
Die Aufteilung in Lose ist ein Grundpfeiler des deutschen Vergaberechts. Wann sind Ausnahmen zulässig und wie entwickelt sich die Rechtslage? Dieser Beitrag bietet einen Überblick über Regeln, Rechtsprechung und aktuelle Reformbestrebungen.
Die losweise Vergabe zählt zu den wohl prägnantesten Unterschieden zwischen der öffentlichen und der privatwirtschaftlichen Beschaffung: Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Damit wird das Ziel verfolgt, dass sich auch mittelständische Unternehmen direkt an großvolumigen Aufträgen beteiligen können.
Rechtslage
Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Der Vorrang der losweisen Vergabe ist in § 97 Abs. 4 GWB festgeschrieben:
(4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren.
Mit dieser Regelung wird Artikel 46 der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe umgesetzt; die deutsche Regelung geht aber zugleich über die europäischen Vorgaben hinaus, wie der Gesetzgeber auch in den Erläuterungen zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz einräumt. Dies sei zulässig, weil Artikel 46 Absatz 4 der Richtlinie klarstelle, dass strengere Anforderungen an die Losaufteilung zulässig sind.
Vergabeverordnung (VgV)
Ergänzend zu § 97 Absatz 4 GWB regelt § 30 VgV die Unterteilung von Aufträgen in Lose.
In Absatz 1 wird festgelegt, dass der öffentliche Auftraggeber festlegen kann, für welche Anzahl von Losen die Angebote eingereicht werden dürfen.
Absatz 2 verpflichtet ihn, die Höchstzahl der Lose pro Bieter in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbetätigung anzugeben.
Absatz 3 setzt schließlich die von der EU eingeräumte Möglichkeit in deutsches Recht um, wonach ein einziger Bieter den Zuschlag für mehr als ein Los erhalten kann.
Zum KMU-Begriff
Die Losvergabe dient der Förderung und Unterstützung der mittelständischen Wirtschaft. Bei der Bestimmung einer mittelstandsgerechten Losgröße haben die öffentlichen Auftraggeber die Besonderheiten der jeweiligen Branche zu berücksichtigen, der die Lieferung oder die zu erbringende Leistung überwiegend zuzurechnen ist. Dies stellt der Gesetzgeber in den Erläuterungen zu § 30 VgV klar.
Nicht ausreichend sei es demnach, lediglich die KMU-Definition der Europäischen Kommission zugrunde zu legen, die etwa für statistische Zwecke nach der Verordnung zur Statistik über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen herangezogen wird.
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Gesamtvergabe und Losvergabe
Der Vorrang der losweisen Vergabe schließt nicht per se aus, dass von ihr abgewichen wird. In diesem Fall spricht man von einer Gesamtvergabe oder – in Einzelfällen – Generalunternehmervergabe, bei der ein Unternehmer für die Koordination der von ihm beauftragten Subunternehmer zuständig ist.
Die Gesamtvergabe führt zu einem anspruchsvollen Begründungszusammenhang, da Lose zum Gegenstand von Nachprüfungsverfahren gemacht werden können. Der Sachverhalt war und ist Gegenstand zahlreicher Entscheidungen und Urteile der Spruchkörper, die wir regelmäßig im cosinex Blog vorstellen.
2018 hat beispielsweise der Vergabesenat des OLG Frankfurt a.M. die Spielregeln zum Grundsatz der Losaufteilung und der ausnahmsweise zulässigen Gesamtvergabe dargelegt (Beschluss vom 14.05.2018, 11 Verg 4 / 18). Norbert Dippel hat die Entscheidung im cosinex Blog vorgestellt.
Auch eine Entscheidung der Vergabekammer des Bundes (Beschluss vom 29.02.2024, VK 2 – 17 / 24) unterstreicht, dass für eine Generalunternehmervergabe die konkrete Situation von dem regelmäßig vorliegenden Normalfall abweichen muss. Denn nur diese besonderen Gründe vermögen eine Ausnahme zu rechtfertigen. Die ausführliche Beschlussbesprechung finden Sie hier.
Bereits 2021 hat ebenfalls die VK Bund klargestellt, dass die wirtschaftlichen oder technischen Gründe des öffentlichen Auftraggebers für den Verzicht auf eine Losaufteilung die Interessen der mittelständischen Bieter überwiegen müssen (15.07.2021, VK 1 – 54 / 21).
Die rechtlichen Risiken sind hoch: Dass eine unterbliebene Losaufteilung auch noch nach Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden kann, zeigt ein Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts (vom 06.09.2023, Verg 5 / 22), den wir hier vorstellen.
Leitfäden zur Losvergabe
Der Gesetzgeber verweist im Rahmen der oben aufgeführten Normen teilweise auf Leitfäden, die nicht mehr oder nur nach Recherchen zu finden sind. So wird in den Erläuterungen zu § 30 VgV auf den „Leitfaden mittelstandsgerechte Teillosbildung“ verwiesen; der dabei angegebene Link funktioniert indes nicht mehr.
Der Leitfaden wird nach wie vor vom Wirtschaftsministerium zur Verfügung gestellt und ist derzeit hier zu finden. Er dient vor allem als Anleitung zur Bedienung eines Online-Berechnungstools, das online nicht mehr auffindbar ist. Mit seiner Hilfe sollte die ideale Losgröße für ein typisches mittelständisches Unternehmen des betroffenen Leistungsbereiches für verschiedene Branchen und Gewerke ermittelt werden können.
