Welcher Maßstab ist an die Begründung einer Interimsvergabe zu legen? Die Vergabekammer Südbayern hat in einem kürzlich ergangenen Beschluss das Spannungsverhältnis herausgearbeitet.

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Wenn Vergaberecht auf praktische Notwendigkeit stößt, kann das zu Dilemmata führen, die für den Vergabepraktiker nicht mehr „sauber“ auflösbar sind. Eine derartige Situation kann beispielsweise eintreten, wenn ein begonnenes Vergabeverfahren nicht mit dem Vertragsschluss abgeschlossen wurde und das neu begonnene Vergabeverfahren ersichtlich erst nach Ausscheiden des bisherigen Leistungserbringers beendet werden kann. Für die Zeitspanne zwischen Ausscheiden des bisherigen Leistungserbringers und Leistungserbringung des neuen Vertragspartners muss dann eine Zwischenlösung gefunden werden, die sogenannte Interimsvergabe.

Papier ist in derartigen Fällen oftmals geduldig: Typischerweise wird im Vergabevermerk darauf verwiesen, dass nur der bisherige Leistungserbringer technisch dazu in der Lage sei, die Leistung zu erbringen und sie außerdem ausgesprochen „dringlich“ sei, weshalb ausnahmsweise auf ein wettbewerbliches Verfahren verzichtet werden dürfe.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Welcher Maßstab an eine derartige Begründung zu legen ist und wann die Grenze zur Rechtswidrigkeit überschritten ist, hat die VK Südbayern in einem kürzlich ergangenen Beschluss (vom 26.06.2023, 3194 . Z3 – 3 _ 01 – 23 – 9) herausgearbeitet. Daneben enthält die Entscheidung wichtige Hinweise, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Interimsvergabe ohne wettbewerbliches Verfahren nicht zutreffen.

I. Der Sachverhalt

Im Januar 2019 hat die Auftraggeberin ein EU-weites Vergabeverfahren zur Neubeschaffung einer Labordiagnostik im Gesundheitsbereich europaweit bekannt gemacht, danach aber aufgehoben.

Im Dezember 2021 veröffentlichte die Auftraggeberin eine freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung. Darin erläutert sie, dass die Vergabe in einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung erfolge, da aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden sei (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV). Entgegen der ursprünglichen Pläne, die 2019 zu einer europaweiten Ausschreibung des Auftrags geführt hätten, sei kein Anbau mehr geplant und die Realisierung müsse innerhalb des Bestandbaus ohne bauliche Anpassung stattfinden. Eine Markterkundung hätte ergeben, dass alle Alternativen zu bedeutsamen Folgeinvestitionen insbesondere baulicher Art führen würden. Für diese hätte die Auftraggeberin jedoch keine Finanzmittel zur Verfügung. Damit bliebe nur die Beauftragung der späteren Beigeladenen ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren.

Anfang Januar 2022 stellte ein anderes Unternehmen einen Nachprüfungsantrag, da aus seiner Sicht die Voraussetzungen für eine Vergabe ohne Wettbewerb nicht vorlagen. Noch im laufenden Nachprüfungsverfahren schloss die Auftraggeberin den Vertrag mit der späteren Beigeladenen. Kurz darauf begann diese auftragsgemäß mit dem Austausch des Bestandssystems des vorherigen Laborbetreibers.

Anfang November 2022 entschied die Vergabekammer, dass der Auftrag EU-weit auszuschreiben sei, da kein technisches Alleinstellungmerkmal vorliegt. Außerdem erklärte sie den bereits geschlossenen Vertrag nach § 134 BGB für nichtig.

Davon unbeirrt führen die Auftraggeberin und die Beigeladene trotz des bestandskräftigen Beschlusses der Vergabekammer den für nichtig erklärten Vertrag mit im Wesentlichen unveränderten Konditionen faktisch fort.

Im Januar 2023 veröffentlichte die Auftraggeberin eine Vorinformation im Amtsblatt der EU zur Durchführung eines Interessenbekundungsverfahrens zur Vergabe des in Rede stehenden Auftrags. Darin wies sie unter anderem darauf hin, dass bauliche Veränderungen aufgrund einer Asbestbelastung nicht möglich und nicht vorgesehen seien.

Im Februar 2023 veröffentlichte die Antragsgegnerin eine freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung zur Vergabe des laufenden Interimsauftrags. Der Interimsauftrag sollte sich monatlich so lange verlängern, bis der Zuschlag in dem EU-weiten Vergabeverfahren erteilt wird. Wieder wurde darauf verwiesen, dass der Auftrag aufgrund eines technischen Alleinstellungsmerkmals ohne vorherigen Wettbewerb vergeben werden könne. Insbesondere sei es ausschließlich der späteren Beigeladenen möglich, den Interimsauftrag kurzfristig zu erbringen.

