
Ein aktueller Beschluss der Vergabekammer Westfalen gibt wichtige Hinweise zur Transparenz bei der Festlegung von Zuschlagskriterien durch öffentliche Auftraggeber und zur Abgrenzung von Zuschlagsunterkriterien.
Jedes Vergabeverfahren wird maßgeblich durch drei Fragen bestimmt: Was soll beschafft werden (Leistungsbeschreibung)? Wer kommt als potenzieller Leistungserbringer infrage (Eignungskriterien)? Wie sollen die eingegangenen Angebote bewertet werden (Zuschlagskriterien)?
In der Praxis kommt es vor, dass die Zuschlagskriterien in den jeweiligen Fachabteilungen beziehungsweise von dem Bedarfsträger zunächst relativ weit gefasst werden, zum Beispiel „Qualität“ oder „Tragekomfort“. In der konkreten Situation der Angebotswertung werden diese dann näher aufgeschlüsselt, um so eine detailliertere vergleichende Betrachtung der Angebote zu ermöglichen.
Aus Sicht des Vergaberechts gibt es hier eine zu beachtende Abgrenzung: Sie verläuft zwischen der vergaberechtlich unbedenklichen Subsumtion eines Zuschlagshauptkriteriums und dem vergaberechtswidrigen nachträglichen Aufstellen eines Unterkriteriums.
Warum diese Abgrenzung wichtig ist und wie sie in der Praxis vorgenommen werden kann, hat die Vergabekammer Westfalen kürzlich herausgearbeitet (Beschluss vom 17.05.2024, VK 3 – 9 / 24).

Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
I. Der Sachverhalt
Der öffentliche Auftraggeber schrieb einen Software-Auftrag europaweit aus. Die Auswahlentscheidung sollte nach Preis zu 30 % und zu 70 % anhand qualitativer Zuschlagskriterien erfolgen. Die qualitativen Zuschlagskriterien gliederten sich weiter in die mit 30 % gewichtete „persönliche Erfahrung des [neunköpfigen] Projektteams“ und das ‑ im Folgenden nicht relevante ‑ mit 40 % gewichtete Ausführungskonzept.
Die persönliche Erfahrung jedes Teammitglieds beabsichtigte die Antragsgegnerin aufgrund eines persönlichen Referenzprojekts zu bewerten. In einer Gesamtschau sollte wie folgt bewertet werden:
„Je vergleichbarer das von dem jeweiligen Mitglied begleitete persönliche Referenzprojekt ist und die dabei gewonnene persönliche Erfahrung für die gegenständlichen Leistungen des jeweiligen Mitglieds, umso besser die Bewertung – im Vergleich zu dem angegebenen persönlichen Referenzprojekt des jeweiligen Mitglieds der anderen Bieter –, umso besser wird die Erfahrung des jeweiligen Mitglieds mit Blick auf das anstehende Projekt gewertet.“
Um eine vergleichende Betrachtung zu ermöglichen, wurde eine verbindliche Gliederung vorgeschrieben, wonach bestimmte Angaben zu machen waren, so zum Beispiel „Beschreibung des Projekts“ oder „Angaben zu den von dem jeweiligen Mitglied selbst erbrachten Leistungen und die dabei gewonnene persönliche Erfahrung“.
Die Antragsgegnerin wertete die Angebote aus. Dabei teilte sie die zu erreichende Gesamtpunktzahl von fünf Punkten je Projektteammitglied wie folgt weiter auf:
- „Beschreibung des Projekts“ je Projektteammitglied insgesamt max. zwei Punkte,
- „Personentage im Projekt“ insgesamt max. einen Punkt und
- „erbrachte Leistungen / persönliche Erfahrung“ insgesamt max. zwei Punkte.
Diese Aufsplittung war den Bietern vorher nicht mitgeteilt worden.
Nachdem der späteren Antragstellerin gemäß § 134 GWB mitgeteilt wurde, dass ein Wettbewerber als Zuschlagskandidat ausgewählt wurde, stellte diese nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag, mit dem sie unter anderem gegen die dargestellte Wertung vorging.
II. Der Beschluss
Die Vergabekammer hält den in diesem Punkt zulässigen Nachprüfungsantrag auch für begründet. Sie stellt zunächst fest, dass der öffentliche Auftraggeber bei der Wertung des Zuschlagskriteriums „Erfahrung des Projektteams“ die drei vorstehenden weiteren Unterkriterien samt Gewichtung gebildet hat. Dadurch, dass dies im Vorfeld nicht bekannt gemacht wurde, habe er den Anspruch der Antragstellerin auf ein transparent durchgeführtes Vergabeverfahren (§§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) verletzt.
