Eingangsbereich des Europäischen Gerichtshofes

Norbert Dippel stellt einen aktuellen Beschluss des Europäischen Gerichtshofs und seine Wechselwirkung mit bisheriger Rechtsprechung des OLG Düsseldorf vor.

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Das europäische Vergaberecht und seine Umsetzung in deutsches Recht sind geprägt von einer starken Stellung des Bieters. Er hat einen Anspruch darauf, dass der öffentliche Auftraggeber die bieterschützenden Bestimmungen des Vergaberechts einhält. Notfalls kann er diese Rechte sogar einklagen.

Im internationalen Wettbewerb haben europäische Unternehmen gegebenenfalls nach den Regeln der Welthandelsorganisation und deren GPA-Regelwerk Zugang zu den entsprechenden Märkten der Drittstaaten. Im Gegenzug können sich Unternehmen aus diesen Ländern auf den jeweiligen Märkten der EU-Mitgliedstaaten bewegen.

Der EuGH hatte nunmehr die Frage zu entscheiden, wie damit umzugehen ist, wenn sich ein Unternehmen aus einem Drittstaat auf die Einhaltung des EU-Vergaberechts beruft, wenn mit dessen Heimatland keine entsprechende internationale Übereinkunft geschlossen wurde (Urteil vom 22. Oktober 2024, Rechtssache C‑652/22).

Dabei soll auch die bisherige Rechtsprechung des OLG Düsseldorf von 2017 kurz erläutert werden (Beschluss vom 31.05.2017, VII – Verg 36 / 16).

I. Der Beschluss des OLG Düsseldorf

1. Sachverhalt

Sehr verkürzt dargestellt hat ein amerikanisches Unternehmen in Deutschland ein Nachprüfungsverfahren angestrengt, weil es sich bei der Vergabe eines Auftrages zur Beschaffung von Drohnen vergaberechtswidrig behandelt sah.

In dem Nachprüfungsverfahren war unter anderem darüber zu entscheiden, ob sich das amerikanische Unternehmen auch dann auf das EU-Vergaberecht berufen darf, wenn europäischen Unternehmen in Amerika entsprechende Rechte verwehrt werden.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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2. Damalige Entscheidung

Der Vergabesenat bei dem OLG Düsseldorf hat damals entschieden, dass auch ein amerikanisches und damit nicht EU-Unternehmen ein subjektives Recht auf Einhaltung der Bestimmungen des Vergabeverfahrens nach § 97 Abs. 6 GWB habe. (Anmerkung, dieser lautet: „Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden“.) Zur Begründung führte der Vergabesenat aus:

§ 97 Abs. 6 GWB errichte konstitutiv ein subjektives Recht der (Bieter-)Unternehmen auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren durch den öffentlichen Auftraggeber. Inhaber des Anspruchs sei das Unternehmen. Eine Einschränkung dahingehend, dass sich allein die Unternehmen auf eine Einhaltung der Bestimmungen des Vergabeverfahrens berufen und Schutz vor Willkür des öffentlichen Auftraggebers mit der Möglichkeit der Nachprüfung vor nationalen Gerichten beanspruchen könnten, die ihren Sitz in Europa haben, ergebe sich weder aus den vergaberechtlichen Vorschriften selbst noch aus dem Beschaffungsabkommen „Agreement on Government Procurement“ (GPA). Auf eine Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) samt dem Status als Unterzeichner des GPA komme es nicht an.

Das europäische Vergaberecht kenne (bisher) keine geografischen Einschränkungen für die Beteiligung an Vergabeverfahren. Der Zugang zu Vergabeverfahren für Unternehmen aus Drittstaaten werde als gegeben angesehen. Dies folge zudem aus der seinerzeitigen Diskussion zum späteren International Procurement Instrument (IPI), ob der Zugang zum öffentlichen Beschaffungsmarkt der Europäischen Union für Unternehmen aus Drittländern zu begrenzen sei. Denn, so merke die Europäische Kommission an, „während unser Markt für öffentliche Aufträge ausländischen Bietern offensteht, bleiben in Drittländern die Märkte für die Vergabe öffentlicher Aufträge ausländischer Waren und Dienstleistung de iure oder de facto weitgehend verschlossen“.

Ziel der damals in der Diskussion befindlichen Verordnung war es, die öffentlichen Beschaffungsmärkte im Wege von Konsultationen zwischen der EU und dem Drittland gegenseitig zu öffnen. Bis zur Verabschiedung dieser Verordnung bleibe es aber dabei, dass jedes interessierte Unternehmen sich unabhängig etwaiger geografischer Einschränkungen an einem EU-Vergabeverfahren beteiligen könne.

II. Das Urteil des EuGH

1. Sachverhalt

Ein öffentlicher Auftraggeber in Kroatien führt ein EU-weites Vergabeverfahren durch, an dem sich auch ein türkisches Unternehmen beteiligt. Im Rahmen eines Rechtsstreites über die Vergaberechtskonformität des Verfahrens legte das kroatische Gericht dem EuGH eine Rechtsfrage zur Auslegung vor. Diese hatte im Rahmen der Zulässigkeit des Ersuchens zu prüfen, ob das türkische Unternehmen überhaupt einen Anspruch auf Einhaltung des EU-Vergaberechts geltend machen kann.

