Rechtsschutz im Vergaberecht: Sind Verträge unwirksam, die unter Verstoß gegen die (gesetzlich nicht geregelte) Vorabinformationspflicht geschlossen wurden?

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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In einer bemerkenswerten  Entscheidung vom 13.12.2017 hat das OLG Düsseldorf (Az. 27 U 25/17) aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen das Bestehen einer Informations- und Wartepflicht auch im Unterschwellenbereich – sowie der entsprechenden Nichtigkeitsfolge bei Verstößen – entwickelt. Im Rahmen dieses Beitrags möchten wir zur gefällten Entscheidung (zu der es sicher noch eine Reihe kontroverser Diskussionen geben wird) einen Überblick geben.

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Der Sachverhalt

Eine Stadt beabsichtigte, einem gemeinnützigen Förderverein eines ihrer Grundstücke zu überlassen. Der Verein sollte die auf dem Gelände vorhandenen Freizeitanlagen ausbauen, unterhalten und der Öffentlichkeit im Wesentlichen unentgeltlich zur Verfügung stellen.

Ein österreichisches Unternehmen gab an, ebenfalls in diesem Segment tätig zu sein und wollte im Wege einer einstweiligen Verfügung erreichen, dass die Stadt – vereinfacht dargestellt – den entsprechenden Vertrag ausschreibt bzw. im Wettbewerb vergibt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde vom Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die Berufung vor dem OLG Düsseldorf.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf urteilte zunächst, dass dem österreichischen Unternehmen das Rechtsschutzinteresse fehlte, was ausführlich begründet wurde. Der Antrag sei damit unzulässig.

Unabhängig davon stellte das OLG Düsseldorf in der Sache fest, dass es sich bei der Überlassung des Grundstücks um eine Dienstleistungskonzession handelte. Die Stadt beschaffe als öffentliche Auftraggeberin Dienstleistungen in Form von Freizeitmöglichkeiten für ihre Bürger und Besucher. Die Verwaltung und Instandhaltung der Anlage erfolge durch den Betreiber, der in erheblichem Umfang das Betriebsrisiko trage.

Auch unterhalb der Schwellenwerte und unterhalb einer Binnenmarkrelevanz erfordere der Gleichbehandlungsgrundsatz, Art. 3 GG, derartige Verträge in einem transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren zu vergeben, dessen es zur Durchführung bedurft hätte.

Bei Verstößen hiergegen stehe dem betroffenen Bieter der Zivilrechtsweg offen, um im Wege einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935, 940 ZPO ein Zuschlagsverbot erwirken zu können.

Hier bestand allerdings die Besonderheit, dass der Zuschlag bereits erteilt worden war. Der Primärrechtsschutz (die Einhaltung des Vergaberechts durch die Stadt) konnte vor diesem Hintergrund nicht mehr erreicht werden; es sei denn, der Vertrag wäre aus einem besonderen Grund unwirksam oder nichtig. Das OLG verneinte zunächst die Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit wegen

  • grenzüberschreitenden Interesses (Binnenmarktrelevanz) an der Grundstücksüberlassung,
  • einem etwaigen Verstoß gegen das beihilferechtliche Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV sowie wegen
  • kollusivem Zusammenwirkens der Stadt mit dem Förderverein (Nichtigkeit gem. § 138 BGB).

Danach prüfte das OLG die Frage, ob nicht auch im Unterschwellenbereich ohne explizite gesetzliche Grundlage eine Informations- und Wartepflicht anzunehmen sei. Verstöße dagegen sollten ebenso zu Nichtigkeit bzw. Unwirksamkeit führen, wie § 134 i.V.m. § 135 GWB für Oberschwellenvergaben vorsieht.

Eine Vertragsnichtigkeit könnte allerdings daraus resultieren, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin weder über den beabsichtigten Vertragsschluss informiert noch im Anschluss hieran eine angemessene Wartefrist eingehalten hat.

Es sprechen gewichtige Gründe dafür, auch im Unterschwellenbereich die Einhaltung einer Informations- und Wartepflicht durch den öffentlichen Auftraggeber zu verlangen. Nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union fordern die gemeinsamen Verfassungen der Mitgliedsstaaten und die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen effektiven und vollständigen Schutz gegen Willkür des öffentlichen Auftraggebers.

