Die Abgabe elektronischer Angebote „auf den letzten Drücker“ kann für Bieter dann zum Ärgernis werden, wenn zwar vor Ablauf der Angebotsfrist mit der Abgabe begonnen wird, die Angebote aber erst nach Fristablauf vollständig eingegangen sind, mithin als verfristet ausgeschlossen werden müssen.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Zum Ärgernis für Vergabestellen (und Lösungsanbieter) wird dies, wenn technische Probleme u.a. von Bietern mit dem Hinweis auf angebliche Nichterreichbarkeit der Vergabeplattform vorgetragen und zum Teil Rügen dergestalt initiiert werden, die Verfristung habe selbstverständlich nicht der Bieter zu vertreten.

Hierbei könnte eine neue Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH), die sich auch auf den Bereich der E-Vergabe übertragen lässt, Klarheit bringen.

Der BGH hat in einer nun veröffentlichten Entscheidung (Beschl. v. 27.09.2018, Az. IX ZB 67/17) grundlegend zu der Frage Stellung genommen, wie die Verantwortlichkeiten bei der digitalen Übertragung eines Faxes verteilt sind und wer die Verantwortung bei einer atypisch langen Übermittlungsdauer trägt.

Zum Sachverhalt

Ein Rechtsanwalt faxte am letzten Tag einer Frist um 23:58 Uhr eine Berufungsbegründung an das Gericht. Ausweislich des Einzelverbindungsnachweises war die Datenübermittlung erst um 0 Uhr und 34 Sekunden des Folgetages beendet. Die Frist war zu diesem Zeitpunkt damit um 34 Sekunden abgelaufen.
Letztlich hatte der BGH darüber zu entscheiden, ob die Berufung rechtzeitig eingelegt worden war, da der Sendevorgang vor Fristbeginn gestartet wurde.

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Zur Entscheidung

Ausgangspunkt der Prüfung des BGH war u.a. die Frage, ob die Berufung in der gesetzlichen Frist eingelegt worden war (§ 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO: „Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist.“).

Dabei müsse der Rechtsanwalt beweisen, dass er den Schriftsatz rechtzeitig an das Gericht abgesendet habe. Werde die Berufungsbegründung per Telefax übersandt, komme es allein darauf an, ob sie bei Ablauf des letzten Tages der Frist – bis 24:00 Uhr – vom Telefaxgerät des Gerichts vollständig empfangen wurde. Um die Frist zu wahren, hätte die Berufungsbegründung vor Beginn des auf den letzten Tag der Frist folgenden Tages um 00:00 Uhr (vollständig) eingehen müssen. Weil zwischen 24:00 Uhr und 00:00 Uhr keine (auch keine logische) Sekunde existiere, hätte dies vor Ablauf von 23:59 Uhr geschehen müssen. Dies war vorliegend nicht der Fall.

Von besonderer praktischer Bedeutung ist, dass sich der BGH zudem auch mit der Frage beschäftigte, wer das Risiko atypisch langer Übertragungszeiten trägt.
Als Ausgangspunkt stellte der BGH zunächst drei Voraussetzungen auf: Der Rechtsanwalt muss

  • ein funktionsfähigen Sendegerät ordnungsgemäß nutzen,
  • die korrekte Empfängernummer eingeben und
  • so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnen, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss vor Fristende zu rechnen sei.

Vor diesem Hintergrund treffe den Rechtsanwalt kein Verschulden an dem verspäteten Eingang eines Schriftsatzes, wenn die Telefaxübermittlung – etwa wegen technischer Störungen am Empfangsgerät oder wegen Leitungsstörungen – einen Zeitraum beansprucht, mit dem er nicht rechnen musste. Insoweit habe der Rechtsanwalt darauf vertrauen dürfen, dass die Übermittlung der Berufungsbegründung innerhalb der üblichen Übertragungsdauer entsprechend seiner – glaubhaft gemachten – Erfahrungswerte erfolgen würde.

Der BGH sah es allerdings als erforderlich an, einen Zeitbedarf von 30 Sekunden je Seite des Telefax anzusetzen, zumal bei der Faxübermittlung wegen schwankender Übertragungsgeschwindigkeiten eine gewisse Zeitreserve einzukalkulieren sei.

Da es fünf Seiten waren, habe der Rechtsanwalt gegen seine Sorgfaltspflichten verstoßen, indem er erst zwei Minuten vor Fristablauf mit dem Senden begann.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Praktische Hinweise

Auch wenn die vorstehende Entscheidung mit Blick auf die Versendung eines Telefax ergangen ist, gilt sie entsprechend auch für die Versendung elektronischer Angebote im Rahmen der E-Vergabe. Letztlich liegt beiden Formen der Datenübermittlung ein technisch vergleichbarer Vorgang zu Grunde. Einzig das beim Fax erforderlich Scannen beim Absender vor Versand weicht ab. Allerdings stellte das Gericht genau hierauf nicht ab, sondern auf die reine Übertragungsdauer unter Hinweis auf schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung mit Blick auf die Erfahrungswerte bei Übertragungszeiten elektronischer Dateien entwickelt.
Bis dahin gilt: Besser einen zeitlichen Sicherheitszuschlag für die Übertragung einräumen.

Zudem gilt, dass zu dem Übertragungszeitraum auch noch etwaige Unsicherheiten bei der Bedienung der jeweiligen Angebotsabgabe-Software hinzukommen können. Gleiches gilt für technische Probleme, die ihre Ursache in der Systemumgebung des Bieters haben. Beide Fälle haben mit der eigentlichen Übertragungszeit nichts zu tun und liegen allein in der (Risiko-)Sphäre des Bieters. Daher sollte sich jeder Bieter eben nicht „auf den letzten Drücker“ mit der Funktionsweise der Software zur Angebotsabgabe befassen und rechtzeitig testen, ob diese auch in der eigenen Systemumgebung zuverlässig funktioniert.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.com