Inwieweit ist der Auftraggeber verpflichtet, Informationsvorsprünge einzelner Bieter bei den anderen Vergabeinteressenten auszugleichen? Ein Beschluss des Vergabesenats bei dem OLG Saarbrücken bietet Hinweise. Relevant sei die Gebietskörperschaft, nicht lediglich die Behörde, so Norbert Dippel in seiner Beschlussbesprechung.

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Eine Vorbefassung liegt vergaberechtlich vor, wenn ein Unternehmen vor der eigentlichen Ausschreibung in die Planung, Vorbereitung oder Beratung des öffentlichen Auftraggebers eingebunden war und dadurch einen Informations- oder Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Bietern erhalten könnte.

Diese Mitwirkung an der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens ist in § 7 Abs. 1 VgV vergaberechtlich klar geregelt:

Hat ein Unternehmen oder ein mit ihm in Verbindung stehendes Unternehmen den öffentlichen Auftraggeber beraten oder war auf andere Art und Weise an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens beteiligt (vorbefasstes Unternehmen), so ergreift der öffentliche Auftraggeber angemessene Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme dieses Unternehmens nicht verzerrt wird.

Hiermit korrespondiert der Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB:

Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Lässt sich die aus der Vorbefassung resultierende Wettbewerbsverzerrung nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen erreichen, so kann also der Ausschluss des betreffenden Bieters erfolgen.

So weit, so scheinbar klar. Der Vergabesenat bei dem OLG Saarbrücken hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss (vom 07.05.2025, 1 Verg 1 / 25) jedoch eine Konstellation aufgezeigt, in der die Wettbewerbsverzerrung angenommen wurde, obwohl das betreffende Unternehmen nicht in die Vorbereitung des konkreten Vergabeverfahrens eingebunden war.

I. Der Sachverhalt

Der folgende Beschluss wurde bereits im Kontext des richtigen Umgangs mit Rügen vorgestellt. Wir führen die wesentlichen Informationen hier zum besseren Verständnis erneut auf.

Das Landesamt für Umwelt- und Arbeitsschutz (nachfolgend: Auftraggeber) führte ein Vergabeverfahren durch, welches die Erstellung von Vermessungsplänen sowie den Modellaufbau und die Berechnung von Hochwassergefahrenkarten für verschiedene saarländische Gewässer umfasste.

Gemäß Leistungsbeschreibung stellte der Auftraggeber den Bietern von sich aus eine Reihe von Daten zur Verfügung, welche sie unmittelbar nach dem Erhalt in das eigene IT-System zu übernehmen, zu sichten sowie auf Vollständigkeit und offensichtliche Fehler zu überprüfen hatten.

Die spätere Beigeladene konnte bei der Ausarbeitung des Angebotes einen hohen Preisnachlass gewähren, weil sie nach eigener Aussage auf Daten aus einem früheren Forschungsprojekt zurückgreifen konnte. Damals hatte sie einen Auftrag zur Entwicklung eines 2D-Starkregenmodells von einer anderen Landestochter erhalten.

Im laufenden Vergabeverfahren bat die spätere Antragstellerin darum, ihr das im Rahmen des vorgenannten Forschungsprojektes herausgearbeitete Modellnetz zur Verfügung zu stellen, um so den eigenen Aufwand der Vorarbeiten reduzieren zu können. In diesem Zusammenhang wies sie auch darauf hin, dass sich für diejenigen Bieter, denen die Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt werden, unter Umständen Wettbewerbsnachteile ergeben würden.

Der Auftraggeber erklärte daraufhin, dass er nicht Auftraggeber des Forschungsprojekts gewesen sei und daher keine Daten aus diesem Projekt zur Verfügung stellen könne.

Nachdem die spätere Antragstellerin im Rahmen der Vorabinfomation davon erfahren hat, dass der Auftraggeber den Auftrag an die Beigeladene vergeben möchte, stellte er einen Nachprüfungsantrag. Letztlich hatte sich nunmehr der Vergabesenat bei dem OLG Saarbrücken mit der Frage auseinanderzusetzen, ob eine Wettbewerbsverzerrung aufgrund der Vorbefassung der Beigeladenen vorliegt.

II. Die Entscheidung

Der Vergabesenat hält den zulässigen Nachprüfungsantrag für begründet.

1. Keine „klassische Vorbefassung“

Der Vergabesenat hat zunächst verneint, dass eine Vorbefassung im Sinne des eingangs zitierten § 7 Abs. 1 Alt. 2 VgV vorliegt. Denn die Daten wurden während eines anderen, von dem hiesigen Vergabeverfahren unabhängigen Projekts gewonnen. Die Beigeladene war somit nicht mit der Vorbereitung des nunmehr streitbefangenen Vergabeverfahrens befasst.

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2. Dennoch ausgleichspflichtiger Informationsvorsprung

Aus der Verneinung des § 7 Abs. 1 Alt. 2 VgV folge aber nicht, dass ein etwaiger bei der Beigeladenen bestehender Wissens- und Informationsvorsprung vergaberechtlich stets unbeachtlich wäre.

