Die Universität der Bundeswehr München hat eine umfangreiche Analyse des Beschaffungs- und Vergabewesens in Nordrhein-Westfalen vorgelegt. Erstmals liegt damit eine umfassende Analyse des Beschaffungsverhaltens der Landesverwaltung vor.

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Das Forschungsvorhaben „Evidenzbasierte Einblicke in das Beschaffungs- und Vergabewesen NRW (Nordrhein-Westfalen)“ wird im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klima und Energie NRW (MWIKE) von der Universität der Bundeswehr München durchgeführt.

Anlässe und Ziele des Berichts

Mit dem Forschungsvorhaben wird das Ziel verfolgt, das Beschaffungsverhalten des Landes NRW daten- und evidenzbasiert transparenter zu machen und ein tiefgreifendes Verständnis für die Ströme öffentlicher Beschaffungsausgaben zu entwickeln.

Notwendig ist das Forschungsvorhaben aufgrund der sehr stark variierenden Angaben zum Beschaffungsvolumen des Landes NRW. Sie reichen von 3,4 Mrd. Euro im Jahr 2021 laut der Vergabestatistik bis hin zu verschiedenen, landesspezifischen Studien, die das jährliche Auftragsvolumen des Landes NRW zwischen 40 und 100 Mrd. Euro einordnen.

Ein weiterer Grund ergibt sich daraus, dass bisher die umfangreichen, landesintern zur Verfügung stehenden Daten zur Beschaffung nicht in eine datengestützte, übergreifende Betrachtung des Beschaffungsverhaltens des Landes NRW einfließen.

Der Landesrechnungshof NRW hat zudem die Entscheidungen zur Anpassung der Vergabewertgrenzen während der COVID-19-Pandemie kritisiert und eine bessere Dokumentation und Nachverfolgung (Monitoring und Evaluation) dieser Entscheidungen gefordert.

Datengrundlage

Bei dem Forschungsvorhaben handelt es sich um den ersten datengetriebenen Ansatz zur Beschaffungstransformation in NRW. Die Analysen umfassen umfangreiche interne und externe Datenquellen, darunter das cosinex Vergabemanagementsystem (VMS), die Vergabestatistik sowie die TED-Datenbank.

Mit über 48 spezifischen Kennzahlen, basierend auf internationalen Best Practices, wurde ein Kennzahlenkonzept geschaffen, das strategische und operative Ziele adressiert. Sieben Leitmotive (nachhaltig, wirtschaftlich, innovativ, professionell und effizient, digital, transparent und fair, frei verfügbar) wurden definiert und auf die Anforderungen der Landesverwaltung abgestimmt.

Zentrale Befunde

Das Beschaffungsverhalten der Landesverwaltung Nordrhein-Westfalen zeigt ein Spannungsfeld zwischen ambitionierten Zielen und der tatsächlichen Einkaufspraxis. Eine umfassende Analyse entlang sieben strategischer Leitmotive zeichnet erstmals ein datenbasiertes Gesamtbild.

Nachhaltigkeit bleibt Randerscheinung

Nachhaltigkeitskriterien finden nur in einem geringen Anteil der Vergaben Berücksichtigung. Lediglich 13 Prozent der Vergaben nach VgV enthalten allgemeine Nachhaltigkeitshinweise, bei umweltbezogenen Aspekten sind es sogar nur 9 Prozent.

Wirtschaftlichkeit dominiert die Vergabeentscheidungen

Die Auswertungen zeigen, dass der Preis nach wie vor das dominierende Entscheidungskriterium darstellt. In 65 Prozent aller Vergaben erfolgt der Zuschlag ausschließlich nach dem niedrigsten Preis. Zwar gewinnt beim Beschaffungsvolumen das Prinzip des „wirtschaftlich günstigsten Angebots“ an Bedeutung, doch innovative oder nachhaltige Kriterien bleiben dabei selten berücksichtigt.

Innovationspotenzial bleibt ungenutzt

Ausschreibungen mit hohem technischem Innovationspotenzial erhalten im Schnitt 44 Prozent weniger Angebote als konventionelle Beschaffungen. Seit 2011 ging die Anzahl der Angebote bei innovativen Ausschreibungen stark zurück (-32 Prozent).

Professionalisierung macht Fortschritte

Die steigende Nutzung des Vergabemanagementsystems (VMS) seit einer politischen Leitentscheidung im Jahr 2018 deutet den Autoren zufolge auf einen Fortschritt in der digitalen Abwicklung hin. Dennoch bleibt der Nutzungsgrad uneinheitlich, und das Potenzial für effizientere Vergabeprozesse gilt als noch nicht ausgeschöpft.

Digitalisierung auf dem Weg

Entsprechend zeigt die digitale Transformation des Beschaffungswesens Fortschritte, aber auch Fragmentierungen. Verschiedene Behörden nutzen unterschiedliche Systemkonfigurationen, was einheitliche Standards und Datenanalysen erschwert. Der Anstieg bei der VMS-Nutzung ist ein positives Signal, doch fehlt es an einer durchgängigen Systemintegration.

