
Nordrhein-Westfalen plant, alle landesrechtlichen Wertgrenzen für kommunale Vergabeverfahren aufzuheben. Das sieht die Landesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften vor.
Am 11. Februar 2025 hat das Landeskabinett Nordrhein-Westfalen den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen beschlossen.
Die zuständige Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, Ina Scharrenbach, hat den Entwurf am 13. Februar dem Landtagspräsidenten zugesandt, er befindet sich als Vorlage 18/3597 in der Parlamentsdatenbank des Landtags.
Wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfs
Mit dem Entwurf plant das Land, notwendige Änderungen in der nordrhein-westfälischen Kommunalgesetzgebung umzusetzen, die sich unter anderem aus dem Antrag der Koalition Kommunale Demokratie und kommunales Ehrenamt als Fundament unserer freiheitlichen Demokratie stärken und fördern ergeben haben.
Eine zentrale Änderung betrifft das „gestufte Aufgabenmodell“ von 1981, dessen Grundannahme – dass höhere Einwohnerzahlen automatisch zu gesteigerter Verwaltungskraft führen – angesichts zunehmender Aufgaben und Personalknappheit nicht mehr zeitgemäß erscheine.
Weitere Anpassungen zielen auf die Stärkung der interkommunalen Zusammenarbeit durch Überarbeitung des Nachbarschaftsprinzips, die Vereinfachung des kommunalen Vergaberechts besonders bei Unterschwellenvergaben sowie Änderungen bei den kommunalen Versorgungs- und Zusatzversorgungskassen ab.
Das Artikelgesetz sieht Änderungen an den folgenden Normen vor:
- Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen
- Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen
- Landschaftsverbandsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen
- Gesetz über den Regionalverband Ruhr
- Gesetz über den Landesverband Lippe
- Gesetz über kommunale Gemeinschaftsarbeit
- Gesetz über die kommunalen Versorgungskassen und Zusatzversorgungskassen im Lande Nordrhein-Westfalen
- Gemeindeprüfungsanstaltsgesetz
- Kommunalhaushaltsverordnung Nordrhein-Westfalen
- Kommunalunternehmensverordnung
Kommunales Vergaberecht erleichtern
Im Koalitionsvertrag betonten die Koalitionäre, dass die kommunalen Vergabegrundsätze vorbildlich für Deutschland seien und über das Jahr 2022 hinaus verlängert und zu einer Rechtsverordnung fortentwickelt werden sollten. Im Zuge von Erfahrungen mit diesen soll nunmehr das kommunale Vergaberecht wesentlich erleichtert und die Unterschwellenvergabe freigegeben werden.
Dafür erhält die Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen einen neuen § 75a Allgemeine Vergabegrundsätze, der im Entwurf folgenden Wortlaut hat:
(1) Die Gemeinde hat die Vergabe von öffentlichen Aufträgen vorbehaltlich anderweitiger Rechtsvorschriften wirtschaftlich, effizient und sparsam unter Beachtung der Grundsätze von Gleichbehandlung und Transparenz zu gestalten. Dies gilt auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer unterhalb der jeweils geltenden Schwellenwerte nach § 106 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245) in der jeweils geltenden Fassung liegt. Die Geltung höherrangiger Vorschriften sowie der Vorschriften für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert die in Satz 2 genannten Schwellenwerte erreicht, bleibt unberührt.
(2) Die Gemeinde selbst darf weitere Vergaberegelungen nur durch den Beschluss einer Satzung erlassen.
Mit dieser Regelung würden alle landesrechtlichen Wertgrenzen für kommunale Vergabeverfahren aufgehoben. Kommunen wären nach Inkrafttreten grundsätzlich erst ab Erreichen der europäischen Schwellenwerte verpflichtet, förmlich auszuschreiben.
Pflicht zur Anwendung von UVgO und VOB/A entfällt
Mit der Gesetzesänderung ist § 26 Kommunalhaushaltsverordnung Nordrhein-Westfalen aufzuheben, was Artikel 9 des Gesetzentwurfs vorsieht. Die Pflicht für Kommunen, im Unterschwellenbereich bei der Vergabe von Aufträgen über Bauleistungen die VOB/A (Abschnitt 1) und bei Aufträgen über Liefer- und Dienstleistungen die bundesrechtliche Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) grundsätzlich anzuwenden, entfällt also.
