Das OLG Düsseldorf rückt in einer jüngeren Entscheidung von seiner zuvor geäußerten Pflicht zur Vorabinformation im Unterschwellenbereich ab. Norbert Dippel nimmt diese Facette aufgrund ihrer Relevanz für die Vergabepraxis in den Blick und ordnet sie politisch ein.
Am 21. November haben wir im cosinex-Blog einen Beitrag zu dem Thema „Wann gilt die Pflicht zur Vorabinformation gemäß § 134 GWB im Unterschwellenbereich?“ veröffentlicht. Der Beitrag setzte sich auf der Grundlage einer Entscheidung des OLG Düsseldorf mit der Frage auseinander, ob eine entsprechende Informationspflicht analog zu § 134 GWB auch im Unterschwellenbereich gelten würde, oder sich eine derartige Pflicht aus anderen Gründen herleiten könne.
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Die Entscheidung enthält aber noch einen zweiten wichtigen Aspekt, nämlich die Rechtsfolgenseite und damit die vermeintliche Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des Vertrages gem. § 134 BGB.
Hintergrund ist die Rechtslage im Oberschwellenbereich. Wird gegen die Vorabinformation gem. § 134 GWB verstoßen, kann die Unwirksamkeit des Vertrages gem. § 135 GWB festgestellt werden.
Einige Bundesländer haben im Unterschwellenbereich entsprechende Regelungen in ihren Landesvergabegesetzen eingeführt. Andere – wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen – nicht. In diesen Ländern haben Bieter im Unterschwellenbereich deutlich schlechtere Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz zu erlangen. Denn mangels Vorabinformation erfahren sie oftmals erst nach erfolgtem Vertragsschluss vom Ausgang des Vergabeverfahrens.
Vor diesem Hintergrund hat sich das OLG Düsseldorf 2017 für eine entsprechende Vorabinformationspflicht ausgesprochen, obwohl es dafür keine vergabegesetzliche Grundlage gab. In der kürzlich ergangenen Entscheidung hat das OLG Düsseldorf diese Ansicht aufgegeben und folgt nun explizit einer gegenteiligen Sichtweise.
Gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen zur Vereinfachung und Entschlackung des Vergaberechts halten wir den Aspekt des effektiven Rechtsschutzes für so wesentlich, dass wir die beiden Positionen kurz darstellen. Wir zitieren die wesentlichen Passagen dabei wörtlich.
Da der nachfolgend relevante § 134 BGB vielleicht nicht jedem unserer Leser geläufig ist, noch der Text:
„Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt.“
Für eine Nichtigkeitsfolge
Das OLG Düsseldorf hat in seinem Urteil vom 13.12.2017 (I – 27 U 25 / 1) folgendes ausgeführt:
Eine Vertragsnichtigkeit könnte allerdings daraus resultieren, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin weder über den beabsichtigten Vertragsschluss informiert noch im Anschluss hieran eine angemessene Wartefrist eingehalten hat. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, auch im Unterschwellenbereich die Einhaltung einer Informations- und Wartepflicht durch den öffentlichen Auftraggeber zu verlangen. Nach der Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union fordern die gemeinsamen Verfassungen der Mitgliedsstaaten und die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen effektiven und vollständigen Schutz gegen Willkür des öffentlichen Auftraggebers. Dieser vollständige Rechtsschutz verlangt, sämtliche Bieter vor Abschluss eines Vertrages von der Zuschlagsentscheidung zu unterrichten. Ein vollständiger Rechtsschutz verlangt auch, dass zwischen der Unterrichtung abgelehnter Bieter und der Unterzeichnung des Vertrags eine angemessene Frist liegt, innerhalb der für den Bieter ein vorläufiger Schutz gewährt werden kann, wenn er für die volle Wirksamkeit der Entscheidung in der Sache erforderlich ist (EuG, Urteil v. 20.09.2011, T-461/08).