Gegen diese Interimsvergabe aufgrund eines angeblichen technischen Alleinstellungsmerkmals ging die Antragstellerin im Wege eines Nachprüfungsverfahrens vor.

II. Die Entscheidung

Die Vergabekammer hält den zulässigen Nachprüfungsantrag für begründet.

Es liegen weder die Voraussetzungen für eine Interimsvergabe im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb aufgrund eines technischen Alleinstellungsmerkmals noch aufgrund besonderer Dringlichkeit vor.

1. Kein technisches Alleinstellungsmerkmal

Nach Ansicht der Vergabekammer liegen die Voraussetzungen für eine erneute Direktvergabe der Interimsleistungen an die Beigeladene aufgrund eines technischen Alleinstellungsmerkmal (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b i.V.m. Abs. 6 VgV) nicht vor.

Die Vorschrift sei als Ausnahmetatbestand eng auszulegen und anzuwenden. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen von Anfang an klar sei, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sei, den Auftrag auszuführen (unter Hinweis auf Erwägungsgrund 50 der Richtlinie 2014/24/EU). Der öffentliche Auftraggeber habe dabei das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen. Hierbei seien stichhaltige Belege beizubringen. Die Gründe für die Wahl des Verfahrens seien ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren.

Vorliegend sei inzwischen unstreitig, dass generell mehrere Anbieter in der Lage sind, die streitgegenständlichen Leistungen in den Bestandsräumen der Antragsgegnerin zu erbringen. Dies erkenne man schon daran, dass die Auftraggeberin selbst ein Vergabeverfahren für die wettbewerbliche Vergabe der Leistung vorbereite. Damit liege kein technisches Alleinstellungsmerkmal vor.

2. Dringlichkeit begründet kein technisches Alleinstellungsmerkmal

Auch der hinzutretende zeitliche Aspekt, wonach nur die Beigeladene ohne Verzögerung und ohne Umbaumaßnahmen sofort die Leistung erbringen könne, begründe kein technisches Alleinstellungsmerkmal. Die von der Antragsgegnerin angenommene Dringlichkeit könne nur im Rahmen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV eine Rolle spielen, weil sonst die speziellen Voraussetzungen der Dringlichkeitsvergabe umgangen würden. Hierzu zählten insbesondere die Unvorhersehbarkeit der äußerst dringlichen, zwingenden Gründe und die Voraussetzung, dass die Umstände zur Begründung der äußersten Dringlichkeit dem öffentlichen Auftraggeber nicht zuzurechnen sein dürfen.

Andernfalls hätte es der Auftraggeber in der Hand, durch Verzögerung der Beschaffung bis zum Eintreten eines entsprechenden Zeitdrucks eine entsprechende Direktvergabe erreichen zu können.

3. Keine Dringlichkeit

Auch lägen die drei Voraussetzungen für eine Dringlichkeit gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV offensichtlich nicht vor.

  1. Es müsse ein unvorhersehbares Ereignis vorliegen, weshalb dringliche und zwingende Gründe die Einhaltung der in anderen Verfahren vorgeschriebenen Fristen nicht zulassen.
  2. Es müsse ein Kausalzusammenhang zwischen dem unvorhersehbaren Ereignis und den sich daraus ergebenden dringlichen, zwingenden Gründen gegeben sein.
  3. Der öffentliche Auftraggeber dürfe die bestehende Dringlichkeitssituation folglich nicht selbst herbeigeführt haben.

Im vorliegenden Fall sei bereits die objektive Dringlichkeit der Leistung in Zweifel zu ziehen: Die Auftraggeberin und die Beigeladene führen den von Anfang an nichtigen Vertrag seit Anfang Januar 2022 durch.

An dieser Stelle wird die Vergabekammer deutlich: Sie unterstellt in einer Hilfsüberlegung die Annahme einer Dringlichkeitssituation, da die Beigeladene die vertragslose Leistungserbringung theoretisch stets einstellen könnte. Allerdings vermag auch dies keine Vergabe ohne Wettbewerb zu rechtfertigen, weil diese Situation für die Auftraggeberin nicht nur vorhersehbar gewesen, sondern auch von ihr verschuldet sei. Sie habe diese Situation durch ihr vergaberechtswidriges Vorverhalten aktiv herbeigeführt und keinerlei Anstalten unternommen, sie zu vermeiden.

