Die Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie stellt die Vergabe von Planung und Bau vor Herausforderungen und Chancen gleichermaßen. Unser Gastautor Jan Tenner stellt die Fachbegriffe vor und gibt konkrete Handlungshinweise für die Vergabe.

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Nullemissionsgebäude (zero emission buildings) sind ein zentraler Bestandteil der europäischen Strategie zur Reduzierung der CO2-Emissionen und zur Erreichung der Klimaziele. Gemäß Artikel 7 Absatz 1 der EU-Gebäuderichtlinie 2010/31/EU (Energy Performance of Buildings Directive, kurz EPBD) müssen alle neuen Gebäude ab 2030, öffentliche Gebäude bereits ab 2028, Nullemissionsgebäude sein.

Bis zur Anwendung von Art. 7 Abs. 1 EPBD stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass alle neuen Gebäude mindestens Niedrigstenergiegebäude (nearly zero energy buildings) sind. Dies stellt eine bedeutende Herausforderung, aber auch eine große Chance für die Bauindustrie und für öffentliche sowie private Auftraggeber dar.

Der Autor

Dr. Jan T. Tenner, LL.M. ist Rechtsanwalt bei der KPMG LAW Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Er berät Mandanten bei der Konzeption und Realisierung von Bauvorhaben im öffentlichen und privaten Sektor. Profil von Jan Tenner bei KPMG »

Was sind Niedrigstenergiegebäude?

Niedrigstenergiegebäude sind gemäß Artikel 2 Nr. 3 EPBD Gebäude, die eine sehr hohe Gesamtenergieeffizienz aufweisen. Der fast bei null liegende oder sehr geringe Energiebedarf dieser Gebäude soll zu einem wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden, die vor Ort oder in der Nähe produziert wird.

Die für Deutschland maßgeblichen Effizienzstandards EH 55 (auch KfW 55 genannt) für Wohngebäude und Nichtwohngebäude sind im Gebäudeenergiegesetzes (GEG) geregelt. Beim EH 55-Standard muss der Jahresprimärenergiebedarf für Heizung, Warmwasserbereitung, Lüftung, Kühlung und eingebaute Beleuchtung 45 % unter dem eines Referenzgebäudes nach Anlage 1 zum GEG liegen (§ 15 Abs. 1, § 18 Abs. 1 GEG).

Vorherige Überlegungen zugunsten eines EH 40-Standards wurden zumindest in dieser Legislaturperiode aufgrund der aktuell schwierigen Rahmenbedingungen in der Bau- und Wohnungswirtschaft durch hohe Zinsen und Baukosten ausgesetzt.

Was sind Nullemissionsgebäude?

Nullemissionsgebäude im Sinne von Art. 2 NR. 2 EPBD unterscheiden sich von Niedrigstenergiegebäuden hauptsächlich durch den Grad der Energieeffizienz und die Herkunft der Energie. Während Nullemissionsgebäude nahezu keinen Netto-Energieverbrauch haben und die benötigte Energie fast vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen muss, erfüllen Niedrigstenergiegebäude lediglich hohe Anforderungen an die Energieeffizienz gemäß den nationalen Standards.

Niedrigstenergiegebäude benötigen also im Vergleich zu Nullemissionsgebäuden mehr Energie und es ist nicht zwingend erforderlich, dass diese Energie verpflichtend aus erneuerbaren Quellen stammt.

Auswirkungen auf Vergabeverfahren

Die Anforderung, wonach künftig alle neuen Gebäude Nullemissionsgebäude sein müssen, hat erhebliche Auswirkungen auf Vergabeverfahren im Bau- und Immobiliensektor. Hier sind einige der wichtigsten Aspekte:

Planungsvergabe

Zum Start des Beschaffungsvorgangs sollte der Auftraggeber eine Entscheidung über die angestrebten Emissionsstandards (Niedrigstenergie- oder Nullemissionsgebäude) treffen. Dabei kann sich empfehlen, bereits vor Inkrafttreten der EPBD das Nullemissionsgebäude als Planungsziel festzulegen. So kann vermieden werden, dass eine zwischenzeitliche Umsetzung der EPBD in nationales Recht und damit eine Pflicht zum Nullemissionsgebäude der Genehmigungsfähigkeit und/oder der Förderfähigkeit des Bauvorhabens entgegensteht.

Bei der Konzeption der Planungsvergaben ist darauf zu achten, dass die Referenzanforderungen den Markt nicht überfordern. Zwar ist es möglich, dass Planungsbüros inzwischen über abgeschlossene Referenzen für Nullemissionsgebäude verfügen, vor allem bei Planungen für private Auftraggeber. Entsprechende Referenzen von öffentlichen Auftraggebern dürfte es indes kaum geben. Das dürfte vor allem wegen der aktuell noch nicht in Kraft getretenen Verpflichtung zu Nullemissionsgebäuden und dem Fokus der öffentlichen Hand auf niedrige Investitionskosten gelten.

Dieser Fokus wird dem haushaltsrechtlichen Gebot der sparsamen Mittelverwendung aber nicht gerecht. Einerseits gebietet dieser schon immer, die Lebenszykluskosten zu betrachten. Andererseits sind dabei auch externe Umweltfaktoren zu berücksichtigen. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht vom 19. Januar 2022 ausgeführt, dass unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten eine Handlungsalternative wirtschaftlich sein kann, die ohne Berücksichtigung dieser Aspekte ansonsten unwirtschaftlich gewesen wäre.

Erfahrungen mit Nullemissionsgebäuden sollten bereits vor dem Vergabeverfahren durch Markterkundungen eingeholt und im Vergabeprozess berücksichtigt werden. Diese können etwa Gegenstand von Verhandlungen sein oder in der Zuschlagswertung positiv berücksichtigt werden. Beides zu verbinden ist aufgrund des Verbots, über Zuschlagskriterien zu verhandeln, indes nicht möglich.

Soweit über Planungsziele verhandelt wird, sollten stets die Gesamtprojektziele, insbesondere die Kosten- und Terminziele, im Blick behalten werden. Letztlich sollten auch bereits im Vergabeverfahren digitale Planungsansätze (z.B. Building Information Modeling, BIM) in Betracht gezogen und insbesondere für das Controlling und die Dokumentation der späteren Umsetzung berücksichtigt werden.

Bauvergabe

Auch die Bauvergaben müssen spezifische Anforderungen an die Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien stellen. Dies bedeutet, dass die Vergabeunterlagen technische Spezifikationen enthalten müssen, die sicherstellen, dass die fertigen Gebäude dem angestrebten Standard entsprechen. Das kann den Einsatz von innovativen Baumaschinen oder Bauprodukten erfordern. Auch hier ist eine hinreichende Marktanalyse geboten, um angemessene Eignungs- und Zuschlagskriterien anzulegen.

Innovative Bauausführung kann aufgrund fehlender Bewährung in der Praxis von den anerkannten Regeln der Technik abweichen. Hier sind transparente Vorgaben in der Leistungsbeschreibung erforderlich und die verbleibenden Risiken angemessen vertraglich zu verteilen.

Fazit

Die Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie in Bezug auf Nullemissionsgebäude ist eine komplexe Herausforderung, bietet aber auch eine große Chance, das Bauen nachhaltiger zu gestalten. Vergabeverfahren spielen eine entscheidende Rolle bei der Förderung und Umsetzung dieser neuen Standards. Sie müssen sorgfältig gestaltet werden, um die Einhaltung der künftigen Anforderungen zu gewährleisten und gleichzeitig Innovation und Wirtschaftlichkeit zu fördern.

Titelbild: Milica Spasojevic – Unsplash