
Mit dem vorzeitigen Ende der Koalition aus SPD, Grünen und FDP gelangen auch ihre wesentlichen vergaberechtlichen Vorhaben nicht zum Abschluss: Das Vergabetransformationspaket und die Bundestariftreue lagen kaum als Referentenentwürfe vor, als der Bundeskanzler die Vertrauensfrage mit der Folge der am 23. Februar stattfindenden vorgezogenen Bundestagswahl ankündigte. Die Entwürfe sind somit dem Diskontinuitätsprinzip unterlegen.
Auch wenn die Gesetzesvorhaben als solche nicht mehr verabschiedet werden, können sie in der Rückschau und im Fall erneuter Reformvorhaben an Bedeutung gewinnen. In diesem Beitrag fassen wir daher unsere bisherige Berichterstattung über die Genese beider Vorhaben und ihre wesentlichen Inhalte zusammen.
Der Koalitionsvertrag
Die Zielsetzung, öffentliche Vergabeverfahren zu vereinfachen, zu professionalisieren, zu digitalisieren und zu beschleunigen fand sich bereits im Koalitionsvertrag der Ampel (SPD, Grüne, FDP) aus dem Jahr 2021. Weiter hieß es dort:
Die Bundesregierung wird die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ ausrichten und die Verbindlichkeit stärken, ohne dabei die Rechtssicherheit von Vergabeentscheidungen zu gefährden oder die Zugangshürden für den Mittelstand zu erhöhen. Wir werden die bestehenden Anforderungen entsprechend des europäischen Vergaberechts im nationalen Vergaberecht präzisieren. Die öffentliche Hand soll sich am Aufbau eines Systems zur Berechnung von Klima- und Umweltkosten beteiligen.
Wir wollen die rechtssichere Digitalisierung in diesem Bereich vorantreiben und dazu eine anwenderfreundliche zentrale Plattform schaffen, über die alle öffentlichen Vergaben zugänglich sind und die eine Präqualifizierung der Unternehmen ermöglicht. Wir wollen schnelle Entscheidungen bei Vergabeverfahren der öffentlichen Hand fördern und unterstützen dabei Länder und Kommunen bei der Vereinfachung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit.
Die Forderung nach einem Bundestariftreuegesetz fand sich im Kapitel Tarifautonomie: Demnach werde die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrages der jeweiligen Branche gebunden. Dabei solle die Vergabe auf einer einfachen, unbürokratischen Erklärung beruhen.
Die Konsultationsverfahren
Rund ein Jahr später wurden beide Reformvorhaben durch das Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit dem Instrument der Konsultation öffentlich eingeleitet. Dabei waren Organisationen, Unternehmen und Verbände sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, sich mittels Fragebögen zu den Vorhaben zu äußern.
Die Konsultation zur Bindung der Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung von Tarifverträgen (Bundestariftreue) endete am 23. Dezember 2022 mit 65 eingegangenen Stellungnahmen.
Zur Reform des Vergaberechts – erstmals öffentlich als Vergabetransformationspaket tituliert – konnte die Öffentlichkeit einen 21 Fragen umfassenden Fragebogen in folgenden fünf „Aktionsfeldern“ ausfüllen:
- Stärkung der umwelt- und klimafreundlichen Beschaffung
- Stärkung der sozial-nachhaltigen Beschaffung
- Digitalisierung des Beschaffungswesens
- Vereinfachung und Beschleunigung der Vergabeverfahren
- Förderung von Mittelstand, Start-ups und Innovationen
Hierzu sind über 450 Stellungnahmen eingegangen, zu denen am 6. Juni 2023 ein inhaltlicher Austausch begann. Das Plenum moderierte Staatssekretär Sven Giegold, der als Schwerpunkt der Rückmeldungen den „Abbau überflüssiger und überaufwändiger Bürokratie“ – also das Aktionsfeld Vereinfachung und Beschleunigung – ausmachte. Rund drei Viertel der Stakeholder hätten dieses als wichtigstes Thema benannt. Knapp ein Drittel habe jeweils die nachhaltige Beschaffung und die Digitalisierung als wichtigstes Thema gewählt.
Lange Wartezeit
Der seitens des BKMS kommunizierte Zeitplan, laut dem ein Referentenentwurf zum Vergabetransformationspaket im Winter 2023/24 vorliegen und das parlamentarische Verfahren im ersten Halbjahr 2024 stattfinden würde, wurde nicht eingehalten. Im September 2023 drang aus der Kabinettsklausur in Meseberg, Wirtschaftsminister Robert Habeck werde das Vergaberecht „angehen“. Im Februar 2024 berichteten Medien, dass im März ein Entwurf vorliegen sollte.
