
„Maverick Buying – Einkauf am Einkauf vorbei?“, so lautet der Titel des Vortrags, den Prof. Dr. Michael Eßig, Universität der Bundeswehr, auf dem Vergabesymposium 2025 halten wird, das am 20. und 21. Mai in Bochum stattfindet. Wir sprachen mit dem Vergabeexperten über die weitere Anhebung der Wertgrenzen und ihre Folgen für die Organisation der dezentralen Beschaffung.
Herr Prof. Dr. Eßig, der Titel Ihres Vortrags knüpft an den unserer Studie an, die wir im Sommer gemeinsam durchgeführt haben. Seitdem können wir fast im Wochentakt über weitere Wertgrenzenerhöhungen oder deren Ankündigungen berichten. In manchen Fällen wurde bereits der komplette Unterschwellenbereich ausgereizt. Wird das die Tendenz in diesem Jahr bleiben – noch mehr Einkauf am Einkauf vorbei?
Ich glaube schon. Wir sehen in einigen Bundesländern die Entwicklung zu immer höheren Wertgrenzen – und wenn Sie diese Diskussion einmal begonnen bzw. die Wertgrenzen drastisch erhöht haben, wird es schwer, dies wieder „einzufangen“. Aber sie wird aus guten Gründen geführt: Entbürokratisierung und Vereinfachung der Vergabeverfahren sind relevante Themen. Das hat unsere Studie ja auch ergeben.
Und auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob es auf allen Seiten nur Gewinner gäbe: Die Vergabestellen werden entlastet. Die Bedarfsträger dürfen mehr oder weniger frei wirken bei der Beschaffung.
Wir wollen auch bei den Direktaufträgen die Durchsetzung strategischer Beschaffungsziele sicherstellen.
Nur müssen wir uns auch darüber im Klaren sein: Wir verschenken mit einer zu großzügigen Diskussion des Themas Potenziale in zweifacher Hinsicht. Zum einen wollen wir nach wie vor auch bei den Direktaufträgen die Durchsetzung strategischer Beschaffungsziele sicherstellen, etwa Nachhaltigkeit in sozialer und ökologischer Hinsicht.
Zweitens wollen wir keine Bündelungspotenziale für die Zukunft verschenken. Wir müssen schon noch wissen, was in diesem Bereich passiert, um gegebenenfalls später mit anderen Instrumenten diese Bedarfe zu bündeln, in Rahmenverträgen oder in anderer Form.
Im vergangenen Jahr sprachen sie über die evidenzbasierte Beschaffung im Kontext der Vergabetransformation. Transformation fällt ja vorerst aus. Haben wir Ihrer Meinung nach mehr oder weniger Grundlagen für evidenzbasierte Beschaffung im Zuge der Wertgrenzenerhöhungen, die wir erleben?
Wir haben auf jeden Fall vermehrten Diskussionsbedarf. Ich glaube, die Diskussion um die Frage der Direktaufträge fordert zu noch mehr Evidenz auf, weil wir ja eigentlich wissen wollen, was für Potenzial darin steckt. Denn auch hinter den Direktaufträgen in ihrer Summe, also nicht hinter jedem einzelnen, steckt ja enormes Beschaffungsvolumen und damit auch Potenzial.
Und es gibt auch Vorschläge – oder es gab sie, zum Beispiel im Vergabetransformationspaket – die etwas differenzierter argumentieren: Etwa die Idee, beim Einsatz digitaler Hilfsmittel die Direktauftragsgrenze weiter anzuheben. So eine Kombination hätte ich zielführend gefunden, da sie die Möglichkeit eröffnet, genau dieses Potenzial für mögliche zukünftige Bündelungen in Rahmenverträgen oder ähnlichem zu entdecken.
In der Studie hatten wir mit zwei Annahmen geschlossen, nämlich, dass der Einkauf erstens auch die Organisation der dezentralen Beschaffung koordinieren sollte und zweitens, dass beschaffende Fachbereiche dezentral durch elektronische Systeme unterstützt werden sollten. Wenn wir das als zwei parallele Strategien begreifen, wo sehen sie uns da aufgestellt? Welche hat Vorsprung?
Für mich ist das eine die Voraussetzung für das andere. Die spannende Frage ist, welches ist welches? Ist die Digitalisierung die Voraussetzung dafür, dass ich gut organisieren kann, oder ist eine gute Organisation die Voraussetzung dafür, dass sie stringent digitalisieren kann?
In der Theorie haben wir den Grundsatz Structure follows Strategy: Ich definiere eine konsistente Beschaffungsstrategie und meine Struktur folgt dann dieser strategischen Ausrichtung. In der Praxis ist es allerdings häufig umgekehrt: Die Strategie richtet sich nach den vorhandenen Strukturen.
Die Gesamtheit der Kleinvergaben braucht eine klare Beschaffungsstrategie
Letztlich sagt auch unsere Studie: Kleinbedarfe sind nicht im strategischen Blickwinkel der Leitung einer Einkaufsleitung. Und das sollten sie, was die Einzelvergaben betrifft, auch nicht sein. Aber die Gesamtheit der Kleinvergaben braucht eine klare Beschaffungsstrategie und die heißt: Automatisierung, Vereinfachung, Transaktionskostensenkung und: Zentralisierung.
Denn Digitalisierung ist ja gerade die Chance, „virtuell“ zu zentralisieren – ohne dabei zwingend „bedarfsträgerferne“ zentrale Strukturen zu schaffen: einfache, digitale Bestelllösungen für die internen Kunden, verbunden mit der Möglichkeit, dezentrale Bedarfe trotzdem zentral durch den Einkauf zu steuern und zu managen.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Eßig. Wir freuen uns auf Ihren Vortrag auf dem Vergabesymposium.

Vergabesymposium 2025
- 20. – 21. Mai 2025
- Jahrhunderthalle Bochum
- 32 Referenten · 2 Fachforen · 12+ Masterclasses
Titelbild: Katrin Hauter