Die Textform wird in den verschiedenen Vergaberegimen an unterschiedlichen Stellen vorgeschrieben.

Ob ein Auftrag als Liefer- und Dienstleistungsauftrag oder als Bauauftrag einzuordnen ist, bemisst sich anhand seines Hauptgegenstandes. Welche Fallstricke bei dessen Ermittlung bestehen können, erläutert Norbert Dippel beispielhaft anhand einer Entscheidung des Vergabesenats des Bayerischen Obersten Landesgerichts.

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Enthält ein öffentlicher Auftrag sowohl Bauleistungen als auch Liefer- und Dienstleistungen, stellt sich die Frage, welches Vergaberegime (VOB/A oder VgV) gewählt werden muss. Die Folgen dieser Entscheidung sind vielfältig, da sich VOB/A und VgV trotz aller Bemühungen um Vereinheitlichung noch immer in wesentlichen Punkten unterscheiden, etwa bei der Öffnung der Angebote.

Ebenso verbindet sich angesichts der deutlich unterschiedlichen europäischen Schwellenwerte von 5.538.000 Euro (für Bauaufträge) und 221.000 Euro (für Dienst- und Lieferaufträge) damit auch oftmals die Entscheidung, ob der Auftrag EU-weit oder national vergeben werden muss.

Gemäß § 110 Abs. 1 GWB ist für die Frage, ob ein Auftrag als Liefer- und Dienstleistungsauftrag oder als Bauauftrag einzuordnen ist, auf den Hauptgegenstand des Auftrags abzustellen. Dass man bei der Anwendung dieses Kriteriums zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann, zeigt eine kürzlich ergangene Entscheidung des Vergabesenats des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschluss vom 10.09.2025, Verg 6/25 e), in der die vorangegangene Entscheidung der Vergabekammer aufgehoben wurde.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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I. Der Sachverhalt

Die Auftraggeberin schrieb die als „Baumaßnahme“ bezeichnete Beschaffung eines Parkleitsystems im Wege einer öffentlichen Ausschreibung nach Abschnitt 1 VOB/A national aus. Parksuchende sollten über ein Leitsystem zu freien Parkplätzen in Parkhäusern oder Parkflächen geleitet werden.

Demensprechend enthielt das Leistungsverzeichnis einen Titel „Tiefbau“ (= Bauleistung) und einen Titel „Anzeigeelemente und Steuerung“ (=Liefer- und Dienstleistung).

Den Auftragswert schätzte die Antragsgegnerin zunächst auf 1.390.000,00 €.

Im Rahmen der Wertung kam dem (Datenerfassungs-)Konzept eine hervorgehobene Bedeutung zu (20 von 100 Wertungspunkten). Im Kern ging es dabei um die Langzeitgenauigkeit (hinsichtlich Abweichungen bei der Anzahl freier Stellplätze) und um die Frage, wie hoch der gegebenenfalls erforderliche Aufwand zur Nachkalibrierung des Ergebnisses ist. Aus den Hinweisen zum Bewertungsvorgehen ergab sich, dass Angebote nur dann zuschlagsfähig sind, wenn bei diesem Kriterium eine Mindestpunktzahl von 10 Punkten erreicht wird.

Die Antragstellerin, ein Unternehmen, das Elektro-Verlegesysteme vertreibt und montiert, rügte unter anderem erfolglos, dass eine europaweite Ausschreibung hätte erfolgen müssen, da es sich um eine Liefer- und Dienstleistung handele.

II. Der Beschluss der Vergabekammer

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für unzulässig, weil der streitgegenständliche Auftrag über die Errichtung eines Parkleitsystems als Bauauftrag zu klassifizieren sei, der bei dem geschätzten Auftragswert nicht hätte europaweit ausgeschrieben werden müssen. Die vom Auftrag umfassten Bauleistungen seien im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als Schwerpunkt und Hauptgegenstand des Auftrags anzusehen. Zwar machten die Kosten für die Bauleistungen nicht den überwiegenden Anteil aus: Ihr Wertanteil liege nach dem bepreisten Leistungsverzeichnis mit ca. 42 % und nach den Ausführungen der Vergabestelle mit ca. 49 % bei fast der Hälfte der Gesamtkosten.

Bei der Ermittlung des Hauptgegenstands seien insbesondere der Umfang und die Bedeutung der Bauleistungen zu berücksichtigen. Die Bauleistungen stellten vorliegend einen prägenden Teil des Auftrags dar und seien nicht nur von untergeordneter Bedeutung. Sie umfassten insbesondere das Herstellen von Fundamenten der Schilderstandorte, das Herstellen von Kabelgräben zum Verlegen von Energieanschlusskabeln und die erforderlichen Tiefbauleistungen im Rahmen der Herstellung der Detektionssysteme an den Parkierungsanlagen.

