Die Textform wird in den verschiedenen Vergaberegimen an unterschiedlichen Stellen vorgeschrieben.

Der Markterkundung kommt im Vorfeld eines auf ein Alleinstellungsmerkmal gestützten Vergabeverfahrens eine besondere Bedeutung zu. Norbert Dippel erläutert anhand einer Entscheidung des OLG Rostock die Hintergründe.

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Mit einer Rechtsprechungsübersicht zum Vorliegen des technischen Alleinstellungsmerkmals schloss gestern das dritte Vergabesymposium der cosinex in der Jahrhunderthalle in Bochum. Für die daheim gebliebenen Leser unseres Blogs beleuchten wir einen Aspekt dieses sehr praxisrelevanten Themas.

Wie schon der Name sagt, setzt ein technisches Alleinstellungsmerkmal voraus, dass nur ein Unternehmen technisch in der Lage ist, die geforderte Leistung zu erbringen. Ein probates Mittel, um diesen Nachweis zu führen, stellt die vorgeschaltete Markterkundung dar. Ergibt sie, dass nur ein bestimmtes Produkt über eine bestimmte technische Spezifikation verfügt, kann ein technisches Alleinstellungsmerkmal vorliegen.

Doch wie ist mit folgender Konstellation umzugehen? Ein Unternehmen gibt im Rahmen der Markterkundung zunächst an, über eine bestimmte technische Spezifikation nicht zu verfügen. Später greift dieses Unternehmen das Alleinstellungsmerkmal mit der Behauptung an, die eigenen Produkte würden doch über diese technische Spezifikation verfügen.

Über eine derartige Konstellation hatte das OLG Rostock (Beschluss vom 25.11.2020, 17 Verg 1 / 20) zu entscheiden.

I. Der Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber hat einen Auftrag über die Erbringung von Softwaredienstleistungen ohne Ausschreibung an die spätere Beigeladene vergeben. Vorausgegangen war eine Markterkundung durch Internetrecherchen, Gespräche mit potenziellen Anbietern und die Teilnahme an einer Fachmesse.

In einer Notiz hat die Projektleiterin des Auftraggebers das Ergebnis eines Gesprächs mit der späteren Antragstellerin festgehalten, wonach bei deren Produkt ein integriertes Dokumentenmanagementsystem (DMS) weder vorhanden noch angedacht sei. DMS anderer Anbieter könnten jedoch über Schnittstellen angebunden werden.

Im Nachgang zur Markterkundung entschied der Auftraggeber, ein integriertes DMS mit OCR (Schrifterkennung) als Mindestkriterium zu fordern. Die Nutzung einer (externen) DMS-Lösung scheide aufgrund der Fehleranfälligkeit sowie datenschutzrechtlicher Fragen aus.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Da aus Sicht des Auftraggebers kein anderes Produkt mit einem integrierten DMS in Frage kam, veröffentlichte er eine Vorinformation über die beabsichtigte Direktvergabe an die spätere Beigeladene.

Aus Sicht der späteren Antragstellerin lagen die Voraussetzungen eines technischen Alleinstellungsmerkmals (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b VgV) nicht vor. Nunmehr führt sie an, dass sie nicht nur seit Jahren über etablierte, leistungsfähige bidirektionale Schnittstellen zu sämtlichen marktführenden DMS verfüge, sondern die notwendigen Funktionen besitze, um

„analog zu einem eigenständigen Dokumentenmanagementsystem programmintern erstellte Dokumente revisionssicher abzulegen, fremde Dokumente und Informationen in die elektronische Fallakte einzufügen und zu verwalten“.

Deshalb wandte sie sich erfolgreich mit einem Nachprüfungsantrag an die Vergabekammer, die die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Alleinstellungsmerkmals als nicht gegeben ansah.

Hiergegen ging nunmehr der Auftraggeber mit einer sofortigen Beschwerde vor.

II. Die Entscheidung

Der Vergabesenat sieht den Fall anders als die Vergabekammer: Die zulässige sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg, weil der ursprüngliche Nachprüfungsantrag unbegründet ist.

Eine Direktvergabe ohne Wettbewerb darf nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b VgV erfolgen, wenn aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Dies setze voraus, dass die vergaberechtlich zulässig gestellten Anforderungen (nachfolgend 1) von keinem anderen Anbieter erfüllt werden (nachfolgend 2). Dabei kommt es nicht auf die subjektive Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers an, sondern darauf, ob die Deckung des Beschaffungsbedarfs anderen Unternehmen objektiv unmöglich ist. Dem Auftraggeber sind insoweit Möglichkeiten zur bewussten Manipulation des Beschaffungsvorgangs genommen.

1. Zu den zulässigen Anforderungen

Bei der Frage, ob eine Anforderung an den Beschaffungsgegenstand in vergaberechtlich zulässiger Weise gefordert wurde, unterscheidet der Vergabesenat danach, ob die Anforderung zu einer Marktverengung auf ein Unternehmen (Alleinstellungsmerkmal) führt oder nicht.