Die Regelung, wonach Kommunen Aufträge nur zu Marktpreisen erteilen dürfen, sei laut der Landesregierung bereits durch die Allgemeinen Haushaltsgrundsätze in § 75 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen berücksichtigt.
§ 75a Absatz 1 würde dann die Pflicht einer Gemeinde regeln, die Vergabe öffentlicher Aufträge – vorbehaltlich anderer Rechtsvorschriften – wirtschaftlich, effizient und sparsam unter Beachtung der Grundsätze von Gleichbehandlung und Transparenz zu gestalten. Das Recht auf ein diskriminierungsfreies und transparentes Verfahren ergäbe sich bereits insbesondere aus Artikel 3 des Grundgesetzes. Hiernach würden den Kommunen neben den „Allgemeinen Vergabegrundsätzen“ im EU-Unterschwellenbereich keine weiteren Pflichten auferlegt.
„Schweizer Modell“
Mit dem Wegfall der Bindung kommunaler Ausschreibungen an die VOB/A wird dem Normengeber zufolge in Nordrhein-Westfalen das sogenannte „Schweizer Modell“ umgesetzt:
Auch in der Schweiz erhält die Bieterin oder der Bieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag. Damit ist nicht immer der niedrigste Angebotspreis verbunden. Kriterien wie Qualität, Zweckmäßigkeit und Betriebskosten können durch die Kommune vorgegeben und damit berücksichtigt werden.
Dadurch soll die Qualität einer Leistung im Rahmen einer kommunalen Ausschreibung wieder ein höheres Gewicht bekommen.
Mehr Vorgaben bleiben möglich
Nordrhein-westfälische Kommunen erhalten hiernach künftig vergaberechtlich ebenso viel Handlungsfreiheit wie ihre Tochtergesellschaften. Das sei ein erheblicher Beitrag zum Bürokratieabbau.
Nach § 75a Absatz 2 dürfen die Kommunen aber weiterhin örtliche Vergaberegelungen erlassen, die örtlich ein höheres Anforderungsniveau als einen Globalverweis auf Gleichbehandlung und Transparenz festlegen. Eine solche Selbstbeschränkung habe aber im Wege des Satzungsbeschlusses zu erfolgen.
So soll der Rat in die Lage versetzt werden, sich mit dem eigenen Regelungswerk auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden, ob und inwieweit in einem örtlichen Regelungswerk mehr Vorgaben als dann gesetzlich zwingend erforderlich vorgesehen werden soll.
Änderung der Kommunalunternehmensverordnung
In der Folge ist § 8 Anwendung der Vergabegrundsätze der Kommunalunternehmensverordnung zu ändern, was der Gesetzentwurf unter Artikel 10 vorsieht. Er hat im Entwurf den folgenden Wortlaut:
Kommunalunternehmen haben Vergaben von öffentlichen Aufträgen vorbehaltlich anderweitiger Rechtsvorschriften wirtschaftlich, effizient und sparsam unter Beachtung der Grundsätze von Gleichbehandlung und Transparenz zu gestalten, soweit die Auftragsvergabe der Erfüllung von durch Satzung übertragenen hoheitlichen Aufgaben aus den in § 107 Absatz 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen angeführten Bereichen dient. Dies gilt auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer unterhalb der jeweils geltenden Schwellenwerte nach § 106 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013 (BGBl. I S. 1750, 3245) in der jeweils geltenden Fassung liegt.
Inkrafttreten
Einzelne Artikel bzw. Nummern des Gesetzentwurfs sollen mit Beginn der neuen Wahlperiode, also nach den am 14. September 2025 stattfindenden Kommunalwahlen in Kraft treten. Dies gilt nicht für die vergaberelevanten Teile des Entwurfs, die am Tag nach der Verkündung in Kraft treten sollen.
