
Zwar haben sich die rechtlichen Regelungen zur Rüge bewährt. Auftraggeber und Bieter sollten dennoch verschiedene Fallstricke kennen und in der Praxis berücksichtigen. Norbert Dippel stellt diese anhand eines aktuellen Beschlusses des Vergabesenats bei dem OLG Saarbrücken vor.
Dass es im Vergabeverfahren „knirscht“, stellt die Vergabestelle spätestens dann fest, wenn die erste Rüge auf dem Schreibtisch liegt. Grundsätzlich ist eine Rüge nichts Schlimmes, bietet sie doch die Möglichkeit, den gerügten Sachverhalt zu überdenken und gegebenenfalls zu korrigieren.
Soll der Rüge nicht abgeholfen werden, schafft diese Entscheidung Klarheit für das weitere Verfahren. Denn der rügende Bieter/Bewerber muss innerhalb von 15 Kalendertagen einen Nachprüfungsantrag stellen. Ein später gestellter Nachprüfungsantrag ist unzulässig.
Die rechtlichen Regelungen zur Rüge haben sich in der Praxis bewährt. Dennoch gibt es verschiedene Fallstricke, die sowohl Auftraggeber als auch Bieter kennen sollten. Der Vergabesenat bei dem OLG Saarbrücken hat hierzu in einem kürzlich ergangenen Beschluss (vom 07.05.2025, 1 Verg 1 / 25) Stellung genommen.

Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
I. Der Sachverhalt
Eine Landesbehörde des Saarlandes führte ein Vergabeverfahren durch, welches die Erstellung von Vermessungsplänen sowie den Modellaufbau und die Berechnung von Hochwassergefahrenkarten für verschiedene saarländische Gewässer umfasste.
Die spätere Beigeladene konnte bei der Ausarbeitung des Angebotes einen hohen Preisnachlass gewähren, weil sie nach eigener Aussage auf Daten aus einem früheren Forschungsprojekt zurückgreifen konnte. Damals hatte sie einen Auftrag zur Entwicklung eines 2D-Starkregenmodells von einer anderen Landestochter erhalten.
Im laufenden Vergabeverfahren richtete die Antragstellerin eine als „Bieteranfrage“ bezeichnete Nachricht an den Auftraggeber. Darin bat sie darum, ihr das im Rahmen des vorgenannten Forschungsprojektes herausgearbeitete Modellnetz zur Verfügung zu stellen, um so den eigenen Aufwand der Vorarbeiten reduzieren zu können. In diesem Zusammenhang wies die Antragstellerin auch darauf hin, dass sich für Bieter, denen die Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt werden, unter Umständen Wettbewerbsnachteile ergeben würden.
Der Auftraggeber erklärte, dass er nicht Auftraggeber des Forschungsprojektes gewesen sei und daher keine Daten aus diesem Projekt zur Verfügung stellen könne.
Nachdem die Antragstellerin durch das Informationsschreiben nach § 134 GWB davon erfahren hat, dass die Beigeladene den Zuschlag erhalten sollte, rügte sie die vorgesehene Zuschlagserteilung wegen deren Vorbefassung im Rahmen des 2D-Starkregenmodells als wettbewerbswidrig. Dieser Rüge hat die Antragsgegnerin nicht abgeholfen.
In dem anschließenden Nachprüfungsverfahren verteidigte sich die Antragsgegnerin unter anderem damit, dass es sich bei der „Bieteranfrage“ um eine Rüge gehandelt habe. Mit Wirksamwerden der Erklärung über die Nichtabhilfe sei deshalb die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB in Gang gesetzt worden. Da der Nachprüfungsantrag nicht innerhalb der Frist von 15 Kalendertagen ab Zurückweisung der Rüge eingereicht wurde, sei der Nachprüfungsantrag unzulässig.
II. Die Entscheidung
Nach Ansicht des Vergabesenats ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig. Insbesondere seien nicht mehr als 15 Tage zwischen Nichtabhilfeentscheidung und Nachprüfungsantrag vergangen. Die vermeintliche Wettbewerbsverzerrung mit der Rüge der in Rede stehenden Vergaberechtsverstöße sei nicht präkludiert.
1. Zur 15-Tagesfrist
Zunächst verweist der Vergabesenat darauf, dass ein Nachprüfungsantrag unzulässig ist, soweit mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB).
Diese Frist schränke den Rechtsschutz des Bieters zeitlich ein, weshalb an die Eindeutigkeit der Nichtabhilfe-Mitteilung hohe Anforderungen zu stellen seien. Deshalb müsse die entsprechende Mitteilung eindeutig dahingehend zu verstehen sein, dass der Auftraggeber einer Rüge nicht abhelfen wolle, um die Frist von 15 Kalendertagen auslösen zu können.
Es gelte der Grundsatz der restriktiven Interpretation von Präklusionsvorschriften. Solche Anforderungen könnten vorliegend schon deshalb nicht erfüllt sein, weil die Antwort der Antragsgegnerin auf die in Rede stehende „Bieteranfrage“ mit „Beantwortung Bieterfragen final“ überschrieben gewesen seien, was im einleitenden Satz auch wieder aufgegriffen wurde.