Der Vergabesenat stellt zunächst klar, dass dem Auftraggeber grundsätzlich das Bestimmungsrecht zustehe, ob und welchen Gegenstand er beschaffen will. Solange er dabei die Grenzen beachte und nicht – offen oder versteckt – ein bestimmtes Produkt bevorzuge und andere Anbieter diskriminiere (§ 31 Abs. 6 VgV), sei er bei dieser Bestimmung im Grundsatz weitgehend frei.

Er bestimme über die an die zu beschaffenden Gegenstände zu stellenden technischen und ästhetischen Anforderungen. Es sei grundsätzlich keine Markterforschung oder Markterkundung in der Frage notwendig, ob eine andere Lösung möglich sei. Die Anforderung müsse objektiv auftrags- und sachbezogen und die Begründung nachvollziehbar sein. Ob Anforderungen erforderlich oder zweckmäßig wären, sei demgegenüber ohne Belang.

Anders im Falle eines Alleinstellungsmerkmals: Führe die Bestimmung des Auftragsgegenstands durch den öffentlichen Auftraggeber dazu, dass die Leistung technisch nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden könne, greife das Korrektiv des § 14 Abs. 6 VgV. Demnach gälten die Voraussetzungen für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb – mithin eine Vergabe außerhalb des Wettbewerbs – nur dann, wenn es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gebe. Außerdem dürfe der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter sein.

Die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers unterliege damit engeren vergaberechtlichen Grenzen als bei der Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens. Eine Leistungsbestimmung, die aufgrund eines Alleinstellungsmerkmals zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führe, bedürfe größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führe. Ob eine mögliche Alternative oder Ersatzlösung vernünftig sei, unterliege dabei der Einschätzung durch den Auftraggeber.

Vorliegend hält der Vergabesenat die Forderung nach einem integrierten DMS mit OCR (Schrifterkennung), das die Aspekte der Daten-/Informationsqualität und des Datenschutzes berücksichtige, für vergaberechtskonform. Sie sei sachbezogen begründet (unter anderem Betriebssicherheit und Fachbetreuung aus einer Hand). Es sei nicht ersichtlich, dass sie gerade deshalb aufgestellt sei, um die Antragstellerin vom Auftrag auszuschließen.

Auch sei es nicht zu beanstanden, dass der Auftraggeber eine Lösung aus einer Hand wünsche. Dementsprechend erscheine eine gesonderte Beschaffung eines externen DMS (losweise Vergabe) nicht als vernünftige Alternative oder Ersatzlösung zu einem integrierten DMS.

2. Kein anderer Anbieter

Der Vergabesenat hält es für erwiesen, dass das vermeintlich integrierte DMS der Antragstellerin nicht sämtliche Anforderungen erfüllt. Einer Direktvergabe an die Beigeladene stehe die Software der Antragstellerin bereits deshalb nicht entgegen.

Letztlich könne der Senat diese Frage aber offenlassen, da sich die Antragstellerin darauf nicht berufen könne. Aus Sicht des Vergabesenats stehe fest, dass die Mitarbeiter der Antragstellerin im Rahmen der Markterkundung erklärt hätten, die Fachanwendung verfüge nicht über ein integriertes DMS und ein solches sei auch nicht geplant.

Deshalb könne sich die Antragstellerin auf ein vermeintliches Vorhandensein einer solchen Komponente oder die vermeintlich anderweitige Abbildung der Funktionalitäten nicht berufen. Denn angesichts der klaren Aussage war der Auftraggeber zu weitergehenden Nachfragen oder Ermittlungen nicht gehalten.

Dabei sei es unerheblich, dass die Anforderung im Zeitpunkt der Markterkundung noch nicht als Ausschlusskriterium festgelegt und der Antragstellerin mitgeteilt war. Denn die Markterkundung sei dem Vergabeverfahren vorgelagert und diene erst der Ermittlung des konkreten Beschaffungsbedarfs. Der Auftraggeber dürfe nach späterer Festlegung potenzielle Anbieter aus den weiteren Überlegungen ausklammern, soweit er sicher festgestellt hat, dass deren Leistungen die zulässigen Anforderungen nicht erfüllten.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Die vorstehende Entscheidung hebt einmal mehr die besondere Bedeutung der Markterkundung im Vorfeld eines auf ein Alleinstellungsmerkmal gestützten Vergabeverfahrens hervor.

Für die Vergabestelle ist die Dokumentation darüber wichtig, dass nur ein Unternehmen technisch in der Lage ist, diesen Auftrag auszuführen. Deshalb muss die Dokumentation auch die Aussage enthalten, dass die übrigen Unternehmen nicht in der Lage sind, die nachgefragte Leistung technisch zu erbringen.

Aus Unternehmenssicht ist bei der Teilnahme an einer Markterkundung eines öffentlichen Auftraggebers Sorgfalt geboten. Werden hier leichtfertig Aussagen zu der vermeintlich nicht vorliegenden technischen Leistungsfähigkeit gemacht, können diese dazu führen, dass der öffentliche Auftraggeber auf einen Wettbewerb verzichtet. Die spätere Berufung auf die dann doch vorliegende Leistungsfähigkeit ist den Unternehmen dann verwehrt. Dies gilt selbst dann, wenn das entsprechende Kriterium im Rahmen der Markterkundung nicht explizit als Mindest- oder Ausschlusskriterium benannt wurde.

Titelbild: BCFC – shutterstock.com