Dr. Florian Stegmann, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei

Die novellierte VwV Beschaffung des Landes Baden-Württemberg wird am 1. Oktober 2024 in Kraft treten. Sie umfasst das angekündigte Pilotprojekt zur Vergabe an Start-ups. Direktaufträge sind künftig bis zu einem Auftragswert von 100.000 Euro möglich.

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Schon im Mai vergangenen Jahres befand sich die Novelle in der Ressortabstimmung, wie das Wirtschaftsministerium in einer Stellungnahme zu einem Antrag aus der FDP-Landtagsfraktion erklärte.

Auf zwölf Seiten runtergekürzt

Die Verordnung wurde am 23. Juli vom Ministerrat beschlossen und wird unter den Beschaffungsunterlagen für Landeseinrichtungen des Wirtschaftsministeriums zum Download angeboten. Im Portal Landesrecht BW soll sie am 28. August verkündet werden.

Die Verordnung ist Teil der Vorhaben, die mit dem Ziel des Bürokratieabbaus umgesetzt wurden und werden. Erst Mitte Juli hat die Landesregierung im Rahmen der so genannten Entlastungsallianz 100 Maßnahmen verabschiedet, eine Woche später wurde neben einer Reform der Landesbauordnung und weiteren Maßnahmen nun auch die Reform der Verwaltungsvorschrift Beschaffung auf den Weg gebracht. Diese sei dabei von ursprünglich 59 Seiten „auf zwölf Seiten runtergekürzt“, wie der Staatsminister Dr. Florian Stegmann im Interview mit dem Staatsanzeiger erklärt.

Kommunale Regelung gilt weiter

Anzuwenden ist die Verwaltungsvorschrift von allen Behörden, Betrieben und Einrichtungen des Landes sowie den landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Die am 21. Mai vom Innenministerium per Rundschreiben bekanntgemachten Wertgrenzen für die Vergabe unterhalb der EU-Schwellenwerte im kommunalen Bereich (Beitrag im cosinex Blog) gelten also im Rahmen ihrer Befristung bis zum 31. Dezember 2026 voraussichtlich weiter.

Pilotprojekt für innovationsfreundliche Vergabe an Start-ups

Eines der im Vorfeld prominenteren Vorhaben war die erweiterte Start-up-Förderung. Sie ist in Abschnitt 4 Angemessene Beteiligung des Mittelstandes und von Start-ups festgeschrieben, dem zufolge Liefer- und Dienstleistungen ohne ein Vergabeverfahren an Start-ups vergeben werden können, wenn der Auftragswert unterhalb des jeweiligen EU-Schwellenwerts liegt.

Start-ups werden dabei definiert als „junge innovative Unternehmen mit Wachstumsambitionen“, die sich durch ein innovatives Geschäftsmodell, ein innovatives Produkt oder eine innovative Dienstleistung auszeichnen. Außerdem sollen sie Skalierungspotenzial aufweisen, also das Potenzial „zu wachsen und sich zu entwickeln“.

Dieses Pilotprojekt wird drei Jahre nach Inkrafttreten dieser Verwaltungsvorschrift enden, seine Auswirkungen sollen zum Ende des Jahres 2026 evaluiert werden. Darüber hinaus skizziert die VwV sonstige Unterstützungsmöglichkeiten, um Start-ups bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zu berücksichtigen. So sind Start-ups bei beschränkten Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb und bei Verhandlungsvergaben mit oder ohne Teilnahmewettbewerb regelmäßig in angemessenem Umfang zur Angebotsabgabe aufzufordern.

Ferner ist in den Vergabeunterlagen vorzuschreiben, dass Unternehmen zu Unteraufträgen Start-ups in dem Umfang heranziehen, wie dies mit der vertragsgemäßen Ausführung der Leistungen zu vereinbaren ist.

Wertgrenzen

Beschränkte Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb und Verhandlungsvergaben können künftig bis zum Erreichen des EU-Schwellenwertes durchgeführt werden.

Direktaufträge sind bis zu einem Betrag von 100.000 Euro ohne Umsatzsteuer zulässig. Dies gilt auch für die Beschaffung freiberuflicher Leistungen.

Beide Wertgrenzen sind befristet bis zum Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten dieser Verwaltungsvorschrift, also bis zum 30. September 2027. Analog zur obigen Start-up-Regelung sind zudem die Auswirkungen dieser Wertgrenzen bis zum Ende des Jahres 2026 zu evaluieren.

Klimawirkung und Nachhaltigkeit

Vor der Einleitung eines Vergabeverfahrens ist eine detaillierte Bedarfsanalyse durchzuführen, welche die Klimawirkungen im Allgemeinen, den Energieverbrauch, die verursachten Treibhausgasemissionen während des gesamten Lebenszyklus der Leistung und den Aspekt der energieeffizientesten Systemlösung berücksichtigt.

Kommen mehrere Möglichkeiten der Beschaffung in Betracht, soll solchen Liefer- und Dienstleistungen der Vorzug gegeben werden, mit denen das Ziel der Vermeidung oder Verringerung von Treibhausgasemissionen in einem möglichst großen Umfang erreicht werden kann.