Dementsprechend seien die Bauleistungen wesentlich, ohne sie könne das Parkleitsystem nicht errichtet werden.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die vertiefend darauf hinweist, dass der Schwerpunkt der Leistung auf der Liefer- und Dienstleistung liege, sodass der Auftrag EU-weit ausgeschrieben hätte werden müssen.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Der Beschluss des Vergabesenats

Der Vergabesenat bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht widerspricht der Einordnung des ausgeschriebenen Auftrags als Bauauftrag deutlich und entscheidet, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet ist.

Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen prüft der Vergabesenat entsprechend § 110 Abs. 1 Satz 1 GWB, was der Hauptgegenstand des Auftrags ist.

Dabei stellt der Vergabesenat einleitend fest, dass der Wert der Bauleistungen nach der Schätzung der Auftraggeberin fast die Hälfte des geschätzten Auftragswerts ausmache. Allerdings komme dem Werten der jeweiligen Anteile der Bau- bzw. Liefer- und Dienstleistungen bei der Ermittlung des Hauptgegenstandes des Vertrags nur eine Orientierungs- und Kontrollfunktion zu. Trotz des hohen Anteils der Bauleistungen am Gesamtauftrag könne der Hauptgegenstand des Vertrags angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls aber auf den Liefer- und Dienstleistungen liegen.

Maßgeblich sei der anhand der rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtumstände zu ermittelnde Schwerpunkt des Vertrags. Dabei sei auf die wesentlichen, vorrangigen Verpflichtungen abzustellen, die den Auftrag als solche prägen, und nicht auf die Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Gegenstand des Vertrags folgen (unter Hinweis auf: EuGH, Urt. v. 26. Mai 2011, C-306/08, juris Rn. 90 f.; BayObLG, Beschl. v. 26. April 2023, Verg 16/22, juris Rn. 30 m. w. N.).

Vorliegend liege unter Berücksichtigung der Gesamtumstände der Schwerpunkt des Vertrags auf den Leistungen, die das Parkleitsystem letztlich ausmachen. Die Konzeption und die Errichtung eines Parkleitsystems würden den Vertrag prägen und nicht die zur Errichtung des Parkleitsystems (auch) erforderlichen Bauleistungen.

Dabei stellt der Vergabesenat darauf ab, dass die Parkplätze und Parkhäuser, die in das Parkleitsystem einbezogen werden sollen, bereits bestehen. Durch die Einrichtung eines Parkleitsystems ändere sich deren Nutzung nicht. Demgegenüber sei es Zweck des ausgeschriebenen Auftrags, die Parkplatzsuchenden über freie Kapazitäten zu informieren und dadurch insbesondere in der Altstadt Verkehr zu vermeiden, der durch die Parkplatzsuche entsteht. Entscheidend sei dafür, dass die freien Parkplätze und der Weg dorthin zutreffend angezeigt würden.

Die Bedeutung der Detektionsgenauigkeit für die Auftragserfüllung spiegele sich auch im Bewertungskriterium „Konzept“ wider: Sei das vorgelegte Konzept nicht geeignet, die geforderte Detektionsgenauigkeit dauerhaft zu gewährleisten, und werde es deshalb mit 0 Punkten bewertet, ist das Angebot nicht zuschlagsfähig.

Damit stehe im Einklang, dass sich die Auftraggeberin für eine funktionale Ausschreibung der Datenerfassungssysteme entschieden habe, um in den Angeboten eine möglichst optimale technische Lösung für die spezifischen Anforderungen im Gesamtsystem zu erhalten. Dies unterstreiche die Bedeutung des Datenerfassungskonzepts für den Gesamtauftrag.

Deshalb könne der Auftrag nicht als Bauauftrag gewertet werden, weshalb der geringere Schwellenwert zur Anwendung kommen müsse, so dass der Auftrag EU-weit ausgeschrieben werden müsse.

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IV. Hinweise für die Praxis

Der vorstehend besprochene Beschluss zeigt deutlich die Tragweite einer falschen Wahl des Vergaberegimes auf. Wird fälschlicherweise die VOB/A und nicht die VgV gewählt (oder andersherum), bleibt eigentlich nur die Aufhebung und die erneute Bekanntmachung des Beschaffungsvorhabens. „Zurück auf Start“ bedeutet immer Zeitverlust und unnötige Bindung von Ressourcen.

Titelbild: BCFC – shutterstock.com