Insbesondere habe die Auftraggeberin im ersten Halbjahr 2022 in Kenntnis des damals laufenden Nachprüfungsverfahrens auf eigenes Risiko die vorher genutzte Laborstraße ausbauen lassen und die arbeits- und zeitaufwendige Migration auf die Laborstraße der Beigeladenen durchgeführt. Dabei müsse ihr bewusst gewesen sein, dass aufgrund des erheblichen zeitlichen Aufwands für die Einbringung und Migration sowie Verifikation der Systeme eine Feststellung der Nichtigkeit des Vertrags durch die Vergabekammer – mit der die Antragsgegnerin aufgrund ihrer unzureichenden und ungleichbehandelnden Markterkundung von Anfang an ernsthaft rechnen musste – sie vor große Probleme stellen würde. Dennoch hat sich die Antragsgegnerin für die Migration entschlossen und hierdurch vollendete Tatsachen geschaffen.

Im gesamten Zeitraum des aufgrund der Arbeitsüberlastung der Vergabekammer überlangen, ca. sieben Monate dauernden Nachprüfungsverfahrens hat die Antragsgegnerin keinerlei Vorkehrungen für den Fall getroffen, dass die Vergabekammer die Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags feststellen würde.

Nach der Nichtigkeitsfeststellung des Vertrags durch die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 08.11.2022 – 3194.Z3-3_01-22-2) hat die Antragsgegnerin zwar begonnen, ein Vergabeverfahren zur künftigen Vergabe der Leistungen vorzubereiten, hat sich aber gleichzeitig dazu entschlossen, für den erheblichen Zeitraum bis zur Neuvergabe den von Anfang an nichtigen Vertrag mit der Beigeladenen weiter durchzuführen. Durch ihr vergaberechtswidriges Vorverhalten und die Entscheidung, den nichtigen Vertrag fortzuführen, hat die Antragsgegnerin, die von ihr nunmehr als dringlichkeitsbegründend angesehene, vertragslose Situation aktiv selbst herbeigeführt.

4. Der besondere Aspekt der Daseinsvorsorge

Dabei verkennt die Vergabekammer nicht, dass Nachprüfungsinstanzen teilweise die Auffassung vertreten haben, dass eine Dringlichkeitsvergabe für einen bestimmten Zeitraum im Bereich der Daseinsvorsorge ausnahmsweise auch dann zulässig sei, wenn der Auftraggeber die Dringlichkeit mitverursacht hat. In solchen Fällen soll der Aspekt der Zurechenbarkeit der Dringlichkeit hinter die Notwendigkeit der Kontinuität der Versorgungsleistung zurücktreten (unter Hinweis auf: BayObLG, Beschluss vom 31.10.2022 – Verg 13/22; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 31.10.2022 – 11 Verg 7/21 und vom 30.1.2014 – 11 Verg 15/13; a.A. KG, Beschluss vom 10.05.2022 – Verg 1/22 und OLG Bremen, Beschluss vom 14.12.2021 – 2 Verg 1/21).

Der vorliegende Sachverhalt sei aber aufgrund des vergaberechtswidrigen Vorverhaltens der Antragsgegnerin, ihres Bestrebens vollendete Tatsachen zu schaffen und des bereits vorangegangenen bestandskräftigen Beschlusses der Vergabekammer zumindest für einen in ihrem Belieben stehenden Übergangszeitraum keinesfalls mit den Fallgestaltungen vergleichbar.

Denn vorliegend würde die von der Antragsgegnerin geplante Direktvergabe der Interimsleistungen dazu führen, die Rückabwicklungsverpflichtung aus dem bestandskräftigen Beschluss der Vergabekammer zu umgehen. Damit würde eine Rechtsgrundlage dafür geschaffen, die vergaberechtswidrig beschafften Leistungen für einen, aufgrund der Verlängerungsoptionen im beabsichtigten Interimsauftrag, letztlich im Belieben der Antragsgegnerin stehenden Zeitraum weiter nutzen zu können.

Auch Aspekte des effektiven Rechtsschutzes gegen die De-facto-Vergaben sprechen für dieses Ergebnis. Denn wenn das Interesse an einer unterbrechungsfreien Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge auch die Rückabwicklungsverpflichtungen aus einer bestandskräftigen Nichtigkeitsfeststellung eines Vertrags durch die Vergabenachprüfungsinstanzen überlagern und außer Kraft setzen würde, bestünde für die Antragstellerin kein effektiver Rechtsschutz gegen die De-facto-Vergabe der Antragsgegnerin mehr. Der von ihr bereits erstrittene bestandskräftige Beschluss der Vergabekammer wäre praktisch wirkungslos.

Damit hat die Vergabekammer die Grenze einer etwaigen Ausnahme vom Erfordernis, dass die Dringlichkeit unvorhersehbar war und nicht vom Auftraggeber verschuldet herbeigeführt wurde, im Bereich der Daseinsvorsorge klar gezogen: Jedenfalls dann, wenn die Interimsvergabe dazu dienen würde, eine bestandskräftige Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen zu umgehen, kann die Vergabe ohne Wettbewerb auch im Bereich der Daseinsvorsorge nicht mehr auf die ununterbrochene Leistungserbringung gestützt werden.

