Bereits zum 17. Mal traf sich die nordrhein-westfälische Vergabecommunity in Dortmund für einen umfassenden Überblick zu den Modulen von vergabe.NRW und zur E-Vergabe im Allgemeinen. Im Vordergrund standen Weiterentwicklungen und Tools, um den Beschaffungsprozess zu vereinfachen.
Denn das Portal und die Vielzahl der funktionalen Module gerade über die reine E-Vergabe hinaus werden kontinuierlich weiterentwickelt, der Beschaffungsprozess noch weiter digitalisiert und vereinfacht. Wie das konkret geschieht, davon konnten sich die rund 330 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dem E-Vergabe-Tag am 05. September ein Bild machen.
Direktkäufe digital erfassen mit eDI
Nach der Eröffnung der Veranstaltung durch Markus Both, d-NRW, und Ralf Sand vom Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen griff dieser gemeinsam mit Tim Weiße, ebenfalls vom Finanzministerium, eines der relevantesten Themen des laufenden Jahres auf: Direktkäufe. Handelt es sich bei ihnen um entbürokratisierende Effizienzbooster oder stellen sie ein Risiko für die Wirtschaftlichkeit dar?
Zweifellos ermöglichen sie geringere Prozesskosten auf Seiten der Auftraggeber und der Wirtschaftsteilnehmer und bringen erhebliche Zeitersparnis und Flexibilität mit sich, wie Sand und Weiße unterstrichen. Aber sie führen auch zu geringerer Transparenz, schränken den Wettbewerb ein und sind den Erfahrungen der beiden Vergabepraktiker zufolge in ihrer Dokumentation oft „kaum nachvollziehbar“, etwa was Preisvergleiche betrifft. Eine weitere Herausforderung liegt in der damit einhergehenden Dezentralisierung von Beschaffungen.
Die beiden Referenten stellten ein erst kürzlich durch cosinex entwickeltes Tool zur einfachen und niederschwelligen Erfassung der Direktaufträge (kurz: eDI) vor, welches Dank einer Vielzahl an Schnittstellen und dem Einsatz von KI nur ein Minimum an Nutzereingaben erfordert.
eDI ist durch die dezentral beschaffenden Fachbereiche zu befüllen und ermöglicht eine auswertbare Datenbasis, um zukünftig Rahmenverträge und den Landeseinkauf besser ausrichten zu können. So können die Risiken von Direktkäufen minimiert werden, ohne Einbußen bei ihren Vorteilen in Kauf nehmen zu müssen.
Weitere digitale Lücken schließen
Wie geht es weiter mit der Vergabetransformation? Darüber sprach Annette Schmidt, Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie NRW, die zudem einen Ausblick auf das neue Modul zur elektronischen Bestellung (XBestellung) lieferte.
Schmidt warb für ein neues Selbstverständnis beim Einkauf der öffentlichen Stellen, das evidenzbasierte Auswertungen als Grundlage für Steuerungsentscheidungen ebenso umfasst, wie den Umgang mit Unternehmen auf Augenhöhe. Dem werde mit der Übernahme zweier „Einer für Alle“(EfA)-Anwendungen aus Bremen bereits heute Rechnung getragen: Das PQ-Portal ermöglicht den einheitlichen Zugang für Unternehmen zur Präqualifizierung und mit dem Lieferantencockpit lassen sich große Kataloge bei Rahmenverträgen bewirtschaften. Das Ziel ist die Schließung der digitalen Lücke zwischen dem Vergabe- und dem E-Rechnungsprozess.
Neues vergabe.NRW-Modul „Strategische Beschaffung“
Innovativ blieb es auch bei dem anschließenden Vortrag: GovMind Geschäftsführer Manuel Kilian stellte das neue vergabe.NRW-Modul „Strategische Beschaffung“ vor, das Vergabestellen und insbesondere Bedarfsträger bei der Berücksichtigung strategischer Aspekte in ihren Beschaffungsvorgängen unterstützt. Über das Modul berichteten wir bereits im cosinex Blog.
Nordrhein-westfälische Kommunen können das Modul „Strategische Beschaffung“ kostenfrei testen. Ein Zugang für die jeweilige Kommune kann über diesen Link freigeschaltet werden.
Beschaffung in außergewöhnlichen Zeiten
Wie sich der Beschaffungsprozess in außergewöhnlichen Zeiten darstellt, schilderten Filippo Aiello und Stefan Pastor von der Stadt Stolberg in ihrem äußerst eindrucksvollen Vortrag.
Die Kupferstadt Stolberg bei Aachen war erheblich von dem Hochwasserereignis im Jahr 2021 betroffen: Langanhaltender Starkregen über mehrere Tage führte zu Überflutungen mit bis zu 6 Meter hohem Wasserstand, was schwere Schäden an Gebäuden und Infrastruktur in der gesamten Talachse hervorrief. Auch das Rathaus als Arbeitsstätte für rund 400 Mitarbeitende wurde zerstört und ist bis heute nicht einsatzfähig.
Aiello und Pastor beschrieben, wie sie unter diesen außergewöhnlichen Umständen und unter den Vorgaben vergaberechtskonformer Beschaffung die Handlungsfähigkeit der Verwaltung gewährleisten und dabei gleichzeitig die Grundversorgung in den betroffenen Ortsteilen herstellen mussten.
In der Folge setzt die Stadt das Vergabemanagementsystem seit 2022 ein, bei der anhaltend anspruchsvollen Organisation des langen Wiederaufbauprozesses leiste es nun wertvolle Dienste. Als webbasiertes System, das papierloses und standortunabhängiges Arbeiten ermögliche, sei es für die besonderen Anforderungen der Verwaltung wie auch für zukünftige Krisensituationen bestens geeignet.
Blick hinter die Kulissen der Softwareentwicklung
In bester Tradition bot cosinex Entwicklungsleiter Carsten Eschenröder einen Rückblick auf die jüngeren und Ausblick auf die anstehenden Entwicklungen rund um vergabe.NRW. Die reichten von den weiterhin bestehenden Herausforderungen durch eForms – die anstehende Version eFORMS-DE 2 erlaubt lediglich einen Zeitraum von drei Monaten zwischen Veröffentlichung und Anwendung – über umfassende Technologie- und Sicherheitsupdates bis hin zur Verschlankung des Formularwesens durch automatisierte Kommunikationsnachrichten.
Vergaberecht: Nachforderung fehlender Unterlagen und Erklärungen
Zum Abschluss des 17. E-Vergabe-Tages führte Norbert Dippel, Syndikus der cosinex und Mit-Autor des cosinex Blog, in die aktuelle Spruchpraxis bezüglich der Nachforderung fehlender Unterlagen und Erklärungen in der Beschaffungspraxis ein:
Das Nachfordern von Unterlagen bewegt sich in einem schwierigen Spannungsverhältnis von Korruptionsprävention, Gleichbehandlung, Beschleunigung von Vergaben und Wettbewerbsprinzip. Zwar ist die Rechtslage in § 56 VgV klar geregelt, die Spruchpraxis legt aber die erhebliche Komplexität offen. Sie reicht von der Frage, wie tief eine Entscheidung, Unterlagen nicht nachzufordern, begründet werden muss bis hin zu der Einschätzung, wann eine Unterlage im juristischen Sinn tatsächlich fehlt oder lediglich unvollständig ist.
Die Möglichkeit zum intensiven fachlichen und interkommunalen Austausch sowie die offene Diskussion mit Entscheidungsträgern ist Kern der etablierten Veranstaltung, die auch 2025 eine Neuauflage erfahren wird.
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