Auch die Bundestariftreue wurde aufgeschoben: Im Juli 2024 antwortete die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU, dass ein Entwurf des Bundestariftreuegesetzes „im Laufe des Sommers“ in die Ressortabstimmung gehen solle. Im August bekräftigte die Bundesregierung beide Reformvorhaben in einer Unterlage mit dem Titel „Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“.
Referentenentwurf Bundestariftreue
Erst im September 2024 wurden beide Vorhaben in die Ressortabstimmung zwischen den Bundesministerien gebracht und die Referentenentwürfe gelangten an die Öffentlichkeit, der Entwurf zur Bundestariftreue jedoch lediglich inoffiziell.
Er sah neben der Schaffung eines neuen Gesetzes zur Sicherung der Tariftreue bei der Vergabe und Ausführung öffentlicher Aufträge und Konzessionen des Bundes auch Änderungen an einer Reihe bestehender Gesetze vor. Dazu zählten neben tarifpolitischen Gesetzen auch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sowie das Wettbewerbsregistergesetz.
Referentenentwurf Vergabetransformation
Weitaus umfangreicher war das Vergabetransformationspaket: Es umfasste Neufassungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der Verordnung zur Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV), der Verordnung über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (SektVO), der Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (KonzVgV) sowie der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV). Auch eine Neufassung der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) war geplant, wenn auch nicht als Bestandteil des eigentlichen Artikelgesetzes. Darüber hinaus sah der Entwurf „Folgeänderungen“ im LNG-Beschleunigungsgesetz, dem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz, dem Fünften Buch des Sozialgesetzbuches sowie dem Personenbeförderungsgesetz vor.
Das BMWK stellt die Entwürfe auf dieser Seite zum Download zur Verfügung. Wir spiegeln sie zusätzlich hier:
- Entwurf eines Gesetzes zur Transformation des Vergaberechts (Vergaberechtstransformationsgesetz – VergRTransfG)
- Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Berücksichtigung sozialer und umweltbezogener Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (AVV Sozial und umweltbezogen nachhaltige Beschaffung)
- Entwurf einer Neufassung der Unterschwellenvergabeordnung
Wir haben zudem die Änderungsvorhaben der wichtigsten Normen synoptisch dargestellt:
- Synoptische Darstellung der Änderungen der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)
- Synoptische Darstellung der Änderungen der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV)
- Synoptische Darstellung der Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)
Umfangreiche Überblickbeiträge zu den Vorhaben sind
- Vergabetransformation im Überblick: Das plant die Ampel
- sowie Vergabetransformation in der Unterschwelle.
Habeck: „Ein Befreiungsschlag“
Der Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck bezeichnete das Vergabetransformationspaket als „Befreiungsschlag“, mit dem Bürokratie spürbar abgebaut würde:
Verfahren werden schneller und einfacher, Nachweispflichten werden deutlich reduziert. Das entlastet die Wirtschaft und die öffentliche Verwaltung, vor allem die Kommunen. Das spart pro Jahr 1,3 Milliarden Euro – bei dieser Höhe liegt die gesamte Entlastungswirkung jährlich für Wirtschaft und Verwaltung. Die öffentliche Beschaffung wird unbürokratischer, digitaler und nachhaltiger. Eine Reform dieses Ausmaßes hat es seit langem nicht mehr gegeben, das ist ein wichtiges Signal für kleine und mittlere Unternehmen, gut für Start-ups, gut für gemeinwohlorientierte Unternehmen, gut für die Wirtschaft insgesamt – und gut für all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung, die sich mit dem Vergaberecht rumschlagen.
Ausblick
Ob und wie sich eine neugewählte Bundesregierung einem erneuten Versuch zur Vergaberechtsreform unterwerfen will, werden wir frühestens mit einem vorliegenden Koalitionsvertrag wissen. In der kommenden Woche werden wir die dann möglichen Koalitionen der im Bundestag vertretenen Parteien anhand ihrer Wahlprogramme vergaberechtlich einschätzen.
Und auch an anderer Stelle bleibt das Vergaberecht nicht stehen: Die EU-Kommission hat eine Evaluierung der EU-Vergaberichtlinien in Angriff genommen.
Titelbild: Bundesregierung/Denzel