Über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben in Bochum erneut den Puls des Vergaberechts gefühlt: Das Vergabesymposium 2024 offenbarte die zentrale Rolle, die das öffentliche Auftragswesen für die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft spielt und bot fundierte Einblicke in Gegenwart und Zukunft der öffentlichen Beschaffung.

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Die Gegenwart des Vergaberechts

Zum Auftakt der Veranstaltung führte der Beiratsvorsitzende der cosinex Martin Fervers zur Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in das erneut umfangreiche Programm mit 28 Referentinnen und Referenten, zwei Fachforen, vier Masterclasses und rund 15 Stunden Content ein.

Im Fokus der Veranstaltung stand wie immer ein fundierter und breiter vergaberechtlicher Überblick. Hier bot Hermann Summa mit seinem Überblick unausrottbarer Irrtümer der Auftraggeber einen fulminanten Auftakt: Angefangen beim „unsäglichen Angebotsschreiben“, dessen Fehlen längst keinen Ausschlusstatbestand mehr darstellt, bis hin zur Wartefrist stellte Summa anhand konkreter Ausschreibungen dar, welche Fehler und Irrtümer sich in der Vergabepraxis leicht vermeiden lassen.

Die aktuellen Leitplanken für Vergabeverfahren

Wichtige Entwicklungen in der Vergaberechtsprechung der vergangenen rund zwei Jahre stellte Dr. Nicola Ohrtmann vor. Unter der Leitfrage Wie hätten Sie entschieden? ging die Fachanwältin für Vergaberecht und Partnerin der Kanzlei Aulinger auf rund dreißig Entscheidungen ein und leitete von ihnen praxisnah die Leitplanken ab, an denen sich Vergabeverfahren nunmehr orientieren sollten.

Vergaberecht und Zuwendungsrecht

Die Wechselwirkungen zwischen Vergaberecht und Zuwendungsrecht sind ein Dauerbrenner – auch, weil beide Gebiete regelmäßig Änderungen unterworfen sind. Prof. Dr. Martin Burgi von der Ludwig-Maximilians-Universität München bot einen aktuellen Überblick, in dem er auch auf die nach wie vor strengen Sanktionsmechanismen einging, die insbesondere das Zuwendungsrecht mit sich bringt.

Obschon die Rechtsentwicklung sich in diesem Bereich „auf einem relativ guten Weg“ befinde, sparte Burgi nicht mit Kritik in Richtung der Politik: Es sei noch nicht gelungen, auf das „Übermaß an Sanktion auf adäquate Weise zu reagieren“. Auch wundere ihn das Misstrauen, das Bund und Länder gegenüber den Gemeinden zu hegen scheinen, so Burgi.

Das Highlander-Prinzip

Alleinstellungsmerkmale in der Vergabepraxis stellte der cosinex Syndikus und Fachanwalt für Vergaberecht Norbert Dippel vor. Anhand von vier Fallkonstellationen erläuterte er, warum in der Tat gilt: „Es kann nur einen geben“, wenn ein öffentlicher Auftraggeber ein technisches Alleinstellungsmerkmal heranziehen möchte, um Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu vergeben.

Aus eigener Erfahrung riet Dippel, den zeitlichen Aufwand, der in die Begründung eines wackeligen Alleinstellungsmerkmals gesteckt werden müsste, besser in die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens zu investieren. So komme man schneller und vor allem rechtssicherer zum Ziel.

Aktuelle Rechtsprechung zu ungewöhnlich niedrigen Angeboten

Die Vorsitzende Richterin am OLG Düsseldorf Dr. Christine Maimann stellte auf dem Vergabesymposium aktuelle Rechtsprechung des Oberlandesgerichts vor, die sich vorwiegend um das Thema ungewöhnlich niedriger Angebote drehte. Dabei ging sie auch auf den Umgang mit Unterkostenangeboten sowie die Frage ein, wann ein Angebot zufriedenstellend aufgeklärt ist. Größter Wert sei auf die Dokumentation und darin auf einen hohen Detaillierungsgrad zu legen, so Dr. Maimann.

„Nicht endlos optimieren“

Dr. Ute Jasper ist nicht nur engagierte Streiterin für nachhaltige Beschaffung, sondern auch eine herausragende Expertin in allen rechtlichen Fragen, die sich bei diesem Thema ergeben. Ihren Vortrag widmete sie der praktischen Wertung von Energie und CO2 in Vergabeverfahren. Ihr Appell an die Praktiker vor Ort: Nicht endlos optimieren, sondern besser prüfen, was man weglassen kann. Überoptimierte Angebote würden nicht weiterhelfen.