Vielmehr handele es sich bei dem Umgang mit Bietern, die einen Wissensvorsprung gegenüber ihren Mitbewerbern haben, um ein grundsätzliches Problem des Vergaberechts. Dabei gelte im Ausgangspunkt, dass Wissensvorsprünge gegenüber anderen Bietern nicht per se ausgleichspflichtig seien, sondern nur dann, wenn besondere Umstände vorlägen.

Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen stellt der Vergabesenat zunächst fest, dass die Beigeladene die im Forschungsprojekt angefallenen Daten auch in diesem Vergabeverfahren verwenden könne und dadurch Vorteile habe. Dies drücke sich in dem ungewöhnlich hohen Preisnachlass aus, den die Beigeladene gewähren konnte.

Vor diesem Hintergrund bestünde ein ausgleichspflichtiger Wettbewerbsvorteil, weil die Antragsgegnerin über die entsprechenden Daten verfügt oder jedenfalls einen Anspruch auf Überlassung gegen die Beigeladene hat, die Daten jedoch im – bezogen auf den Bieterkreis – exklusiven Zugriffsbereich der Beigeladenen belässt.

Bei diesen Daten handele es sich nicht um ein allgemeines und damit nicht ausgleichspflichtiges Know-how. Denn die Beigeladene habe diese Daten weder für sich selbst noch für einen unbeteiligten Dritten, sondern im Auftrag des Saarländischen Umweltministeriums als einer obersten Behörde der Antragsgegnerin gewonnen.

Deswegen könne die Antragsgegnerin nicht einwenden, dass es sich bei dem Ministerium im Verhältnis zu dem das Vergabeverfahren durchführenden LUA um einen unbeteiligten Dritten im vergaberechtlichen Sinn handele, weshalb der etwaige Wissensvorsprung der Beigeladenen als ein nicht ausgleichungspflichtiges allgemeines Know-how einzuordnen sei.

Vielmehr ergebe sich aus § 99 GWB und Art. 2 Nr. 1 RL 2014/24/EU, dass die Eignung, öffentlicher Auftraggeber zu sein, grundsätzlich Rechtsfähigkeit voraussetzt. Dementsprechend sind die für diese Gebietskörperschaften als Vergabestellen handelnden Behörden nicht selbst als Auftraggeber im vergaberechtlichen Sinn anzusehen. Schon aus diesem Grund ist bei der vorliegenden Ausschreibung und dem Forschungsprojekt der identische Auftraggeber betroffen, mögen für sie auch jeweils unterschiedliche nachgeordnete Stellen agiert haben.

Die Antragsgegnerin müsse sich als Gebietskörperschaft das Wissen der für sie im Rahmen der unmittelbaren Staatsverwaltung tätigen Stellen ohne Weiteres zurechnen lassen.

Die Antragsgegnerin habe auch die Möglichkeit, diese Daten anderen Bietern als der Beigeladenen zur Verfügung zu stellen, was sich aus den Bedingungen des Forschungsauftrages ergibt. Die Bereitstellung erscheine auch ökonomisch keineswegs sinnlos, da weitere Bieter bei Nutzung der Daten aus dem Forschungsprojekt günstigere Angebote formulieren können.

Vor diesem Hintergrund ist die hier gegebene Situation nicht anders zu bewerten, als würde ein öffentlicher Auftraggeber bestimmte für die Ausschreibung relevante Informationen exklusiv nur einem oder einzelnen Bietern zukommen lassen.

Im Rahmen des § 97 Abs. 2 GWB (Gleichbehandlungsgrundsatz) sei deshalb der Auftraggeber verpflichtet, Informationsvorsprünge einzelner Bieter bei den anderen Vergabeinteressenten auszugleichen, soweit dies tatsächlich möglich ist. Sei der Auftraggeber demgegenüber außerstande, ein bestehendes Informationsdefizit oder einen vergleichbaren Vorteil in Natur auszugleichen, komme grundsätzlich auch der Ausgleich von Kostenvorteilen durch Nichtberücksichtigung eines Preisabschlags in Betracht.

III. Hinweise für die Praxis

Wollte man Immanuel Kant etwas mehr als 300 Jahre nach seinem Geburtstag etwas überstrapazieren, könnte man die vorstehende Entscheidung wie folgt zusammenfassen: Begibt sich der Auftraggeber dadurch in die vergaberechtliche Unmündigkeit, dass er die Erkenntnis/ die Daten in dem exklusiven Zugriffsbereich eines Bieters belässt, so hat er diese selbst verschuldet. Die selbstverschuldete Unmündigkeit exkulpiert nicht, sondern verpflichtet dazu, den Wissensvorsprung auszugleichen.

Die Zurechnung des Wissens bzw. der Möglichkeit der Informationsbeschaffung auf der Ebene der Gebietskörperschaft – hier des Bundeslandes – und nicht der konkreten Behörde, die die Beschaffung durchführt, schneidet viele Ausreden ab. Letztlich ist vor dem Vergabeverfahren zu prüfen, ob weitergehende Informationen in der Landesverwaltung verfügbar sind oder angefordert werden können.

Titelbild: BCFC – shutterstock.com