2. Zur Kenntnis vom Vergabeverstoß
Nach Ansicht des Vergabesenats ist die Antragstellerin in Bezug auf diese Rüge auch nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Hs. 1 GWB präkludiert. Nach dieser Vorschrift ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat.
Diese Rügeobliegenheit setzt voraus, dass der Antragsteller
- positive Kenntnis von den tatsächlichen Umständen hatte, die den Vergaberechtsverstoß begründeten, und
- über ein wenigstens laienhaftes Verständnis darüber verfügte, dass diese Tatsachen einen Verstoß gegen vergaberechtliche Bestimmungen begründen.
Wenn – wie es insbesondere in den Fällen einer möglichen Vorbefasstheit liegt – der vermeintliche Vergaberechtsverstoß nur in Bezug auf einzelne Bieter bestehen kann, setzt die positive Kenntnis von dem Verstoß voraus, dass ebendiese Bieter sich durch Einreichen eines Angebots auch an dem Vergabeverfahren beteiligt haben. Hält ein Bieter es lediglich für möglich, dass ein vorbefasster Konkurrent vergaberechtswidrig bevorzugt werden könnte, handelt es sich um bloße Spekulation, welche noch keine positive Kenntnis begründet.
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin ausgeführt, dass sie die Bieteranfrage lediglich mit der Absicht stellte, Informationen über etwaige Erleichterungen bei den maßgeblichen Vorarbeiten zu erhalten. Dies erscheine wenigstens plausibel, woran auch der Hinweis auf sich unter Umständen ergebende Wettbewerbsnachteile für die Bieter, denen diese Daten nicht zur Verfügung stehen, nichts ändere. Hierin komme nämlich nicht zum Ausdruck, dass die Antragstellerin um die Beteiligung von Bietern, die über diese Daten verfügen, positive Kenntnis gehabt hätte.
Schließlich liege hier auch keine Konstellation vor, in der aufgrund der gegebenen Umstände positive Kenntnis unterstellt werden könne. Letzteres würde voraussetzen, dass sich aus den dem Antragsteller bekannten Tatsachen einem redlich Denkenden der Rechtsverstoß geradezu aufdrängen müsste. Das wäre etwa anzunehmen, wenn aus den Unterlagen eindeutig erkennbar würde, dass die Ausschreibung von vornherein mit Blick auf eine Vergabe gerade an die Beigeladene erfolgt wäre. Für eine solche Konstellation fehlt vorliegend freilich jeder Anhaltspunkt.
Folglich erlangte die Antragstellerin von dem von ihr angenommenen Vergaberechtsverstoß erst mit der Mitteilung nach § 134 GWB positive Kenntnis. Insoweit sei die 15-Tages-Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Hs. 1 GWB eingehalten.

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III. Hinweise für die Praxis
Ein rechtssicheres Vergabeverfahren lebt von Transparenz und Eindeutigkeit. Selbstverständlich hat es kein öffentlicher Auftraggeber in der Hand, ob eine Rüge eingeht. Er kann aber durch Transparenz den Zeitpunkt der Rüge ein Stück weit steuern.
Beispielsweise hätte in dem hier wiedergegebenen Fall der Hinweis auf den im Rahmen des Forschungsauftrages tätigen Bieter in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen für Klarheit gesorgt. Das Problem der Vorbefasstheit wäre somit nicht erst mit dem Vorabinfomationsschreiben (§ 134 GWB) sondern schon zu Beginn des Vergabeverfahrens bekannt gewesen und eine entsprechende Rügeobliegenheit hätte früh gegriffen.
Muss ein Verfahren aufgrund einer Rüge korrigiert werden, nehmen mit steigendem Fortschritt des Vergabeverfahrens oftmals auch die Schwierigkeiten und die zeitlichen Verzögerungen zu, die mit einer Korrektur einhergehen.
Sollte einer Rüge nicht entsprochen werden, ist auch bei der Nichtabhilfeentscheidung Klarheit angezeigt. Weil die Mitteilung dieser Entscheidung an den Bieter/Bewerber eine sogenannte Notfrist auslöst, die nicht verlängert werden kann, kann ein Nachprüfungsantrag nur innerhalb der nachfolgenden 15 Kalendertage gestellt werden.
Der damit einhergehende Verlust des Rechtsschutzes ist für den Bieter bzw. Bewerber nur dann zu rechtfertigen, wenn die Nichtabhilfeentscheidung klar und deutlich formuliert wurde. Eine explizit als Antwort auf eine Bieteranfrage bezeichnete Mitteilung als Nichtabhilfeentscheidung einer Rüge umzudeuten, ließ der Vergabesenat nicht durchgehen.
Die Entscheidung weist auch interessante Aspekte zu dem Umgang mit Bietern aufgrund einer Vorbefassung auf. Diese werden in einem Folgeartikel dargestellt.
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