
Die Europäische Kommission hat mit dem „Competitiveness Compass“ (Wettbewerbskompass) einen neuen Strategierahmen vorgestellt, der nicht nur die wirtschaftliche Produktivität steigern und die Wettbewerbsfähigkeit der EU sichern soll, sondern auch die geplante Überarbeitung der EU-Vergaberichtlinien beeinflussen und möglicherweise sogar beschleunigen könnte.
Der Competitiveness Compass baut auf den Empfehlungen des Draghi-Reports auf, der im September 2024 bereits einen umfassenden strategischen Plan zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit vorgelegt hat. Er soll die Arbeit der Kommission in den kommenden fünf Jahren leiten und die vorrangigen Maßnahmen umfassen, um die wirtschaftliche Dynamik in Europa neu zu entfachen. Dafür werden drei Kernbereiche für die nächsten fünf Jahre definiert.
Innovation: Start-up-Strategie und KI-Initiativen
Die Europäische Kommission identifiziert die Innovationslücke als zentrale Herausforderung für Europas Wettbewerbsfähigkeit. Während die EU bei der Anzahl der Patente mit den USA und China gleichauf liegt, werden nur etwa ein Drittel der universitären Patente kommerziell genutzt. Um diese Lücke zu schließen, plant die EU ein umfassendes Maßnahmenpaket.
Im Zentrum steht eine Start-up- und Scale-up-Strategie, in deren Rahmen EU-weit harmonisierte Regeln für innovative Unternehmen etabliert werden sollen. Ein European Innovation Act soll zusätzlich den Zugang zu Forschungsinfrastrukturen verbessern und regulatorische Sandboxen zum Testen neuer Ideen ermöglichen.
Zur Förderung von Zukunftstechnologien setzt die EU auf spezifische Initiativen wie „AI Continent“ mit den Projekten „Apply AI“ und „AI Gigafactories“. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der breiteren Nutzung digitaler Technologien in der Wirtschaft. So setzen bisher lediglich 13 Prozent der EU-Unternehmen fortschrittliche Technologien wie KI ein. Die EU strebt an, dass in den nächsten zehn Jahren 70 Prozent der neu geschaffenen wirtschaftlichen Werte digital unterstützt werden.
Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit
Der zweite Schwerpunkt liegt auf Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit. Die Kommission bekräftigt dabei das Ziel einer dekarbonisierten Wirtschaft bis 2050 und einen Zwischenschritt einer neunzigprozentigen Reduktion bis 2040. Um dies wirtschaftlich erfolgreich umzusetzen, steht der „Clean Industrial Deal“ im Zentrum der Strategie.
Eine zentrale Herausforderung seien dabei die hohen und volatilen Energiepreise für europäische Unternehmen und Haushalte. Der geplante „Affordable Energy Action Plan“ soll durch verschiedene Maßnahmen einen breiteren direkten Zugang zu kostengünstiger Energie ermöglichen, etwa durch verbesserte Marktintegration und die Förderung langfristiger Stromabnahmeverträge. Parallel dazu sollen die Energienetze ausgebaut werden, um ein CO₂-neutrales Energiesystem zu ermöglichen.
Zur Unterstützung der Transformation in energieintensiven Sektoren wie Stahl, Metall und Chemie plant die Kommission branchenspezifische Aktionspläne. Sie sollen Investitionsbedarfe adressieren, den Zugang zu Rohstoffen sichern und handelspolitische Instrumente einsetzen. Besondere Aufmerksamkeit gelte dabei dem Automobilsektor, wo die Kommission einen strategischen Dialog zur Zukunft der Branche initiiert hat. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Kreislaufwirtschaft, deren Marktpotenzial bis 2030 auf 100 Milliarden Euro geschätzt wird.
Sicherheit und Resilienz: Europäische Präferenz bei der öffentlichen Beschaffung
Die Kommission betrachtet die globale Vernetzung der EU als wichtigen Faktor für wirtschaftliches Wachstum und Sicherheit, sieht aber auch die Notwendigkeit, strategische Abhängigkeiten zu reduzieren. Ein Schlüsselinstrument dafür ist die öffentliche Beschaffung, die etwa 14% des EU-BIP ausmacht. Die Kommission plant hier die Einführung einer europäischen Präferenz bei der öffentlichen Auftragsvergabe für strategische Sektoren und Technologien.