Die Untersagung der nichtwettbewerblichen Vergabe des Interimsauftrags an die Beigeladene sei damit das einzige effektive Mittel, die Auftraggeberin zur Fortsetzung und zum zügigen Abschluss des von ihr begonnenen wettbewerblichen Verfahrens und zur Beendigung des faktischen Vollzugs des von Anfang an nichtigen Vertrags zu motivieren. Gleichzeitig sei dies die einzige Möglichkeit der Antragstellerin, effektiven Rechtsschutz aus dem von ihr erwirkten bestandskräftigen Beschluss der Vergabekammer zu gewähren.

5. Begrenzte Möglichkeiten der Vergabekammer

In diesem Zusammenhang geht die Vergabekammer auf ein Parallelverfahren ein: Ein Mitbewerber hat ebenfalls eine bestandskräftige Entscheidung der Vergabekammer gegen die Interimsvergabe erstritten (VK Südbayern, Beschluss vom 08.11.2022 – 3194.Z3-3_01-22-6). Er beantragte die Androhung eines Zwangsgeldes gegen die Auftraggeberin für den Fall, dass sie nicht bis zum Ende Februar 2023 durch Veröffentlichung ein förmliches Vergabeverfahren zur Vergabe des in Rede stehenden Auftrags einleitet.

Dieser Antrag wurde von der Vergabekammer Südbayern mit Beschluss vom 20.12.2022 (Gz.: 3194.Z3-3_01-22-6) zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde wies das Bayerische Oberste Landesgericht mit Beschluss vom 14.03.2023 – Verg 1/23 zurück. Die Gründe hierfür sind für den Nichtjuristen nicht einfach zu verstehen:

Das Vergaberecht regele die rechtlichen Vorgaben, an die sich der öffentliche Auftraggeber bei einer Beschaffung zu halten hat (Art und Weise der Beschaffung), betreffe aber nicht die Entscheidung über das Ob einer Beschaffung. Aus Gründen des allgemeinen Vertragsrechts, namentlich der Vertragsfreiheit, könne und dürfe der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht dazu gezwungen werden, einen Auftrag an einen geeigneten Bieter zu erteilen. Es liege damit auch nicht in der Kompetenz der Vergabekammer, zur Beseitigung einer Rechtsverletzung eine Maßnahme zu treffen, die einen rechtlichen oder tatsächlichen Kontrahierungszwang bedeutete.

In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz sei der Auftraggeberin in dem o.g. Beschluss der Vergabekammer (lediglich) aufgegeben worden, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die streitgegenständliche Leistung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer in einem vergaberechtskonformen Verfahren auszuschreiben. Die Entscheidungsformel beinhaltet keine Verpflichtung, (sofort oder bis zu einem bestimmten Datum) eine Auftragsbekanntmachung vorzunehmen. Damit kann eine solche Verpflichtung auch nicht mit Zwangsmitteln, beispielsweise einem Zwangsgeld, durgesetzt werden.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Der vorstehende Beschluss setzt sich breit mit dem Spannungsverhältnis auseinander, das entsteht, wenn im Bereich der Daseinsvorsorge eine Leistungsunterbrechung droht, andererseits den vergaberechtlichen Forderungen aber in dem engen Zeitkorsett nicht entsprochen werden kann.

Explizit wird hierbei darauf eingegangen, dass die Rechtsprechung die unterbrechungsfreie Leistungserbringung als ein hohes Gut ansieht und dabei auch dogmatische Überlegungen hinsichtlich des Vorliegens von Ausnahmetatbeständen zurücktreten lässt.

Aber auch dieser Pragmatismus hat seine Grenzen, wenn das Argument der notwendigen unterbrechungsfreien Leistungserbringung als Mittel zur faktischen Umgehung des Vergaberechts und bestandskräftiger Entscheidungen der Nachprüfungsinstanzen dient.

Auch zeigt der Beschluss die Grenzen der rechtlichen Möglichkeiten der Vergabekammer auf. Letztlich kann sie nur die Vergaberechtswidrigkeit des Vorgehens der Auftraggeberin sowie die Nichtigkeit der geschlossenen Verträge feststellen. Wird der nichtige Vertrag dennoch faktisch weiter vollzogen, sind ihr die Hände gebunden. Bei fortgesetztem vergaberechtswidrigem Verhalten sind damit die Aufsichtsorgane in der Pflicht. Sehen auch diese weg oder tolerieren die Vergabepraxis, ist zumindest der vergaberechtliche Rechtsschutz am Ende seiner Möglichkeiten angelangt.

Titelbild: BCFC – shutterstock.com