Im nationalen Recht ist dies ebenfalls bereits in einigen Rechtsgebieten anerkannt. Schon vor Einführung der entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen war nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Beamten- und Richterbeförderungen die Informations- und Wartepflicht zu beachten (BVerwG, Urteil v. 04.11.2010, 2 C 16/09, juris Rn. 27 ff.). Zur Vergabe von Wochenmarktveranstaltungen hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden, dass effektiver Primärrechtsschutz es gebietet, mindestens zwei Wochen nach Information der Bewerber über den Ausgang des Auswahlverfahrens abzuwarten, bevor mit dem ausgewählten Bewerber der Vertrag geschlossen wird (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 30.11.2010, OVG 1 S 107.10, juris Rn. 7).
Führt man diese Grundsätze konsequent fort, müsste, da nur dies effektiven Rechtsschutz sicherstellt, ein unter Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht geschlossener Vertrag gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein ungeschriebenes Gesetz als nichtig eingestuft werden.“
Gegen eine Nichtigkeitsfolge
Demgegenüber bewertet das OLG Düsseldorf die Rechtslage in einem neuerlich ergangenen Urteil vom 21.06.2023, 27 U 4 / 22) wie folgt:
Die Nichtigkeitsfolge gem. § 134 BGB würde selbst dann nicht eintreten, wenn gegen eine Informations- und Wartepflicht im Unterschwellenbereich analog § 134 GWB verstoßen worden wäre.
„§ 134 BGB ordnet für ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, nicht ausnahmslos Nichtigkeit an. Während festgestellte Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts ohne weiteres zu dessen Nichtigkeit führt (§ 138 BGB), macht § 134 BGB diese Rechtsfolge davon abhängig, dass sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. § 134 BGB kann deshalb nicht ohne Rückgriff auf das verletzte Verbot angewendet werden. Ordnet diese Regelung selbst eine Rechtsfolge an, ist sie maßgeblich; fehlt – wie vorliegend – eine verbotseigene Rechtsfolgenregelung, so sind Sinn und Zweck des verletzten Verbots entscheidend. Dies erfordert eine normbezogene Abwägung, ob es mit dem Sinn und Zweck des Verbots vereinbar oder unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene Regelung hinzunehmen beziehungsweise bestehen zu lassen (…).
Für die nach § 134 BGB gebotene Abwägung ist wesentlich, ob sich das betreffende Verbot an alle Beteiligten des Geschäfts richtet, das verhindert werden soll, oder ob das Verbot nur eine Partei bindet. Sind beide Teile Adressaten des Verbots, kann regelmäßig angenommen werden, das verbotswidrige Geschäft solle keine Wirkungen entfalten. Richtet sich das Verbot dagegen nur gegen eine Partei, ist regelmäßig der gegenteilige Schluss berechtigt. (…) Ein zweiseitiges Rechtsgeschäft, dessen Vornahme nur einem Beteiligten verboten ist, ist daher in der Regel gültig.
Nichtigkeit nach § 134 BGB tritt dann nur ein, wenn einem solchen einseitigen Verbot ein Zweck zu Grunde liegt, der die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts erfordert, weil er nicht anders als durch dessen Annullierung zu erreichen ist und die getroffene Regelung nicht hingenommen werden kann (…).
Eine Informations- und Wartepflicht analog § 134 GWB wäre daher schon aus Rechtsgründen nicht geeignet, eine Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen sie erteilten öffentlichen Auftrags zu begründen.
Das aus der Informations- und Wartepflicht zu folgernde Kontrahierungsverbot wäre nur ein einseitiges, den öffentlichen Auftraggeber bindendes Verbotsgesetz, bei dem ein Verstoß nur dann zur Nichtigkeit führen würde, wenn es mit Sinn und Zweck des Verbotes nicht vereinbar wäre, die durch das Geschäft getroffene Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen. Dies ist nicht der Fall. Es würde einen in keiner Weise nachvollziehbaren Wertungswiderspruch darstellen, wenn im Kartellvergaberecht die Verletzung der dort nach § 134 GWB bestehenden Informations- und Wartepflicht nur nach den aus Gründen der Rechtssicherheit einschränkenden Vorgaben des § 135 GWB geltend gemacht werden könnte, während bei den unterschwelligen Aufträgen entsprechende Rechtsgeschäfte allgemein nach § 134 BGB nichtig wären. Zudem würden hier schutzwürdige Belange des Auftragnehmers, den die Informations- und Wartepflicht gerade nicht trifft, missachtet.
