
Prognosen liegen im Trend. Darum möchten wir es in diesem Jahr nicht bei unserem traditionellen Jahresausblick auf Termine und Fakten belassen, sondern auch unsere Prognosen und Trends für 2025 vorstellen und im Zuge dessen Einblicke in unsere Produktstrategie für die kommenden Jahre gewähren.
Das Jahr 2024 brachte sowohl Fortschritte als auch Herausforderungen mit sich. Zwar wurde die Evaluierung der EU-Vergaberichtlinien angestoßen, die langfristig den rechtlichen Rahmen des öffentlichen Einkaufs beeinflussen dürfte, grundlegende Änderungen aus diesem Grund sind jedoch kurzfristig unwahrscheinlich. Fast zeitgleich scheiterte mit der Ampel auch ihr ambitioniertes Vergabetransformationspaket, wodurch Modernisierungsschritte auf Bundesebene vorerst ausbleiben.
Dennoch haben sich klare Trends abgezeichnet, die geeignet sind, das öffentliche Auftragswesen auf viele Jahre zu prägen: Die zum Teil massiven Erhöhungen der Wertgrenzen für Direktkäufe, die verstärkte Ausrichtung auf strategische Aspekte der Beschaffung und erste praktische Ansätze zum Einsatz generativer KI sind drei der fünf Trends, die wir ausmachen konnten. Im Folgenden zeigen wir auf, welche Chancen und Herausforderungen sich daraus ergeben.
I. Erhöhte Wertgrenzen und dezentrale Beschaffung
Die Erhöhung der Wertgrenzen für Direktaufträge war ein zentraler Bestandteil des Vergabetransformationspakets. Auch wenn das Gesamtpaket gescheitert ist, setzen der Bund und viele Bundesländer auf deutlich höhere Wertgrenzen: Von 15.000 EUR in Nordrhein-Westfalen oder dem Bund bis hin zu 100.000 EUR in Bayern wurden bereits entsprechende Anpassungen umgesetzt.
Sie sollen eine schnelle und unkomplizierte Beschaffung erlauben. Ob und in welchem Umfang diese greifen, hängt maßgeblich von der konkreten Umsetzung und den Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern ab. Dass auch in solchen Fällen kein Einkauf im rechtsfreien Raum erfolgt, haben wir in unserem Praxis-Check für Direktaufträge umfassend beleuchtet.

Der Autor
Carsten Klipstein ist Geschäftsführer der cosinex GmbH sowie der GovTech GmbH und CEO der GovTech Gruppe. Als Projektleiter hat er unterschiedlichste E-Government-Projekte geleitet. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zu den Themen Vergaberecht, E-Government und Verwaltungsmodernisieurng.
Chancen und Risiken der Dezentralisierung
Die mit der Erhöhung der Wertgrenzen einhergehende Dezentralisierung des Einkaufs in die Fachbereiche bietet Spielräume für effizientere Beschaffungen. Gleichzeitig birgt sie das Risiko mangelnder Transparenz und potenzieller Compliance-Probleme, wie unsere Studie Maverick Buying Einkauf am Einkauf vorbei? belegt, die cosinex gemeinsam mit der Bundeswehr Universität München durchgeführt hat.
Unser Ausblick
Unabhängig vom Nutzen im Einzelfall erwarten wir, dass die entstandenen Möglichkeiten rund um Direktkäufe und dezentrale Beschaffung immer umfassender genutzt werden. Gleichzeitig werden Vergabestellen und Fachbereiche zunehmend gefordert sein, Transparenz und Compliance sicherzustellen.
Um die Risiken von Direktkäufen und der stärkeren Dezentralisierung zu minimieren, ohne dabei auf ihre Vorteile verzichten zu müssen, bieten sich digitale Lösungen an, die – sicher auch mittels KI – eine teilautomatisierte Dokumentation und Auswertung auch solcher dezentralen Beschaffungen organisationsweit ermöglichen. Erste Lösungen stehen in den Startlöchern und dürften sich im Jahr 2025 in der Praxis beweisen.
II. Strategische Beschaffung weiterentwickeln
Strategische Beschaffung – ebenfalls ein zentraler Aspekt des Vergabetransformationspakets – zielt auf die verstärkte Berücksichtigung ökologischer, sozialer und innovativer Kriterien. Eine Vielzahl von Initiativen auf Ebene des Bundes und der Bundesländer sowie eine Reihe rechtlicher Anforderungen außerhalb des Vergaberechts werden dazu führen, dass der Ruf nach einer Berücksichtigung strategischer Aspekte im Einkauf lauter wird.