Diese Neuausrichtung der Beschaffung ist Teil einer breiteren Strategie zur Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit. In einem Umfeld, in dem andere große Wirtschaftsräume den Zugang zu ihren Märkten beschränken und ihre Fertigungskapazitäten in kritischen Technologien ausbauen, müsse Europa seine eigenen Kapazitäten schützen. Die geplante Überarbeitung der Vergaberichtlinien ziele darauf ab, die technologische Sicherheit und inländische Lieferketten zu stärken sowie die Regeln insbesondere für Start-ups und innovative Unternehmen zu vereinfachen.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Bündelung der Nachfrage und dem gemeinsamen Einkauf auf EU-Ebene, um die Verhandlungsposition gegenüber ausländischen Lieferanten zu stärken. Dies wird bereits bei kritischen Rohstoffen praktiziert, wo eine neue Plattform für gemeinsame Beschaffung die Bedarfe der EU-Industrien identifizieren, Nachfrage bündeln und koordinierte Einkäufe ermöglichen soll. Ein ähnlicher Ansatz soll auch für kritische Medikamente verfolgt werden, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen und Abhängigkeiten zu reduzieren.
Neue Unternehmensklasse
Als eine Maßnahme der sogenannten horizontalen Enabler kündigt die Kommission eine neue Unternehmensklasse an: kleine Mittelstandsunternehmen (Small Mid-Caps), die größer als KMU, aber kleiner als Großunternehmen sind. Unternehmen, die in diese Klasse fallen, sollen von maßgeschneiderten regulatorischen Vereinfachungen profitieren können.
Bürokratieabbau von über 25 Prozent
Ambitionierte Ziele setzt sich die Kommission bei der Reduzierung von Verwaltungslasten: Sie sollen für Unternehmen insgesamt um mindestens 25 Prozent und für KMU sogar um mindestens 35 Prozent gesenkt werden. Gelten soll dies für alle administrativen Belastungen – nicht lediglich für Berichtspflichten.
Dies soll zu einer Reduzierung der wiederkehrenden Kosten um etwa 37,5 Milliarden Euro bis 2029 führen. Ein erster „Simplification Omnibus“ mit konkreten Vereinfachungsmaßnahmen soll bereits im Februar 2025 vorgelegt werden.
Die Zukunft des europäischen Vergaberechts bleibt offen
Das Dokument liest sich wie eine Abkehr von der mitunter hohen Regelungsdichte, wie sie auch beschaffungsrelevante Vorhaben umfassten, die wir in unserer Reihe Blick nach Brüssel vorstellen. Ob diese Erwartung eintritt, bleibt indes abzuwarten.
Auffällig ist der verhältnismäßig geringe Bezug zur öffentlichen Beschaffung jenseits einer europäischen Präferenz bei strategischen Technologien. Schließlich wird sie in Papieren dieser Art aufgrund ihrer vielfach beschworenen Hebelwirkung gerne als Instrument herangezogen.
Konsultation mit hoher Aufmerksamkeit
Möglicherweise will man der noch bis zum 7. März laufenden Konsultation nicht vorgreifen. Deren Relevanz wird EU-weit offenbar wahrgenommen. So soll sich etwa der Bayerische Landtag an der Konsultation beteiligen, wie dessen Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten einstimmig beschlossen hat.
Der Freistaat ist in der Vergangenheit als Verfechter eines Sonderschwellenwertes für Planungsleistungen, einer Anpassung der EU-Schwellenwerte sowie deren jährlicher Anpassung in Erscheinung getreten.
BDI: Schwellenwerte bereits zu hoch
Forderungen nach höheren Schwellenwerten für die EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge sollte die Bundesregierung eine „klare Absage“ erteilen, fordert wiederum der BDI in einem aktuellen Papier. Eine Erhöhung der Werte lasse sich auch nicht auf den Gesichtspunkt des Inflationsausgleichs stützen, da bereits die geltenden Schwellenwerte zu hoch seien:
Gerade für Deutschland als Exportnation ist es unverzichtbar, dass die durch die EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge und das WTO-Abkommen zum öffentlichen Auftragswesen (Government Procurement Agreement, GPA) garantierte Marktöffnung und Transparenz bei der öffentlichen Auftragsvergabe erhalten bleiben. Ebenso wichtig ist es, dass der nötige effektive Vergaberechtsschutz weiterhin gewährleistet und nicht reduziert wird.
Quellen und Links
- News der Kommission: Steering the EU towards greater sustainable competitiveness
- A Competitiveness Compass for the EU: Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions (PDF, 27 Seiten)
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Titelbild: MarandaP – Pixabay