Vor rund 10 Jahren, am 28. März 2014 nahmen Parlament und Rat der Europäischen Union das Paket „Vergabe öffentlicher Aufträge“ an. Es umfasst die bekannten Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge, die bis heute auch in Deutschland die Grundlage des Oberschwellenvergaberechts bilden.

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Der Reformbedarf

Europäische Regelungen zur öffentlichen Auftragsvergabe gab es schon lange vor 2014: Seit den 1960er Jahren wurden mehrere normative Rechtsakte zu diesem Thema verabschiedet. Zuletzt galten die Richtlinie 2004/18/EG über Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge und die Richtlinie 2004/17/EG zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste.

Darüber hinaus wurden mit der Richtlinie 2009/81/EG gesonderte Bestimmungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Verteidigungswesen eingeführt, die den Zugang zu den Verteidigungsmärkten anderer Mitgliedstaaten erleichtern sollen.

Eine wichtige Rolle bei der Identifizierung des Reformbedarfs spielte im Jahr 2011 das sogenannte Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, mit dem die Diskussionen und Überlegungen zur Reform der EU-Vergabepolitik angestoßen wurden.

Das Grünbuch hat die wesentlichen Problemfelder des bestehenden Vergaberechts und darauf aufbauend die Ziele der anstehenden Reform zusammengefasst, darunter:

  1. Vereinfachung und Aktualisierung der europäischen Rechtsvorschriften: Das Grünbuch zielte darauf ab, die bestehenden EU-Vorschriften für das öffentliche Auftragswesen zu vereinfachen und zu aktualisieren, um die Auftragsvergabe flexibler zu gestalten und öffentliche Aufträge besser für andere Politikbereiche zu nutzen.
  2. Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen im Bereich der Innovation: Das Grünbuch betonte außerdem die Bedeutung des öffentlichen Auftragswesens als Instrument zur Förderung von Innovationen durch nachfrageseitige politische Maßnahmen.
  3. Unterstützung des Übergangs zu einer ressourcenschonenden und emissionsarmen Wirtschaft: Es wurde hervorgehoben, dass öffentliche Beschaffung dazu beitragen kann, den Übergang zu einer umweltfreundlicheren Wirtschaft zu unterstützen, indem Umwelt- und Sozialstandards in den Vergabeprozess integriert werden.
  4. Förderung des Zugangs von Anbietern aus Drittländern zum EU-Markt: Es wurde die Notwendigkeit angesprochen, den Zugang für Anbieter aus Drittländern zu verbessern, um einen fairen Wettbewerb und eine größere Auswahl an Angeboten zu gewährleisten.
  5. Berücksichtigung politischer Ziele bei der Auftragsvergabe: Im Grünbuch wurde diskutiert, wie das öffentliche Auftragswesen dazu beitragen kann, die politischen Ziele der Wachstumsstrategie Europa 2020 zu erreichen, einschließlich der Förderung von Innovation, Umweltschutz, Gesundheits- und Sozialwesen sowie der Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz.

E-Vergabe

Mit den EU-Vergaberichtlinien wurde die E-Vergabe oberhalb der EU-Schwellenwerte zur Pflicht – ein Ziel, das schon früh formuliert wurde: Im April 2012 nahm die Kommission die Strategie für die E-Vergabe an mit dem Ziel, die Umstellung auf die elektronische Vergabe bis Mitte 2016 abzuschließen. In ihr stellte sie die strategische Bedeutung der elektronischen Vergabe und die wichtigsten Maßnahmen vor, mit denen sie die volle Umstellung auf E-Vergabe in der EU zu unterstützen beabsichtigte.

Wesentliche Ziele, die mit der Umstellung auf die E-Vergabe verfolgt wurden, waren

  • die Verbesserung der Zugänglichkeit und des Wettbewerbs,
  • die Erhöhung der Transparenz und die Verringerung des Verwaltungsaufwands,
  • die Förderung der grenzüberschreitenden Vergabe,
  • die Unterstützung strategischer Ziele sowie
  • Standardisierung und Interoperabilität.

Die heute als selbstverständlich empfundenen Vorgaben rund um die E-Vergabe waren damals revolutionär: Bekanntmachungen dürfen seit Ablauf der Umsetzungspflicht in nationales Recht nur noch in strukturierter Form elektronisch an die EU übermittelt werden, Vergabeunterlagen sind seitdem frei und ohne Hürden elektronisch zur Verfügung zu stellen, elektronische Angebote müssen akzeptiert werden. Auch die in der Praxis bisher größte Hürde, der Einsatz qualifizierter elektronischer Signaturen, wurde bis auf wenige Ausnahmen beseitigt.

Bester Beweis für ihre Sinnhaftigkeit ist der Umstand, dass sie inzwischen ganz überwiegend auch im Unterschwellenbereich Einzug gefunden haben.

Meilenstein der Digitalisierung

Die EU-Vergaberichtlinien waren und bleiben – etwa mit Blick auf die eForms oder die richterliche Rechtsfortbildung – ein ambitionierter Regelungsrahmen und ein Meilenstein, wenn es um die Verwaltungsdigitalisierung geht.

2004 – 2014 – … ?

Zehn Jahre nach der letzten europäischen Vergaberechtsreform werden auch Stimmen laut, die auf mögliche Defizite und Zielverfehlungen hinweisen.

In der Kritik steht beispielsweise die mit Artikel 31 der EU-Richtlinie 2014/24/EU eingeführte Innovationspartnerschaft (IP), die öffentlichen Auftraggebern Zugang zu einem spezifischen Beschaffungsverfahren zur Entwicklung und zum Kauf neuer, innovativer Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen ermöglichen soll. Laut einer Datenanalyse der Europäischen Kommission hat das Instrument zwischen 2016 und 2022 jedoch nur zu 173 Aufträgen geführt.

Auch die im cosinex Blog dargestellte kritische Sicht des Europäischen Rechnungshofes auf die Erreichung wesentlicher Ziele der Reform, wie die Förderung des Wettbewerbs, lässt leise Zweifel an der Wirksamkeit des Reformpaketes zu.

Unabhängig davon, wie fundiert oder schwerwiegend diese Kritikpunkte sein mögen: Sicher ist, dass die Regeln zur öffentlichen Auftragsvergabe nicht bei 2014/24/EU & Co. stehenbleiben: Nach der Reform ist vor der Reform.

Titelbild: Guillaume Périgois – Unsplash