2. Die aktuelle Entscheidung

Der EuGH weist darauf hin, dass die Union gegenüber bestimmten Drittländern durch internationale Übereinkünfte gebunden sei. Unter anderem gewährleiste das Übereinkommen der Welthandelsorganisation über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) den Zugang von Wirtschaftsteilnehmern zu öffentlichen Aufträgen in wechselseitiger und gleicher Weise.

Somit dürften die Auftraggeber der EU-Mitgliedstaaten nach der Vergaberichtlinie Wirtschaftsteilnehmer aus den Drittländern, die Vertragsparteien einer solchen Übereinkunft sind, nicht ungünstiger behandeln als Wirtschaftsteilnehmer der Union. Wirtschaftsteilnehmer aus diesen Drittländern könnten sich auf die Bestimmungen der Richtlinie berufen.

Dagegen könnten Wirtschaftsteilnehmer aus jenen Drittländern, die wie die Türkei keine solche internationale Übereinkunft mit der Union geschlossen hätten, nicht an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags in der Union teilnehmen und dabei die Gleichbehandlung mit Bietern aus den Mitgliedstaaten oder aus den durch eine solche Übereinkunft gebundenen Drittländern fordern. Sie könnten sich auch nicht auf die Bestimmungen der einschlägigen Vergaberichtlinie berufen, um die Entscheidung über die Vergabe des betreffenden Auftrags anzufechten.

Weiterhin führte der EuGH aus, dass die Frage des Zugangs von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern zu den Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge in den Mitgliedstaaten zu einem Bereich gehöre, für den die Union über eine ausschließliche Zuständigkeit verfüge. Daher seien die Mitgliedstaaten hinsichtlich dieses Zugangs nicht befugt, gesetzgeberisch tätig zu werden oder verbindliche Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu erlassen, auch wenn die Union keine einschlägigen Rechtsakte erlassen hat.

In Ermangelung eines solchen Rechtsakts sei es Sache des Auftraggebers, im Einzelfall zu prüfen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern, die keine internationale Übereinkunft mit der Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geschlossen haben, zu einem Verfahren für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zuzulassen sind. Wenn ein solcher Wirtschaftsteilnehmer den Verfahrensablauf beanstandet, könne sein Rechtsbehelf nur anhand des nationalen Rechts und nicht anhand des Unionsrechts geprüft werden.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Nach dem geschilderten EuGH-Urteil sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:

1. Fallgruppe: Vereinfacht formuliert sieht Artikel 43 der Vergaberichtlinie 2014/25/EU vor, dass die öffentlichen Auftraggeber bei der Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gegenüber Unternehmen, die aus Ländern kommen, die rechtsverbindliche Übereinkommen zur Beschaffung mit der EU geschlossen haben, keine ungünstigeren Bedingungen anwenden dürfen als gegenüber Wirtschaftsteilnehmern aus der EU.

Das entspricht dem Grundsatz der Reziprozität (Gegenseitigkeit). Dies bezeichnet den sowohl im Völkerrecht als auch im internationalen Handelsrecht geltenden Grundsatz, nach dem sich Staaten und Unternehmen gegenseitig eine gleiche Behandlung im Hinblick auf Rechten und Pflichten, Beschränkungen und Verbote sowie Vorteile und Begünstigungen einräumen.

In der Praxis dürfte von dieser Fallgruppe kaum Schwierigkeiten ausgehen. Im Regelfall gilt das EU-Vergaberecht in der jeweiligen nationalen Umsetzung.

2. Fallgruppe: Stammt das Bieterunternehmen aus einem Mitgliedstaat, der mit der EU keine entsprechende Übereinkunft geschlossen hat, wird es kompliziert. Diese Unternehmen können sich nicht auf das Schlechterstellungsverbot des Art. 43 RL2014/25 berufen.

Laut EuGH steht es dem Auftraggeber frei, in den Auftragsunterlagen Behandlungsmodalitäten aufzuführen, die den objektiven Unterschied zwischen der Rechtsstellung dieser Wirtschaftsteilnehmer einerseits und der Rechtsstellung der Wirtschaftsteilnehmer aus der Union und aus den Drittländern, die eine solche Übereinkunft im Sinne von Art. 43 der Richtlinie 2014/25 geschlossen haben, andererseits widerspiegeln sollen. Wie genau diese Bestimmungen aussehen sollen, hat der EuGH nicht ausgeführt.

Die Auftraggeber dürfen es sich hierbei nicht zu einfach machen und die Regelungen des EU-Vergaberechts auch für jene Drittstaatler anordnen. Denn sonst würde der ausschließliche Charakter der Zuständigkeit der Union in diesem Bereich missachtet. Der interessierte Leser mag hierzu die Ausführungen Tz 64 ff. des Urteils im Original lesen.

Der eingangs dargestellte Beschluss des OLG Düsseldorf zur Gleichbehandlung von EU-Unternehmen mit Unternehmen aus (allen) Drittstaaten (gleich ob GPA-Unterzeichner oder nicht) dürfte damit überholt sein.