Das Vergabetransformationspaket

Ein wesentlicher Meilenstein in der Zukunft der öffentlichen Beschaffung in Deutschland wird das Vergabetransformationspaket sein, das entsprechend ein roter Faden des Vergabesymposiums 2024 war.

„Netto mehr Vereinfachung“

Dr. Benjamin Häusinger vom Bundeswirtschaftsministerium gab einen Einblick in die Genese des Gesetzgebungsverfahrens vom Koalitionsvertrag bis hin zur Konsultation, in deren Rahmen über 400 Organisationen und Einzelpersonen Stellungnahmen abgegeben haben.

Häusinger betonte: Das Transformationspaket legt den Fokus auf Vereinfachung und Bürokratieabbau. Dabei gelte es, beide Seiten beachten, also eine Entlastung der Verwaltung ebenso wie der Wirtschaft. Zugleich könne man eine Anpassung mit Augenmaß erwarten: Es handle sich zwar um „ein sehr umfangreiches Update, aber keine Revolution“.

Derzeit befinde sich das Paket in der interministeriellen Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Mit einem Kabinettsbeschluss sei im Sommer zu rechnen, das parlamentarische Verfahren sei im Herbst und Winter zu erwarten, so Häusinger.

Vergabetransformation: Was ist das?

Einen Schub für die evidenzbasierte Beschaffung erwartet Prof. Dr. Michael Eßig, Universität der Bundeswehr München, von der Vergabetransformation, die einen Schritt hin zu einer umfassenden Reform auf Basis von Daten darstellen könne.

Vieles wüssten öffentliche Beschaffer derzeit nämlich nicht. So sei etwa das Beschaffungsvolumen innerhalb der Bundesrepublik bislang seitens der OECD auf 350 Mrd. € pro Jahr geschätzt worden (Stand 2019). Die offizielle Vergabestatistik des Bundeswirtschaftsministeriums schätzt das Volumen hingegen mit Stand 2023 auf 104 Mrd. € pro Jahr. Ähnliches gelte für Kennzahlen zur Wettbewerbsintensität um öffentliche Aufträge, Nachhaltigkeitskriterien und die länderübergreifende Bezuschlagung.

Bessere Daten könnten folglich zu besserer Beschaffung und letztlich auch zu einem besseren öffentlichen Ruf selbiger führen, wie der Vergaberechtsexperte darlegte.

Kultur und Networking

Erneut und in bereits bewährter Tradition ließen die über fünfhundert Teilnehmer des Vergabesymposiums den ersten Veranstaltungstag mit einem Rooftop Barbecue auf den Dachterrassen und in der Lounge der Jahrhunderthalle ausklingen.

Die Zukunft der öffentlichen Beschaffung

Auch über das Transformationspaket hinaus wurden in mehreren Fachforen und Vorträgen Ausblicke in die Zukunft von öffentlicher Beschaffung und Vergaberecht unternommen.

eForms, XBestellung und XKatalog

Standards im Beschaffungsprozess spielen eine immer wichtigere Rolle – davon zeugen eForms und XRechnung, um nur zwei Beispiele zu nennen. Peter Büsing, Projektleiter für Bund- und Länderprojekte beim Senator für Finanzen Bremen, und Annette Schmidt, Referatsleiterin der Zentralen Vergabestelle beim NRW-Wirtschaftsministerium, gaben einen Ausblick in die weitere Zukunft der Standardisierung.

So solle im Rahmen der Entwicklung von eForms für die Unterschwelle, über die wir bereits berichteten, bereits im Oktober eine Pilotphase mit den Lösungsanbietern starten.

Geplant sei auch die Weiterentwicklung der bestehenden XBestellung-Spezifikation, um analog zum Versand einer XRechnung über die Peppol-Infrastruktur auch Bestellnachrichten an liefernde Unternehmen versenden zu können.

Mit XKatalog sei überdies die Entwicklung eines Katalogstandards geplant, der eine einfache Handhabung für Fachhändler und die effiziente Datenverarbeitung für die Beschaffung gewährleisten soll.

Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare

Ralf Sand vom Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und cosinex Entwicklungsleiter Carsten Eschenröder stellten mit Web-Forms NRW ein innovatives Projekt für den Ausstausch zwischen Vergabestelle und Bieter vor, das einen weiteren Schritt aus der alten, papiergebundenen Formularwelt darstellen soll. Web-Forms NRW werden die nutzerfreundliche, medienbruchfreie Erfassung von Daten ermöglichen, die überdies validierbar und auswertbar werden.

