Wenn neue Medien auf das altehrwürdige Vergaberecht treffen, sind Konflikte vorprogrammiert. In einem von der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern entschiedenen Fall ging es um die Zulässigkeit einer Rüge per WhatsApp.
I. Der Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb Leistungen gem. VOB/A europaweit aus. Für die doch sehr komplexen Kanalbauarbeiten war der Nachweis des RAL Gütezeichen AK 2 zwingend gefordert worden.
Die spätere Antragstellerin gab ein Angebot mit dem geforderten Nachweis ab. Aus den Submissionsergebnissen ging hervor, dass das Angebot der späteren Antragstellerin preislich hinter dem eines Konkurrenten lag. Daraufhin schrieb der Geschäftsführer der späteren Antragstellerin den Projektleiter des Auftraggebers am 8. Februar 2022 über den Nachrichtendienst „WhatsApp“ folgende Nachricht:
„Hallo, das Ergebnis kennst Du ja bestimmt schon. Vllt. könnt ihr mal gucken, ob die geforderte AK 2 wirklich vorliegt.“
Einige Tage später unterrichtete der Auftraggeber die spätere Antragstellerin gemäß § 134 GWB darüber, dass die Zuschlagserteilung an den preislich günstigeren Konkurrenten beabsichtigt sei. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin mit einem Nachprüfungsantrag.
Unter dem Blickwinkel der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages stellte sich insbesondere die Frage, ob die oben zitierte WhatsApp-Nachricht eine formwirksame Rüge ist.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
II. Der Beschluss
Dies bejaht die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 19.05.2022 – 3 VK 3/22).
1. Zum Inhalt der Rüge
Die Antragstellerin habe rechtlich ihre Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 GWB erfüllt. An die Rüge eines Bieters in einem Vergabeverfahren seien keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie sei an keine bestimmte Form gebunden. Eine Rüge in diesem Sinne könne auch als Frage formuliert sein, solange der Bieter deutlich mache, dass er in einem bestimmten Sachverhalt einen Vergaberechtsverstoß sieht und Abhilfe erwartet (unter Hinweis auf: OLG Schleswig, Beschluss vom 04.02.2022 – 54 Verg 9/21).
Aus der Nachricht des Geschäftsführers der Antragstellerin sei die Botschaft hervorgegangen, dass Zweifel daran bestehen, ob ein konkurrierender Bieter bessere Preise anbieten könne, wenn er in qualitativer Hinsicht die gleichen Standards bei der Auftragserledigung aufweist wie die Antragstellerin. Daher sei sehr konkret nach dem Gütezeichen RAL AK 2 gefragt worden. Dies sei als Rüge zu verstehen.
2. Zur Form der Rüge
Nach Ansicht der Vergabekammer habe sich an diesem Ergebnis auch durch die seit 19.10.2018 geltende Pflicht zur E-Vergabe nichts geändert. Die Vorschriften der RL 2014/24/EU, die die Kommunikation zwischen Bieter und öffentlichem Auftraggeber betreffen, bezögen sich nur auf das Vergabeverfahren.
Die Systematik der europarechtlichen Vorgaben spreche dafür, die Rüge als Teil des Rechtsmittelverfahrens anzusehen und nicht dem Vergabeverfahren zuzurechnen. Für den Zugang der Rüge, die als eine rechtsgeschäftliche Handlung angesehen werde, weshalb § 130 BGB gelte, trage für den Fall der Unaufklärbarkeit der Antragsteller die Beweislast.
Die daraus abzuleitende Wissenszurechnung von Verhandlungsgehilfen habe zur Folge, dass selbst in dem Fall, in dem die Ausschreibungsbedingungen ausdrücklich den Auftraggeber als Ansprechstelle nennen würden, eine Rüge gegenüber dem Repräsentanten ausreiche, wenn er vom Auftraggeber mit der Durchführung der Ausschreibung betraut und aufgrund dieser Stellung und seiner Sachkunde objektiv als Ansprechpartner anzusehen sei (unter Hinweis auf: Immenga/Mestmäker, § 160 Rz. 55 ff.).
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III. Hinweise für die Praxis
Eine Rüge muss in formeller und inhaltlicher Hinsicht den vergaberechtlichen Anforderungen genügen.
Was die Form anbelangt, hat die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern richtigerweise darauf hingewiesen, dass für Rügen die Regelungen der Rechtsmittelrichtlinie greifen. Anders als die formstrengen Regelungen der Vergaberichtlinien sieht diese für die Rüge keine bestimmte Form vor. Sie kann schriftlich, mündlich oder eben auch per WhatsApp erfolgen. Die Beweislast dafür, dass tatsächlich gerügt wurde, trägt allerdings der jeweilige Bieter oder Bewerber.
Was den Inhalt einer Rüge anbelangt, sind nach ständiger Rechtsprechung drei Elemente wesentlich:
- Bieter beziehungsweise Bewerber müssen einen konkreten Sachverhalt benennen,
- sowie diesbezüglich zumindest laienhaft zum Ausdruck bringen, dass sie das Vorgehen des Auftraggebers für vergaberechtswidrig halten
- und Abhilfe fordern.
Gemessen an diesen drei Elementen einer Rüge erscheinen abweichende Ansichten darüber vertretbar, ob der im Sachverhalt zitierte Text der WhatsApp-Nachricht eine Rüge darstellt. Jedenfalls erscheint die Interpretation der Vergabekammer, was mit diesem Satz ausgesagt wurde, sehr weitreichend. Insbesondere stellt sich auch die Frage, welches Abhilfebegehren in der Formulierung „Vllt. könnt ihr mal gucken, ob die geforderte AK 2 wirklich vorliegt“ enthalten sein soll.
Bietern und Bewerbern ist aus Gründen der Rechtssicherheit anzuraten, ihre Rügen präziser zu fassen, um auch tatsächlich ihre Rechte im Verfahren zu wahren.
Wird man als Vergabestelle mit der Situation konfrontiert, dass es unklar ist, ob eine Rüge vorliegt, sollte man im Sinne der Rechtssicherheit für klare Verhältnisse sorgen. Dies schafft man beispielsweise mit der Formulierung „vielen Dank für Ihre als Bieterfrage bezeichneten Ausführungen, die wir als Rüge i.S.d. § 160 Abs. 3 GWB werten…“.
Bei Nichtabhilfe wird der Bieter beziehungsweise Bewerber unter Zugzwang gesetzt. Denn gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB hat er dann 15 Tage Zeit, einen Nachprüfungsantrag zu stellen. Unterlässt er es, wäre ein darauf gestützter Nachprüfungsantrag unzulässig. Geht er den Weg des Nachprüfungsantrages, so wird der schwelende Vorgang durchentschieden und der Schwebezustand zu einem frühen Zeitpunkt beendet.
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