer betriebswirtschaftlich „intelligenten“ Herangehensweise, etwa hinsichtlich einer Abstimmung von Instandsetzung und Begleitmaßnahmen, angehalten, um Verfügungseinschränkungen so gering wie möglich zu halten. Diese Vorteile gingen über die bloße Entlastung des Auftraggebers von Koordinierungsaufgaben – die, wie oben dargestellt, nicht zur Rechtfertigung einer unterlassenen Losbildung geeignet sei – hinaus. Entscheidend sei, dass nicht nur Koordination und Ausführung in einer Hand lägen, sondern dass dies verbunden werde mit der klaren Letztverantwortlichkeit eines einzigen Auftragnehmers für den Zustand der Straßen. Es erscheine plausibel anzunehmen, dass hierdurch die Verfügbarkeit und die Qualität der Straßen im Interesse der Nutzer verbessert werde.

Weiterhin habe die Vergabestelle eine vertretbare Prognoseentscheidung dahingehend getroffen, dass die Gesamtvergabe auch wirtschaftlich vorteilhaft sei, was im Einzelnen begründet wurde.

In ihrem Vergabevermerk habe die Vergabestelle darüber hinaus auch die für eine Fachlosbildung sprechenden Gesichtspunkte, insbesondere eine Verbreiterung des Wettbewerbs im Hinblick auf eine größere Anzahl von Marktteilnehmern für die in Betracht kommenden Fachlose sowie das Gebot der Mittelstandsförderung in ihre Abwägung einbezogen. Dabei habe die Vergabestelle auch darauf hingewiesen, dass bei einer entsprechenden Ausschreibung 2014 durchaus mittelständische Unternehmen bei einer Gesamtvergabe zum Zuge kamen.

Damit habe die Vergabestelle alle wesentlichen Gesichtspunkte in ihre Abwägung einbezogen. In der Gesamtschau der Aspekte sei die Wertung der Vergabestelle nicht zu beanstanden, dass die Vorteile der ganzheitlichen innovativen Betreuung der Infrastruktur den Nachteil einer potentiell zu Lasten des Mittelstandes gehenden Verengung des Wettbewerbs überwiegen würden.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

IV. Hinweise für die Praxis

Die Entscheidung ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig eine plausible und durchdachte Begründung von Entscheidungen im Vergabeverfahren und deren Dokumentation im Vergabevermerk ist.

Im Kern hat das OLG gar nicht inhaltich die Entscheidung der Vergabestelle überprüft, sondern letztlich sehr ähnlich der gerichtlichen Überprüfung einer Ermessensentscheidung betrachtet, ob die Vergabestelle im Rahmen des Entschließungsermessens zu einer Gesamtvergabe geblieben ist und sie die dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Erwägungen dokumentiert hat.

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