Treiber für den Bereich der Innovationen sowie der Beauftragung von Start-ups können die höheren Wertgrenzen für Direktkäufe sein. Fraglich erscheint, ob wir im Jahr 2025 in der Breite einen Durchbruch sehen werden oder ob die Berücksichtigung strategischer Aspekte stagniert oder gar abnimmt, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung in 2024 für den Bereich der Nachhaltigkeit unterstellt.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Strategische Ziele zu integrieren, ist anspruchsvoll. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit, Innovationen oder sozialen Kriterien erfolgt überwiegend auf der Ebene der Leistungsbeschreibung oder der Wertungskriterien. Sie werden in der Regel dezentral durch die Fachbereiche und nicht durch die Vergabestelle erstellt. Bei den Fachbereichen fehlt indes häufig das Know-how, um eine Vergabe inhaltlich optimal vorzubereiten. Die Bewertung von Nachhaltigkeitskriterien erfordert zudem komplexere Bewertungsmatrizen und führt auch so zu Mehraufwand.
Unser Ausblick
Strategische Aspekte wie Nachhaltigkeit, Innovationen und soziale Kriterien genießen – trotz vielfältiger Initiativen – erst bei relativ wenigen öffentlichen Auftraggebern einen hohen Stellenwert. In der überwiegenden Zahl der Verfahren bleibt ihre Berücksichtigung allenfalls oberflächlich und beschränkt sich auf formale Kriterien ohne substanziellen Einfluss. Der Druck, strategische Aspekte flächendeckend zu berücksichtigen, wird im Jahr 2025 weiter steigen. Ein echter Durchbruch ist nach unserer Einschätzung aufgrund der Herausforderungen bei der Umsetzung in der Praxis auch dann noch nicht zu erwarten.
Für einen solchen Durchbruch bedarf es geeigneter Wege und Lösungen, um die Fachbereiche – jenseits vergaberechtlicher Formalia – bei der inhaltlichen Vorbereitung einer Ausschreibung, der Bedarfsanalyse, einer innovationsoffenen Markterkundung sowie der Erstellung von Leistungsbeschreibungen und Kriterienkatalogen und schließlich der Berücksichtigung nachhaltiger und sozialer Aspekte zu unterstützen.
Unsere Vision: Von einer strategischen zu einer wirkungsorientierten Beschaffung
Erste Lösungen, die insbesondere Fachbereiche dabei unterstützen, Ausschreibungen besser vorzubereiten und dabei auch strategische Aspekte einfacher berücksichtigen zu können, dürften im Jahr 2025 Marktreife erlangen.
Sie ist ein erster Schritt, um Beschaffungsvorhaben perspektivisch von ihrer Wirkung her zu denken. Am Ende kann stehen, dass Leistungsbeschreibungen und Wertungskriterien ausgehend von den angestrebten Wirkungen und vielleicht sogar überwiegend automatisiert gestaltet werden können.
III. Generative KI in Vergabe- und Beschaffungsprozessen
Der Einsatz generativer KI im öffentlichen Einkauf weckt große, jedoch oft noch diffuse Erwartungen. Erste Ansätze auf Basis der großen Sprachmodelle wie ChatGPT, Claude & Co. versuchen sich zum Teil an umfassenden Textgenerierungen, etwa im Bereich von Leistungsbeschreibungen, oder größeren Textbausteinen für Ausschreibungen.
Gerade im Hinblick auf die Qualität der Ergebnisse zeigen sich auch bei einem unmittelbaren Einsatz der Modelle die bestehenden Schwächen. Sie können zu rechtlichen Problemen und in der Folge zu unzureichenden Beschaffungsergebnissen führen, wenn fehlerhafte oder unvollständige Textbausteine in Ausschreibungen übernommen werden. Ein besonderer Fokus muss daher auf der Sicherstellung der rechtlichen Konformität und der Richtigkeit der Ergebnisse liegen.
Synergie mit strategischer Beschaffung
Der Einsatz generativer KI kann zudem die strategische Beschaffung unterstützen, indem er Fachbereiche bei der Integration von Nachhaltigkeitskriterien oder Innovationen in Leistungsbeschreibungen entlastet. Durch automatisierte Vorschläge können solche Kriterien effizienter und konsistenter implementiert werden.
Perspektiven und Hemmnisse
Im Bereich der öffentlichen Beschaffung bietet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz mittel- und langfristig erhebliche Potenziale. Ebenso groß wie die Erwartungshaltung ist die Unsicherheit darüber, welche konkreten Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit bei der Nutzung von KI zu erfüllen sind. Diese Bedenken müssen durch klare Richtlinien und Best Practices adressiert werden, um Vertrauen in die Technologie zu schaffen und ihren Einsatz zu fördern.
