
Die fortschreitende Erhöhung der Wertgrenzen für Direktaufträge verändert die öffentliche Beschaffung grundlegend. cosinex Geschäftsführer Carsten Klipstein ordnet ein, welche organisatorischen Weichen jetzt gestellt werden müssen – und warum die Diskussion gerade erst beginnt.
Auch in Brandenburg sollen 100.000 Euro der neue Standard werden, Nordrhein-Westfalen plant den weitreichenden Abbau vergaberechtlicher Pflichten für Kommunen im Unterschwellenbereich, und auch Bayern verknüpft deutlich erhöhte Auftragswertgrenzen für Direktaufträgen mit wegfallenden Pflichten.
Was nach Bürokratieabbau klingt, wirft in der Praxis komplexe Fragen auf: Wer darf künftig was beschaffen – und wie organisiert man das sinnvoll? Direktaufträge bedeuten nicht automatisch Dezentralisierung. Vielmehr geht es um nichts weniger als die Weiterentwicklung zentraler Vergabestellen hin zu einem strategischen Einkauf.

Der Autor
Carsten Klipstein ist Geschäftsführer der cosinex GmbH sowie der GovTech GmbH und CEO der GovTech Gruppe. Als Projektleiter hat er unterschiedlichste E-Government-Projekte geleitet. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zu den Themen Vergaberecht, E-Government und Verwaltungsmodernisieurng.
Wie viel Dezentralität ist möglich – und nötig?
Fest steht, dass Einkauf und Beschaffung zumindest prüfen müssen, ob sie sich organisatorisch neu aufstellen müssen. Schon unsere Umfrage Maverick Buying: Einkauf am Einkauf vorbei? hat ergeben, dass der Einkauf – und insbesondere die zentralen Vergabestellen – eine größere Rolle in strategischen Entscheidungen einnehmen sollte.
Folgerichtig erscheint dabei, dass die Erhöhung der Wertgrenzen für Direktaufträge die Wahrscheinlichkeit einer stärkeren Dezentralisierung der Beschaffung erhöht. Beschaffung wandert mindestens in Teilen zu den Fachbereichen und Bedarfsstellen.
Damit endet der Organisierungsbedarf jedoch nicht, denn die sich ergebenden Anschlussfragen und Herausforderungen sind zahlreich. Sie betreffen unter anderem
- Maverick Buying, also den Einkauf an bestehenden Rahmenvereinbarungen vorbei,
- das Fortbestehen rechtlicher Anforderungen etwa im Bereich der Binnenmarktrelevanz, die Vergabestatistik und Abfragen im Wettbewerbsregister,
- Rollen und Rechte: Welche Aufgaben erfolgen in einem Vergabe- und Beschaffungsprozess trotz der geänderten Rahmenbedingungen unverändert zentral und welche dezentral?
- Die Diffusion von Wissen und Information im Allgemeinen, beispielsweise hinsichtlich der Existenz von Rahmenverträgen und gegebenenfalls bestehenden Abrufverpflichtungen.
Organisationen müssen sich neu erfinden
Nicht nur aus diesen Gründen liegt nahe, dass eine vollständige Dezentralisierung nach Erhöhung der Wertgrenzen ebenso ausgeschlossen werden kann wie eine vollständige zentrale Beschaffung für jeden „Handkauf“. Schließlich kann die Ausgestaltung eines Direktauftrags über 1.000 Euro nicht die gleiche sein wie die über 99.000 Euro.
Betroffene Organisationen werden daher klären müssen, wie sie sich für die neue Beschaffungswelt aufstellen wollen. Die Kernfrage lautet, bis zu welchen organisationsinternen Wertgrenzen und für welche Leistungen eine dezentrale Beschaffung zugelassen werden soll. Anders formuliert: Bis zu welchen Wertgrenzen überwiegen die Vorteile der dezentralen Beschaffung ihre Nachteile und Risiken?
Organisation und Digitalisierung Hand in Hand
Während sich Einkauf und Beschaffung organisatorisch neu erfinden, erweitern wir bereits unser Produktportfolio um Lösungen für die dezentrale Struktur: Das Modul „Erfassung Direktauftrag“ („EDI“) in vergabe.NRW ist dabei ein erster Schritt. Lösungen für alle Kunden sind in Umsetzung.
Für zentrale Vergabestellen gilt, dass nicht nur für förmliche Vergabeverfahren der cosinex Vergabemarktplatz und das Vergabemanagementsystem einschließlich entsprechender, laufender Anpassungen wesentliche Elemente der öffentlichen Beschaffung bleiben werden. Mit beidem werden Sie auch für die neue Vergabewelt gut gerüstet sein.
Bei der Transformation von zentralen Vergabestellen zu einem strategischen Einkauf eröffnet sich die Chance, Organisation und Digitalisierung gemeinsam und Hand und Hand zu vollziehen. Gerne unterstützen wir Sie mit unserer Expertise aus über zwanzig Jahren Erfahrung in der Digitalisierung des öffentlichen Auftragswesens.
Die Diskussion beginnt jetzt
Dieser Beitrag ist als Auftakt einer Diskussion gedacht. Bei der Frage, wie wir diese fortsetzen, richten wir uns nach Ihnen. Unter den Aspekten des Maverick-Buyings, digitaler Werkzeuge für Direktkäufe und der Zusammenarbeit zwischen Fachbereich und Vergabestelle ist das Thema zudem wohl thematisch der rote Faden auf dem diesjährigen Vergabesymposium.
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Titelbild: Suriyo – Adobe Stock