Dieser vollständige Rechtsschutz verlangt, sämtliche Bieter vor Abschluss eines Vertrages von der Zuschlagsentscheidung zu unterrichten. Ein vollständiger Rechtsschutz verlangt auch, dass zwischen der Unterrichtung abgelehnter Bieter und der Unterzeichnung des Vertrags eine angemessene Frist liegt, innerhalb der für den Bieter ein vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn er für die volle Wirksamkeit der Entscheidung in der Sache erforderlich ist (EuG, Urteil v. 20.09.2011, T-461/08).

Im nationalen Recht ist dies ebenfalls bereits in einigen Rechtsgebieten anerkannt. Schon vor Einführung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Beamten- und Richterbeförderungen die Informations- und Wartepflicht zu beachten (BVerwG, Urteil v. 04.11.2010, 2 C 16/09). Zur Vergabe von Wochenmarktveranstaltungen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass effektiver Primärrechtsschutz es gebietet, mindestens zwei Wochen nach Information der Bewerber über den Ausgang des Auswahlverfahrens abzuwarten, bevor mit dem ausgewählten Bewerber der Vertrag geschlossen wird (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.11.2010, OVG 1 S. 107.10).

Führt man diese Grundsätze konsequent fort, müsste, da nur dies effektiven Rechtsschutz sicherstellt, ein unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig eingestuft werden.

Die vorgenannten Erwägungen bedürfen mit Rücksicht auf die nachfolgenden Ausführungen im Streitfall indes keiner Vertiefung und Entscheidung.“

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

Die Bedeutung der Entscheidung für den Rechtsschutz im Vergaberecht

Wie aus dem letzten Absatz zu ersehen ist, waren die Ausführungen zur Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich letztlich nicht streitentscheidend. Damit hat das Gericht eine Sichtweise geäußert und ist nach sehr grundsätzlicher Ausführung wieder ein Stück zurückgerudert, indem es festgestellt hat, dass es keiner Vertiefung und Entscheidung bedürfe.

Für alle, die die Spruchpraxis und richterliche Rechtsfortbildung im Vergaberecht schon länger verfolgen, mögen sich allerdings Parallelen zur Münzplättchenentscheidung der Vergabekammer des Bundes (VK1 – 7/99) aufdrängen. Damals wurden auch aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie der Anlehnung an die Konkurrentenklage im Beamtenrecht zwei allgemeine Prinzipien abgeleitet.

  • Das eine Prinzip besagt, dass irreparable Entscheidungen soweit wie möglich vermieden werden müssten. Das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Hoheitsakts oder der Verweis auf einen Schadensersatzanspruch in Geld diesem Rechtsschutzanspruch in der Regel nicht genügten.
  • Das andere Prinzip besagt, dass das dem gerichtlichen Rechtsschutzverfahren vorgelagerte Verwaltungsverfahren nicht so ausgestaltet sein dürfe, dass es den gerichtlichen Rechtsschutz vereitele oder unzumutbar erschwere.

Aus diesen beiden Prinzipien ließe sich nach Ansicht der Vergabekammer ableiten, dass die Verwaltung immer dann zur Information über den Ausgang eines Verwaltungsverfahrens vor dessen Abschluss verpflichtet sei, wenn die das Verfahren abschließende Entscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden könne.

Wie die Vergabekammer vor fast zwei Jahrzehnten ausgeführt hat, träfe dies auch auf die Situation im Vergaberecht zu: Wenn Zuschlag und Vertragsschluss zusammenfallen, müsse vor Vertragsschluss eine Information erfolgen, damit der Bieter noch effektiven Rechtsschutz  im Vergaberecht erlangen kann.

Letztlich wurde aus diesen sehr grundsätzlichen Erwägungen die Notwendigkeit der Vorabinformation gefolgert, die dann später im § 13 VgV (a.F.) geregelt wurde und in die heutigen §§ 134 und 135 GWB Eingang gefunden hat.

Das OLG Düsseldorf hat diese Argumentation der Sache nach aufgegriffen und sie darüber hinaus europarechtlich untermauert. Es bleibt abzuwarten, wie andere Gerichte entscheiden oder ob sogar der Gesetzgeber die nun gesponnenen Fäden aufnimmt.

Jedenfalls könnte so die schwelende Diskussion zum Unterschwellenvergaberechtsschutz in Bewegung kommen.

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