1. Allgemeiner rechtlicher Rahmen
Nach § 127 Abs. 5 GWB erfordere ein transparentes Vergabeverfahren, dass die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufgeführt sind. Schließlich definierten auch die Zuschlagskriterien die Anforderungen an die zu erbringende Leistung, sodass ein Bieter nur bei ausreichender Information hierüber seine Erfolgschancen abschätzen könne.
Welche Zuschlagskriterien im Rahmen der Bewertung relevant seien und welchen Faktoren eine Bedeutung zukomme, könne der öffentliche Auftraggeber weitgehend ungebunden entscheiden. Er könne definieren, worauf es ihm bei dem beabsichtigten Auftrag ankommt, was er für wirtschaftlich hält und wie er seine Bewertung organisiert und strukturiert. Dieser Beurteilungsspielraum sei von den Nachprüfungsinstanzen nur auf Einhaltung der rechtlichen Grenzen kontrollierbar.
Hat der öffentliche Auftraggeber die Leistung abschließend beschrieben und bekannt gemacht, müsse er sich mit Blick auf den Transparenzgrundsatz hieran festhalten lassen. Ohne Änderungsbekanntmachung dürfe er nachträglich nicht von zuvor festgelegten Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung abweichen.
2. Zuschlagshauptkriterium vs. Zuschlagsunterkriterium
Das gelte auch für die Anwendung vorher nicht bekannt gemachter Zuschlagsunterkriterien beziehungsweise für deren Gewichtung. Letztlich stelle ein Zuschlagsunterkriterium nur eine weitere Untergliederung eines Zuschlagshauptkriteriums dar: Während der öffentliche Auftraggeber durch ein Zuschlagshauptkriterium die Anforderung an die Qualität einer zu vergebenden Leistung gliedere, präzisiere das Zuschlagsunterkriterium ein Zuschlagshauptkriterium selbst und mit diesem ebenfalls die Leistung. Die weitergehende Differenzierung ermögliche es dem öffentlichen Auftraggeber, eine nachvollziehbarere Auswahlentscheidung treffen zu können. Die Bieter erhielten demgegenüber eine inhaltliche Richtung und Orientierungshilfe, um ihr Angebot erstellen zu können.
Im Zusammenhang mit der Nachprüfung eines Vergabeverfahrens bedürfe es regelmäßig der Auseinandersetzung mit der Frage, ob der öffentliche Auftraggeber in vergaberechtswidriger Weise ein vorher nicht bekannt gemachtes Unterkriterium in der Wertung berücksichtigt oder „nur“ die angebotene Leistung unter die Leistungsanforderungen subsumiert hat. Letzteres ist rechtmäßig, da der öffentliche Auftraggeber – vorrangig bei funktionalen Leistungsbeschreibungen – das Angebot auswerten können muss. Er muss bisher unbekannte Lösungsansätze daraufhin prüfen dürfen, ob diese die ausgeschriebenen Anforderungen voraussichtlich erfüllen.
In anderen Worten: Nicht sämtliche Überlegungen im Rahmen der Wertung stellen Unterkriterien dar. Vielmehr kennzeichne sich ein Unterkriterium (in Abgrenzung zur bloßen Auswertung der Leistungsanforderungen) dadurch, dass es nicht nur die Leistung und insbesondere deren Qualität definiert, sondern darüber hinaus unmittelbar Einfluss auf das Wertungsergebnis hat. Jedenfalls dann, wenn bestimmte Aspekte herausgestellt würden, im Rahmen der Bewertung einen konkreten Punktwert von einer definierten Höchstpunktzahl zugewiesen bekommen und letztlich rechnerisch nachvollziehbar in die Gesamtwertung einfließen, hat der öffentliche Auftraggeber ein Unterkriterium gebildet.
Gemessen an diesen Grundsätzen habe der Auftraggeber mit der nachträglichen Untergliederung Unterkriterien geschaffen. Da diese den Bietern nicht mitgeteilt wurden, ist das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Zustand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen.

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III Hinweise für die Praxis
Die Frage nach der vergaberechtlich geforderten Transparenz bei der Festlegung von Wertungskriterien und etwaiger Unterkriterien beschäftigt die Nachprüfungsinstanzen immer wieder.
Transparenz bei den Wertungskriterien ist allerdings sowohl für die Bieter als auch die Auftraggeber eine unbedingte Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung eines Vergabeverfahrens.
Aus Sicht der Bieter geht es darum, dass sie ihre Angebote an den Erwartungen des Auftraggebers ausrichten können, die ihren Ausdruck in den Wertungskriterien gefunden haben. Mangelt es an Transparenz, laufen sie Gefahr, durch eine nicht zutreffende Setzung von Schwerpunkten eine (andere) Leistung anzubieten, die den Bedarf und die Anforderungen so nicht trifft.
Dementsprechend erhöhen sich die Chancen, eine den Vorstellungen des Auftraggebers entsprechende Leistung angeboten zu bekommen, wenn die Wertungskriterien transparent mitgeteilt wurden.
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