Auch ein „Europäischer Leitfaden für bewährte Verfahren zur Erleichterung des Zugangs kleiner und mittlerer Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen“, der in einem Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen vom 25. Juni 2008 zu finden sein soll, ist nicht auffindbar. Auf ihn verweist der Normengeber in den Erläuterungen zu § 30 VgV im Kontext des KMU-Begriffs.
Ausnahmen von der losweisen Vergabe
Im Zuge der Vereinfachung und Beschleunigung des Vergaberechts hat die Politik in verschiedenen Sektoren Ausnahmen von der losweisen Vergabe beschlossen oder plant, dies zu tun.
Wasserstoffbeschleunigung
So sieht der Entwurf eines Gesetzes für den Wasserstoffhochlauf vor, dass mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden können, wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen. Insbesondere zeitliche Gründe hätten infolge des „zügigen Markthochlaufs“ eine hohe Bedeutung.
Bundeswehrbeschaffung
Im Entwurf eines Gesetzes zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr sieht die Bundesregierung die vollständige Aussetzung der Verpflichtung zur Losvergabe bis Ende 2030.
Die Begründung verweist auf die aktuelle sicherheitspolitische Lage und eine veränderte Rolle Deutschlands, die eine deutliche Stärkung der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung erfordere.
LNG-Beschleunigungsgesetz
Schon 2022 wurde das Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (LNG-Beschleunigungsgesetz – LNGG) beschlossen, das die Anwendung von § 97 Abs. 4 GWB ausschließt.
Vergabebeschleunigungsgesetz
Im Gesetzentwurf zur Vereinfachung des Vergaberechts (Vergabebeschleunigung) hält die Bundesregierung am Losgrundsatz fest. Vorgesehen sind lediglich Möglichkeiten zur Abweichung vom Losgrundsatz bei dringlichen Infrastrukturvorhaben, die aus dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ finanziert sind.
Die Länder halten dies für eine ungeeignete Einschränkung im Sinne einer wirksamen Vergabebeschleunigung. Eine entsprechende Beschlussvorlage des Wirtschaftsausschusses im Bundesrat fordert eine allgemeine Flexibilisierung, die neben wirtschaftlichen und technischen auch zeitliche Gründe für Gesamtvergaben anerkennt und den Maßstab von „erfordern“ auf „rechtfertigen“ senkt.
Losvergabe im europäischen Vergleich
Deutschland geht wie dargelegt über die europäischen Anforderungen hinaus. Unsere Recherche zeigt: Nur wenige EU-Länder haben ähnlich weitreichende Verschärfungen vorgenommen, während die Mehrheit bei der EU-Mindestimplementierung geblieben ist.
Frankreich verfolgt den wohl strengsten Ansatz in Europa. Das Code de la commande publique (Artikel L2113-10) schreibt vor: „Les marchés sont passés en lots séparés“ – Aufträge werden grundsätzlich in separaten Losen vergeben. Die französischen Begründungsanforderungen sind außergewöhnlich detailliert: Es müssen „considérations de droit et de fait“ (rechtliche und tatsächliche Erwägungen) dokumentiert werden.
Der italienische Codice dei Contratti Pubblici (Artikel 58) geht ebenfalls über EU-Standards hinaus. Italien pflegt eine verpflichtende Losaufteilung mit drei spezifischen Kategorien: funktionale, leistungsbezogene oder quantitative Aufteilung. Flankiert wird dies um ein ausdrückliches Verbot künstlicher Losbündelungen und die Möglichkeit, die maximale Anzahl der Lose pro Bieter zu begrenzen.
Die Niederlande verfolgen einen dualen Ansatz aus „Clusterverbod“ (Verbot der Auftragszusammenfassung) und „Perceelsgebod“ (Pflicht zur Losaufteilung). Schweden hat die Begründungspflicht über die EU-Anforderungen hinaus in § 14 LOU kodifiziert.
Die Mehrheit der EU‑Mitgliedstaaten hat hingegen die EU-Vorgaben umgesetzt, ohne darüber hinausgehende Anforderungen zu schaffen. Besonders in Mittel- und Osteuropa wird die Verfahrensvereinfachung priorisiert.
Losvergabe in den cosinex Lösungen
Losweise Vergaben führen schnell zu einer hohen Komplexität bei der Darstellung von Vergabeverfahren. Wir legen daher höchsten Wert darauf, unseren Nutzern hierbei die größtmögliche Übersicht zu bieten.
So stellen wir beispielsweise Kopiermöglichkeiten auf verfahrensweit getätigte Angaben als Komfortfunktion zur Verfügung für alle Angaben, die sich losübergreifend nicht unterscheiden.
Entsprechend der wie oben dargelegt hohen Anforderungen bei Begründung und Dokumentation ermöglichen wir bereits seit VMS-Version 7 die Erfassung von Angebotsdetails pro Los. Zudem wird ein losspezifischer Preisspiegel angezeigt, der unter anderem die Summe aller Bestpreise der einzelnen Lose berechnet.
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Beitragsbild: BCFC – shutterstock.com