Die Unwirksamkeitsfolge würde einen schwerwiegenden Eingriff in seine durch den Vertragsschluss mit dem öffentlichen Auftraggeber begründete Vertragsposition darstellen, der auch unter grundrechtlichen Gesichtspunkten jedenfalls ohne – hier, anders als im Kartellvergaberecht mit § 135 GWB – fehlende gesetzgeberische Rechtsgrundlage kaum zu rechtfertigen wäre (…).
Soweit der erkennende Senat in einem Obiter Dictum zu seinem Urteil vom 13. Dezember 2017, 27 U 25/17, eine Nichtigkeit des unter Verstoß gegen eine ungeschriebene Informations- und Wartepflicht bei Unterschwellenvergaben geschlossenen Vertrages gemäß § 134 BGB für konsequent erachtet hat (…), hält er daran vor dem Hintergrund der vorgenannten Wertungswidersprüche in vollständig neuer personeller Besetzung und in Fortführung seiner bereits mit Beschluss vom 2. Mai 2022, 27 W 1/22, geänderten Rechtsprechung nicht fest. Der in Art. 19 Abs. 4 GG wurzelnde Grundsatz der Gewährleistung tatsächlich wirksamer gerichtlicher Kontrolle erfordert nicht zwingend die Gewährleistung von Primärrechtsschutz. Eine Kompensation kann auch über Schadensersatz erfolgen. Dass der mit Erteilung des Zuschlages zustande gekommene Vertrag wirksam und daher die Erlangung von Primärrechtsschutz nicht mehr möglich ist, hat auch das Bundesverfassungsgericht nicht infrage gestellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2004, 2 BvR 2248/03, NVwZ 2004, 1224, 1226; ebenso OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2010, 1 S 107/10, NVwZ-RR 2011, 293, 294).“
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- 26. November: Neu in der Vergabestelle »
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Hinweise für die Praxis
Zunächst ist die jüngere Entscheidung des OLG Düsseldorf zu begrüßen, da sie die notwendige Klarheit schafft: Ohne gesetzliche Grundlage gibt es im Unterschwellenbereich keine Vorabinformationspflicht sowie bei Verstößen keine Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages.
Mit Blick auf die dauerhafte Kritik an den allgemein als kompliziert und langwierig empfundenen öffentlichen Vergabeverfahren stellt man allerdings ein gewisses Auseinanderklaffen zwischen der politischen Argumentation und der Kritik am Status Quo fest.
Eine landesgesetzliche Vorabinformationspflicht im Unterschwellenbereich verlängert das Vergabeverfahren regelmäßig um zehn Tage. Die ebenfalls oftmals landesgesetzlich geregelte Unwirksamkeitsfolge bei Verstößen gegen die Vorabinformationspflicht erhöht den Druck auf die Vergabestelle hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens sowie der ordnungsgemäßen Dokumentation.
Vor diesem Hintergrund erscheint es etwas paradox, die Verfahrensdauer zu kritisieren und auf der anderen Seite weder europarechtlich noch sonst zwingend erforderliche Regelungen einzuführen, die die Vergabeverfahren verlängern. Eine ähnliche Entwicklung ist bei den vielfach geforderten vergabefremden Aspekten zu beobachten: beispielsweise sind Nachhaltigkeitsgesichtspunkte, Frauenförderung, tarifvertragliche Löhne und ordentliche Produktionsbedingungen in den Herkunftsländern wichtige Anliegen.
Schwierig wird es spätestens dann, wenn bei dem öffentlichen Auftraggeber keine Ressourcen zur Verfügung stehen, um die regelmäßig abgefragten Eigenerklärungen zu verifizieren oder Nachhaltigkeitsgesichtspunkte fachlich fundiert in eine Leistungsbeschreibung einzubringen. Die vielfältigen politischen Bestrebungen führen hierbei ersichtlich zu einer Belastung des Vergabeverfahrens. Nicht selten sind es aber die identischen politischen Akteure, die dann die Schwerfälligkeit bei der Beschaffung beklagen.
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