Ab einem Auftragswert von 100.000 Euro ohne Umsatzsteuer soll im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung ein CO2-Schattenpreis veranschlagt werden. Dieser hat dem vom Umweltbundesamt wissenschaftlich ermittelten und empfohlenen Wert für jede über den Lebenszyklus der Maßnahme entstehende Tonne Kohlenstoffdioxid zu entsprechen.

Sind keine verlässlichen und belastbaren Hilfestellungen für die Berechnung von CO2-Emissionen der Leistung beziehungsweise Leistungs- oder zumindest Produktgruppe verfügbar, so ist der CO2-Schattenpreis nicht zu veranschlagen.

Der umfangreiche Abschnitt 11 schreibt die Berücksichtigung nachhaltiger Aspekte bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung vor. Auftraggeber sollen – sofern sachlich angemessen – von den Unternehmen ein klimafreundliches Verhalten auch bei der Ausführung des Auftrags fordern. Weitere Vorschriften betreffen die nachhaltige Beschaffung von Lebensmitteln, von Papierprodukten sowie fair gehandelte Produkte.

Kommunikation

Bei Beschränkten Ausschreibungen ohne Teilnahmewettbewerb oder Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb kann die elektronische Kommunikation einschließlich Angebotsabgabe bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen per E-Mail erfolgen.

Dabei müssen Manipulationsmöglichkeiten verhindert werden. Beispielhaft genannt wird die Einrichtung einer Funktions-E-Mail-Adresse für die Angebotseinreichung, auf die nur Beschäftigte Zugriff haben, die nicht der Bedarfsstelle angehören

Angebotswertung

Die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots erfolgt auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses. Bei der Berücksichtigung nachhaltiger Aspekte einschließlich gegebenenfalls ermittelter Lebenszykluskosten ist der unter Umständen höhere Preis für die Beschaffung kein Hindernis, sofern er unter Berücksichtigung des § 7 LHO als wirtschaftlich angesehen werden kann.

Zum Zwecke der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes sollen sogenannte Bewertungsmatrizen erstellt werden, in denen die maßgeblichen Zuschlagskriterien entsprechend der vorher festgelegten Gewichtung aufgeführt werden und in denen für die einzelnen Angebote Punktzahlen vergeben werden.

Für den Fall, dass es bei der Wertung zu einer Wertungsgleichheit von zwei oder mehreren Angeboten kommt, sind im Voraus Regeln festzulegen und zu veröffentlichen, zum Beispiel, dass in diesem Fall ein Losentscheid durchgeführt wird oder dass ein bestimmtes Kriterium („Jokerkriterium„) den Ausschlag geben soll.

Vergabe freiberuflicher Leistungen

Bei der Vergabe von freiberuflichen Leistungen soll entweder eine Markterkundung durchgeführt oder mehrere Vergleichsangebote eingeholt werden, es sei denn die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände rechtfertigen es, dass nur ein Unternehmen zur Angebotsabgabe aufgefordert wird. Die Vorschriften zur Dokumentation von Vergabeverfahren in § 6 UVgO sind auch für den Bereich der Vergabe freiberuflicher Leistungen anzuwenden.

Vergütung zusätzlicher Unterlagen und weitere Vorschriften

Abschnitt 3 Vergütung für die Erstellung zusätzlicher Unterlagen der VwV legt fest, dass Unternehmen für die Ausarbeitung von Bewerbungs- oder Angebotsunterlagen grundsätzlich keine Kosten erstattet werden. Leistungen seien dann angemessen zu vergüten, wenn es erforderlich ist, von den Unternehmen außerhalb von Planungswettbewerben im Rahmen der Angebotserstellung zusätzliche Unterlagen, wie eigenständige Entwürfe, Pläne, Zeichnungen oder Berechnungen anzufordern. Die Vergütung kann entweder mit der Auftragsbekanntmachung oder mit der Aufforderung zu Verhandlungen festgesetzt werden.

Weitere Vorschriften der novellierten VwV Beschaffung betreffen unter anderem die Vergabe von öffentlichen Aufträgen bei besonderen Unternehmen. Dazu zählen Werkstätten für behinderte Menschen, Blindenwerkstätten und Inklusionsbetriebe sowie Justizvollzugsanstalten.

Inkrafttreten

Die Verwaltungsvorschrift tritt am 1. Oktober 2024 in Kraft und löst die noch geltende VwV Beschaffung vom 24. Juli 2018 ab. Sie soll am 30. September 2031 außer Kraft treten.

Umsetzung in den cosinex Lösungen

Aufgrund der außergewöhnlichen Höhe der Wertgrenzen setzen wir diese in Form einer Anpassung der Konfiguration erst nach ausdrücklichem Wunsch im Vergabemanagementsystem um. Wenden Sie sich dafür an ihren projektverantwortlichen cosinex-Mitarbeiter.

Quelle und Links

Titelbild: Dr. Florian Stegmann, Staatsminister und Chef der Staatskanzlei