KI in der öffentlichen Beschaffung

Mit dem Einsatz von KI in der öffentlichen Beschaffung sprach Dr. Daniel Rau von der Bundesbank über ein Thema, das kaum aktueller hätte sein können – auch aufgrund der erst kurz zuvor angekündigten Neuerungen durch OpenAI und Google. Neben konkreten Praxisbeispielen etwa bei der Erstellung von Leistungsbeschreibungen und der Prüfung auf Alleinstellungsmerkmale ging Rau auch auf rechtliche Fragen insbesondere von Datenhoheit und Vertraulichkeit sowie auf die derzeitigen Stärken und Schwächen von künstlicher Intelligenz ein.

Taschengeld, Kaufhäuser und Top Gun

Die Erhöhung von Wertgrenzen, wie sie von immer mehr Bundesländern betrieben werden und voraussichtlich auch im Vergabetransformationspaket des Bundes vorgesehen ist, führt auch zu einem Bedeutungszuwachs von Marktplätzen in der öffentlichen Beschaffung. cosinex Geschäftsführer Carsten Klipstein diskutierte daher mit zwei Vertretern solcher Marktplätze – André Schwarz von Mercateo/Unite und Marc Bachmann von Amazon Business – über Taschengeld, Kaufhäuser und Top Gun.

Auf beiden Plattformen sei durchaus ein erhöhtes Einkaufsvolumen infolge der gestiegenen Wertgrenzen zu verzeichnen. Schwarz und Bachmann sahen aber kein grundsätzlich gestiegenes Risiko von Maverick Buying: Transparenz sei in den Lösungen bereits jetzt herstellbar, auch eine Kontrolle des Einkaufsverhaltens durch die jeweiligen Organisationen sei bereits möglich.

Blick über den Tellerrand

Der Blick über den Tellerrand wurde auf dem letztjährigen Vergabesymposium mit einem Blick in das österreichische Vergaberecht eröffnet und fand 2024 mit der Frage, was wir vom Nachbarn Schweiz lernen können, seine Fortsetzung.

Alexandra Terzaki führte erneut durch das Gespräch und diskutierte mit Marc Steiner, Richter am schweizerischen Bundesverwaltungsgericht, über das Verhältnis der Schweiz zum europäischen wie auch zum internationalen Vergaberecht sowie über den besonderen Stellenwert der nachhaltigen Beschaffung in der Schweiz, die dort gleichberechtigt zu weiteren Beschaffungszielen wie der Wirtschaftlichkeit rangiert.

Sponsoren

Ohne unsere Sponsoren und Aussteller wäre das Vergabesymposium so nicht möglich. Daher auch an dieser Stelle ganz herzlichen Dank an DTVP Deutsches Vergabeportal GmbH, VISION Consulting GmbH, Aulinger Rechtsanwälte Notare, Bundesanzeiger Verlag GmbH, Hays, Kompetenzzentrum innovative Beschaffung (KOINNO), top itservices AG, GATE Eventmanagement & Veranstaltungstechnik GmbH und GovMind.

Masterclasses

Erstmals auf dem Vergabesymposium 2023 eingeführt, haben sich die Masterclasses zum festen Bestandteil der Veranstaltung entwickelt. Im eigens dafür bereitgestellten Event Dome erhielten die jeweils rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in  einstündigen Sessions praxisnahe Einblicke in Themen wie die effektive Zusammenarbeit von Fachabteilungen, die Beschaffung bei der Ausschreibung von Personaldienstleistungen sowie die Markterkundung von digitalen und innovativen Lösungen.

Um einen kurzfristigen, krankheitsbedingten Referentenausfall aufzufangen und um der hohen Nachfrage zu entsprechen, wurden die Praxistipps für Nachhaltigkeit im Vergabeverfahren und in den Verträgen kurzerhand auf die Hauptbühne verlegt.

Dr. Christopher Marx und Dr. Laurence Westen von Heuking Kühn Lüer Wojtek Rechtsanwälte knüpften dabei direkt an den Vortrag von Dr. Ute Jasper an, indem sie den Teilnehmern Praxistipps für Nachhaltigkeit im Vergabeverfahren und in den Verträgen erläuterten.

Save the Date: 20. und 21. Mai 2025

Am Dienstag, 20. und Mittwoch, 21. Mai 2025 lädt cosinex wieder zum großen Familientreffen der Vergabeszene nach Bochum. Über die Agenda und die Anmeldemöglichkeiten informieren wir in gewohnter Weise hier im cosinex Blog sowie in unseren Newslettern.

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