Kommt es zu einem Nachprüfungsverfahren, verlässt der Zeitplan für die Abwicklung des Vergabeverfahrens schnell den geplanten Rahmen. Oftmals sind die Verzögerungen so gravierend, dass die ursprünglich vorgegebene Bindefrist der Angebote nicht mehr ausreicht.

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Um das Vergabeverfahren zu retten, werden die Bieter in diesen Fällen zur Verlängerung der Bindefrist aufgefordert, was nicht immer friktionslos abläuft. Vor diesem Hintergrund wählen manche Auftraggeber den Weg, präventiv eine Bindefristverlängerung für den Fall eines Nachprüfungsverfahrens schon mit der Angebotsabgabe abzufordern.

Mit der Frage, ob dies zulässig ist, hat sich die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt (Beschluss vom 01.02.2023, 3 VK 11 / 22).

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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I. Der Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb einen Entsorgungsauftrag EU-weit aus. In den Vergabeunterlagen forderte er unter anderem eine vorweggenommene Zustimmungserteilung zur Bindefristverlängerung. Die Regelung lautete:

„Nach Ablauf der Angebotsfrist sind Bieter bis zum Ablauf der Zuschlags- und Bindefrist (siehe Deckblatt) an ihr Angebot gebunden. Verzögert sich die Zuschlagserteilung wegen eines Nachprüfungsverfahrens, so sind die am Nachprüfungsverfahren beteiligten Bieter bis vier Wochen nach Rechtskraft des letztinstanzlichen Beschlusses an ihr Angebot gebunden. Beteiligte an einem Nachprüfungsverfahren, deren Angebot nicht für den Zuschlag in Betracht kommt, werden auf Wunsch aus der Bindefrist entlassen. Gleiches gilt für alle Bieter unter den Voraussetzungen der §§ 313 und 314 BGB.“

Die spätere Antragstellerin sah in dieser Regelung eine Gefährdung des Wettbewerbs. Denn ohne die automatische Verlängerung hätte sie gegebenenfalls nach Ablauf der vorgesehenen Bindefrist nach eigenem wirtschaftlichem Ermessen einer Verlängerung der Bindefrist verweigern und sich auf andere Ausschreibungen konzentrieren können. Sie rügte diesen Umstand neben anderen vermeintlichen Vergabefehlern.

Nachdem der Rüge nicht abgeholfen wurde, stellte sie einen entsprechenden Nachprüfungsantrag.

II. Der Beschluss

Die Vergabekammer hält den zulässigen Nachprüfungsantrag für unbegründet. Durch die vorweggenommene Zustimmungserteilung zur Bindefristverlängerung sei der Wettbewerb nicht gefährdet.

Die Regelung einer vorweggenommenen Zustimmungserteilung zur Bindefristverlängerung sei zulässig. Zur Begründung verweist die Vergabekammer auf den Umstand, dass das Zuschlagsverbot auf die Bindefristen keine unmittelbaren Auswirkungen habe. Könne der Zuschlag aufgrund eines Nachprüfungsantrags nicht innerhalb der ursprünglich vorgesehenen Frist erteilt werden, komme es deshalb nicht ohne weiteres zu einer Verlängerung der Bindefrist. Sie sei deshalb einvernehmlich zu verlängern.

Um eine solche Herstellung eines Einvernehmens handele es sich, wenn die Zustimmung bereits mit der Angebotsabgabe abgefordert werde. Sie sei lediglich vorverlagert; die notwendige einvernehmliche Verlängerung von Bindefristen durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens sei darüber hinaus in der Branchenöffentlichkeit allgemein bekannt.

Ein Antragsteller würde ohne Zustimmung zur Bindefristverlängerung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nachprüfungsverfahrens die Antragsbefugnis im Nachprüfungsverfahren gem. § 160 Abs. 2 GWB verlieren, wenn das Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB die Bindefrist überhole. Das Zuschlagsverbot und die damit verbundene Verzögerung des Vergabeverfahrens dienten ja gerade den Interessen eines antragstellenden Bieters und seien zentrale Regelungen des vergaberechtlichen Primärrechtsschutzes.

Der damit verbundene Bieterschutz liefe aber ins Leere, wenn ein Antragsteller den Zuschlag nach rechtskräftigem Abschluss des Nachprüfungsverfahrens schon deshalb nicht erhalten könne, weil er mangels Verlängerung der Bindefrist kein wirksames Angebot mehr vorweisen könne.

Eine Rechtsverletzung durch die antizipierte Zustimmungserklärung scheide daher für den Bieterkreis aus, der an einem Nachprüfungsverfahren beteiligt ist. Da der Gesetzgeber bislang der Problematik, dass die Wirkung des Zuschlagsverbots gem. § 169 Abs. 1 GWB die Zuschlags- und Bindefrist überholt, nicht Rechnung getragen hat, sei die Lösung über eine antizipierte Zustimmungserklärung zur Bindefristverlängerung wie im vorliegenden Fall eine recht- und zweckmäßige Regelung, welche die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletze (unter Hinweis auf: VK Lüneburg, Beschluss vom 8. Mai 2006 VgK 7/2006).

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III. Hinweis für die Praxis

Der vorstehend skizzierte Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern verweist auf einen vorangegangenen Beschluss der Vergabekammer Lüneburg (siehe obiger Hinweis). In dem damaligen Verfahren hatte der Bieter argumentiert, dass die automatische Bindefristverlängerung für ihn ein unkalkulierbares Risiko darstelle. Je nachdem, wie lange sich das Nachprüfungsverfahren hinzieht, bleibe er an sein Angebot und die darin enthaltenen Preise gebunden.

Rechnet man gegebenenfalls noch das Verfahren vor dem Oberlandesgericht hinzu, beträgt die Überschreitung der ursprünglich angedachten Bindefrist schnell ein Jahr. Dass dies den Bieter belastet, liegt auf der Hand.

Die eingangs zitierte Regelung zur automatischen Bindefristverlängerung sieht den Ausweg in den Regelungen der §§ 313 und 314 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage). Grob gesagt würde die Geschäftsgrundlage entfallen, wenn die Parteien vorher gewusst hätten, dass sich das Vergabeverfahren wegen des Nachprüfungsverfahrens so lange hinzieht, dass an den Preisen nicht festgehalten werden kann.

Will man mit der automatischen Verlängerung der Bindefrist etwaigen Streit vermeiden, darf nicht übersehen werden, dass die Störung der Geschäftsgrundlage viel Anlass für Streit und Auseinandersetzungen bietet. Vor diesem Hintergrund kann durchaus die Frage gestellt werden, ob die althergebrachte Aufforderung zur Verlängerung der Bindefrist gegenüber der automatischen Verlängerung die schlechtere Lösung ist.

Titelbild: BCFC – shutterstock.com