Unser Ausblick
Nach ersten Piloten im Jahr 2024 werden immer mehr Behörden datenschutzkonform fachverfahrens- und bereichsübergreifend auf eigene Installationen großer Sprachmodelle wie ChatGPT oder Claude zugreifen können. Die einfache Integration solcher Modelle ist daher nicht nur im Hinblick auf die heute noch zum Teil unzureichenden Ergebnisse zu kurz gesprungen.
Der Mehrwert von KI innerhalb der Vergabe- und Beschaffungslösungen wird sich in einer schrittweisen Unterstützung einzelner Use Cases zeigen, um die Beteiligten an einer Vergabe bei diesen konkreten Anwendungsfällen zu unterstützen und so den Automatisierungsgrad inkrementell zu erhöhen. Beispiele können die automatisierte Ermittlung von CPV-Codes oder die Unterstützung bei der Prüfung von Leistungsbeschreibungen auf Nachhaltigkeitskriterien sein.
IV. Lückenschluss in der Digitalisierung des öffentlichen Auftragswesens
Die Digitalisierung des öffentlichen Auftragswesens hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Dennoch bleiben zentrale Prozesse von Medienbrüchen und mangelnder Systemintegration geprägt. Die Vielfalt der eingesetzten Plattformen erschwert eine durchgängige digitale Prozesskette – ein Hindernis, das viele öffentliche Auftraggeber auch bei einer (Teil-)Automatisierung ihrer Beschaffungen ausbremst.
Herausforderungen bei der Integration
Ein zentrales Problem ist die fehlende Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen wie E-Vergabeplattformen, Dokumentenmanagementsystemen oder ERP-Lösungen. Medienbrüche und manuelle Übertragungen führen nicht nur zu Effizienzverlusten, sondern erhöhen auch das Risiko von Fehlern und Datenverlust. Besonders kleinere Kommunen, denen die Ressourcen für eine umfassende Digitalisierung fehlen, sind von diesen Herausforderungen betroffen.
Potenziale moderner Softwarelösungen
Die Einführung interoperabler Softwarelösungen könnte diese Herausforderungen deutlich entschärfen. Cloud-basierte Anwendungen und standardisierte Schnittstellen ermöglichen die nahtlose Datenübertragung zwischen verschiedenen Systemen. Zusätzliches Potenzial liegt in der Automatisierung: Routineaufgaben wie die Erstellung von Vergabeunterlagen oder die Auswertung von Angeboten könnten durch KI-gestützte Tools schneller und präziser erledigt werden.
Unser Ausblick
Der Druck auf öffentliche Auftraggeber, bestehende Digitalisierungslücken zu schließen, wird 2025 weiter zunehmen. Projekte zur Einführung von einheitlichen Standards und interoperablen Systemen werden an Bedeutung gewinnen. Behörden, die frühzeitig in solche Lösungen investieren, steigern nicht nur ihre Effizienz, sondern gestalten auch ihre Vergabeverfahren transparenter und rechtssicherer. Die Zukunft des öffentlichen Auftragswesens liegt in vollständig integrierten, medienbruchfreien Prozessen, die Effizienz und Transparenz fördern. 2025 wird diese Entwicklung durch gezielte Investitionen weiter vorangetrieben werden.
V. Fazit: Eine neue Rolle für Vergabestellen
Zwar wird die Erhöhung der Wertgrenzen ebenso wie die zunehmende Digitalisierung der öffentlichen Beschaffung 2025 bereits erste Effekte zeigen und tut dies bereits, viel Potenzial bleibt aber auch ungenutzt. Ein stärkerer Fokus auf strategische Ziele, die nicht nur in Leuchtturmprojekten, sondern flächendeckend umgesetzt werden, wird nötig sein, um es zu heben.
Die Integration von KI-gestützten Lösungen und die Schließung bestehender Digitalisierungslücken dürfte entscheidend sein – nicht nur, wenn es um Effizienzgewinne geht, sondern auch für die Schaffung transparenter und rechtssicherer Vergabeprozesse, die sowohl ökologische als auch soziale Aspekte berücksichtigen.
In der Folge wird sich die Zusammenarbeit zwischen Vergabestellen und Fachbereichen weiter verändern: Die Herausforderungen für die Fachbereiche im Hinblick auf Direktkäufe sowie die inhaltliche Vorbereitung von Ausschreibungen und die Berücksichtigung strategischer Aspekte machen eine intensivierte Steuerung des gesamten Einkaufs und auch der dezentralen Prozesse erforderlich. Wer, wenn nicht die (zentralen) Vergabestellen könnten diese Rolle am besten ausfüllen.
Zu ihr zählen die Steuerung und Koordination präventiver Maßnahmen im Hinblick auf Transparenz und Compliance ebenso wie die Schaffung von Grundlagen, um die dezentralen Vorarbeiten für eine größere Vergabe zu optimieren und Rahmenbedingungen für den Einkauf zu setzen.
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