Transparenz und Fairness mit Lücken

Die Datenlage zum Beschaffungsverhalten ist heterogen, und die verschiedenen Datenquellen lassen sich nur bedingt miteinander vergleichen. Dies schafft Interpretationsspielräume und erschwert eine objektive Bewertung. Besonders problematisch: Die Gesamtzahl der Vergaben für die Landesverwaltung NRW ist derzeit nicht bekannt.

Freie Verfügbarkeit von Daten – mit Einschränkungen

Obwohl Vergabedaten in verschiedenen Systemen wie TED, Vergabestatistik und Open.NRW verfügbar sind, mangelt es an Harmonisierung und einheitlichen Standards. Die unterschiedlichen Datenformate und -inhalte erschweren eine konsistente Analyse und Bewertung des Beschaffungsverhaltens.

Empfehlungen

Die Autoren der Studie geben Gestaltungsempfehlungen in drei Aktionsfeldern ab.

Recht & Regulierung als Innovationstreiber

Das Vergaberecht wird in Nordrhein-Westfalen bislang vor allem als bürokratische Hürde wahrgenommen – dabei könnte es zum Innovationstreiber werden. „Eine evidenzbasierte Einflussnahme auf das Vergaberecht eröffnet völlig neue Möglichkeiten“, betonen die Autoren. Der Bericht empfiehlt, die nun vorliegenden Datenanalysen gezielt zu nutzen, um praxisorientierte Verbesserungen im Landesvergaberecht anzustoßen.

Gerade im Bereich der Ausschreibungen mit hohem Innovationspotenzial könnte ein modernisiertes Vergaberecht wichtige Impulse setzen. Nordrhein-Westfalen solle zudem seine Expertise für eine bundesweite Weiterentwicklung des Vergaberechts einbringen und gleichzeitig den Kommunen konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand geben.

Management & Steuerung neu denken

Eine zentrale Erkenntnis des Berichts: 80 Prozent der Vergaben machen nur 20 Prozent des Beschaffungsvolumens aus. „Diese Erkenntnis bietet enormes Effizienzpotenzial“, konstatieren die Autoren. Durch konsequente Bündelung in Rahmenverträgen könnten erhebliche Ressourcen freigesetzt werden, die dann für strategisch bedeutsamere Beschaffungen zur Verfügung stünden.

Der Schlüssel zur Verbesserung: Kompetenzen bündeln und professionalisieren. Eine „NRW-Akademie für den öffentlichen Einkauf“ könnte die Qualifikation von Beschaffern systematisch verbessern. „Die Komplexität moderner Beschaffung erfordert spezialisiertes Know-how – von Marktanalysen über innovationsfördernde Verfahren bis hin zur Digitalisierung“, so die Autoren.

Ergänzend empfehlen die Experten eine „Einkaufsleiterrunde NRW“, in der sich Entscheider aus Landes- und Kommunalbehörden vernetzen. Dieses Gremium könnte das neu entwickelte Einkaufsdashboard nutzen, um mittel- und langfristige Handlungsbedarfe zu identifizieren und einen strukturierten Wissenstransfer zwischen den Behörden zu fördern.

Strukturen & Prozesse modernisieren

Die praktische Anwendung der Datenanalysen steht im Mittelpunkt des dritten Aktionsfelds. Ein Einkaufsdashboard könne gezielt bei der Vorbereitung konkreter Vergabeverfahren unterstützen. Es biete Einblicke in den Wettbewerb innerhalb der jeweiligen Warengruppe und ermöglicht die Identifikation anderer Mandanten mit ähnlichen Beschaffungsprofilen.

Ferner wird vorgeschlagen, den Einkauf durch eine Portfoliosicht strategisch neu auszurichten. Statt jede Vergabe isoliert zu betrachten, ermöglicht dieser Ansatz eine ganzheitliche Betrachtung des Beschaffungsportfolios. Warengruppen mit hohem Volumen oder hoher Beschaffungsfrequenz können priorisiert werden, um Effizienz- und Kostenvorteile zu realisieren.

Die Daten zeigen: Die Nutzung digitaler Vergabesysteme hat seit 2018 deutlich zugenommen, bleibt aber fragmentiert. Eine durchgängige Systemintegration könnte erhebliche Prozessverbesserungen bringen. Der Bericht empfiehlt zudem, den Beschaffungsmarkt systematisch zu analysieren, um potenzielle Risiken wie Lieferantenabhängigkeiten zu minimieren und Innovationen frühzeitig zu erkennen.

Quelle und Link

Der Abschlussbericht Evidenzbasierte Einblicke in das Beschaffungs-und Vergabewesen NRW wurde mit Stand zum 16.12.2024 vom Arbeitsgebiet Beschaffung der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Universität der Bundeswehr München vorgelegt. Die Autoren sind Hendrik H. Bangert, Moritz Brandstetter, Jun.-Prof. Dr. Christian von Deimling und Univ.-Prof.Dr. Michael Eßig. Die Executive Summary kann hier heruntergeladen werden.

Vertiefende Einblicke bietet außerdem die Seite Öffentliche Aufträge in Nordrhein-Westfalen von wirtschaft.nrw.

Titelbild: kat herbst – Pixabay