Vom Vergabemanagement zum Einkaufsmanagement
Wie Kommunen hiernach zukünftig die konkrete Ausgestaltung der Anforderungen an Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit, Transparenz, Wettbewerb, Gleichbehandlung etc. umsetzen, ist offen. Jedenfalls scheint nicht erwartbar, dass dies einheitlich geschieht. Den Chancen steht die Frage entgegen, ob dies öffentliche Aufträge aus Bietersicht attraktiver macht.
So oder so werden Vorgaben und Handlungsleitfäden erforderlich; für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Vergabestelle und Fachbereich, die zudem auch in Zukunft auf klare, digitale Prozesse angewiesen sein werden, ohnehin. Aber auch für Rechnungsprüfungsämter, die Gemeindeprüfanstalt und zur Korruptionsprävention bedarf es einheitlicher Prüfungsmaßstäbe.
Mit dem Vergabemanagementsystem besteht ein Werkzeug und eine Dokumentationshilfe, um neben der unverändert obligatorischen EU-weiten Vergabe auch Direktaufträge und weitere Beschaffungsvorgänge in Anlehnung an bekannte Prozesse schlank und medienbruchfrei abzubilden sowie konform der unverändert bestehenden haushaltsrechtlichen Vorgaben zu dokumentieren. Erforderlich würden allenfalls Konfigurationsanpassungen. Viele Organisationen beschaffen bereits seit Jahren mit unseren und anderen Lösungen analog zum Unterschwellenvergaberecht, ohne dazu verpflichtet zu sein. Hierzu zählen Krankenkassen, Universitäten, Kliniken bis hin zu Einrichtungen des Bundes im Verteidigungsbereich.
Die Abschaffung der Wertgrenzen wird in einigen Bereichen der Dezentralisierung der Beschaffung Vorschub leisten. Hierzu passt, dass ab Mitte März mit dem neuen Modul Erfassung Direktauftrag von vergabe.NRW (eDI) die wohl erste KI-unterstützte Lösung zur Erfassung von Direktkäufen für Landesbehörden an den Start geht – näheres dazu finden Sie hier im cosinex Blog.
Der Bedarf nach solchen oder vergleichbaren Lösungen wird im Fall des Inkrafttretens des Entwurfs spätestens zum Herbst sicher steigen.
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Titelbild: Martin Kraft CC BY-SA 3.0 DE Deed
Ich kann Herrn Prof. Wunschel nur beipflichten. Wenn Verwaltungen über Vereinfachungen nachdenken, haben diese offenbar lediglich Verwaltungen im Blick, nicht aber die Leistungsanbieter.
Wer es den Dienstleistern selbst nicht einfacher macht, sich in transparenten Verfahren mit möglichst wenig Bearbeitungsaufwand erfolgreich zu beteiligen, darf sich nicht wundern, wenn die Anzahl von Anbietern weiter zurückgeht.
Dass gerade die bewährte VOB/A bei Bauleistungen nicht mehr anzuwenden ist, nehme ich als Paradigmenwechsel war. Den Vorteil kann ich nicht erkennen. Es war ja bisher schon möglich Leistungsaspekte bei der Vergabe von Bauleistungen zu berücksichtigen.
Mir scheint, es fehlt – wie leider wiederkehrend in Sachen Vergaberecht – die praxisorientierte Weitsicht im Gesamtkontext (Vergabestellen und Leistungsanbieter).
Unter der Überschrift „Entbürokratisierung“ wird die Einheitlichkeit der Verfahren in NRW also ausgesetzt. Im Ergebnis werden sich viele Kommunen eigene Verfahren ausdenken oder die bisherigen Verfahren „mit lokalen Anpassungen“ weiterverwenden. Ergebnis wird also ein noch größeres Durcheinander, ein noch größeres Chaos für die Bieterseite und damit das Gegenteil jeder Vereinfachung sein… Gleichzeitig wird in den betroffenen Amtsstuben die Furcht umgehen, (übrigens strafbewehrte) Fehler zu machen…
Fazit: Ein klassisches Beispiel, wie man es nicht machen sollte!