Seit einem Jahr besteht die Start-up-Strategie der Bundesregierung. Der erste Fortschrittsbericht liegt seit Kurzem vor. Wir sprachen mit der Beauftragten des Wirtschaftsministeriums für die Digitale Wirtschaft und Start-ups, Dr. Anna Christmann, über die Möglichkeiten der öffentlichen Beschaffung bei der Start-up-Förderung.

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Dr. Anna Christmann ist seit 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist Koordinatorin der Bundesregierung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt und Beauftragte des BMWK für die Digitale Wirtschaft und Start-ups.

„Eine gute Entwicklung, aber noch Luft nach oben“: So lautet der Tenor im ersten Fortschrittsbericht zur Start-up-Strategie. Können Sie das einordnen? Wo stehen wir gerade im Rahmen der Strategie und wo geht die Reise hin?

Wir konnten im ersten Jahr bereits 45 % der Maßnahmen der Start-up-Strategie umsetzen. Wir sind also auf Kurs. Gleichzeitig sehen wir natürlich, dass die Herausforderungen für Start-ups gerade auch groß sind. Die Krisen dieser Welt gehen auch an den Start-ups nicht vorbei, gerade was die Finanzierung angeht, was auch die schwindende Gründungsaktivität im letzten Jahr angeht.

Das heißt, dass es wichtig bleibt, da jetzt weiter mit den entsprechenden Maßnahmen zu unterstützen. Gerade im Finanzierungsbereich haben wir viele Dinge gestartet, die auch erst mal im Markt ankommen müssen. Deswegen werden wir weiter daran arbeiten, diese Instrumente so in die Praxis zu bringen, dass sie gerade in schwierigeren Zeiten den Start-ups ein gutes Umfeld bieten.

Stichwort Finanzierung: Im Bericht ist die Rede von der Dry Income Problematik und in dem Zusammenhang vom Zukunftsfinanzierungsgesetz. Können Sie das erläutern?

Wir haben bei dem Thema Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung bisher das Problem, dass es in der Praxis schwer anwendbar ist. Es geht dabei darum, dass Mitarbeitende, die bei einem Start-up anfangen, Anteile am Unternehmen bekommen, weil sie mehr Unsicherheit eingehen als etwa bei einem etablierten Mittelständer. Das ist bisher schwierig, weil die Regeln dafür gesorgt haben, dass man zum Teil schon Steuern zahlen muss, obwohl man noch gar kein Bargeld erhalten hat, das ist die Dry Income Problematik.

Das Zukunftsfinanzierungsgesetz wurde jüngst durch das Kabinett beschlossen und geht jetzt ins parlamentarische Verfahren. Es sieht vor, dass der Arbeitgeber dafür haften kann, dass Mitarbeitende erst Steuern zahlen müssen, wenn es wirklich Erlöse gibt, zum Beispiel aus einem Exit, und nicht schon bei einem Arbeitgeberwechsel oder wenn man ins Ausland zieht.

Kommen wir zur öffentlichen Beschaffung, die ja eines der zehn Handlungsfelder im Rahmen der Start-up-Strategie ist mit einem Umsetzungsfortschritt von über 50 %. Wo stehen wir hier?

Es ist mir ein großes Anliegen, dass wir es schaffen, mit dem, was an Aufträgen vom Staat an die Wirtschaft rausgeht, Start-ups stärker zu berücksichtigen. Leider ist es eine Art Tradition in öffentlichen Beschaffungsverfahren, Aufträge an etablierte Unternehmen zu geben, die langjährige Erfahrung haben und deswegen vermeintlich mehr Sicherheit in der Umsetzung staatlicher Aufträge bringen. Da liegt ein großes Potenzial an Auftragsbudget, das wir stärker für Innovation und damit auch für Start-ups nutzen sollten. Das ist noch zu wenig der Fall.

Wir sehen zum Beispiel im Beschaffungsindex, den wir zusammen mit der Universität der Bundeswehr erstellt haben, dass bisher ein verschwindend geringer Anteil an Aufträgen an Startups geht. Das sind 89 Aufträge von insgesamt 600.000 Beschaffungsverfahren im Zeitraum zwischen 2011 und 2021. Das ist natürlich viel zu wenig. Deswegen ist es wichtig, dass wir das ändern.

Welche Rolle spielt dabei der KOINNOvationsplatz, der zu den Maßnahmen im Handlungsfeld öffentliche Beschaffung zählt?

Der KOINNOvationsplatz ist eine neue Plattform, die Beschaffung von Innovation fördern soll. Es ist schön zu sehen, dass dort jetzt bereits sechs Challenges stattgefunden haben. Wenn man bedenkt, wie wenig Beschaffungsprozesse es bisher gab, dann sind sechs innerhalb eines Dreivierteljahres ein guter Start.

Bei diesen Challenges wird ein Problem, für das man eine Lösung angeboten bekommen möchte, konzeptionell beschrieben. Das ist ein spannender Ansatz, der Start-ups zugute kommt, die dann ihr Lösungspaket anbieten können. Diese Instrumente müssen jetzt in die Breite kommen. Es reicht nicht, wenn das nur an einer Stelle im Bund vorhanden ist. Das ist die nächste große Herausforderung.

Eine Maßnahme, die sich in der Umsetzung befindet, ist das Transformationspaket, durch das Belange junger Unternehmen im Vergaberecht besser berücksichtigt werden sollen. Welche Maßnahmen sind da geplant?

Das Paket ist ja derzeit in der Erarbeitung. Wir haben sehr viel Input bekommen, es besteht also ein großes Interesse und wir sind dabei zu identifizieren, an welcher Stelle wir Dinge vereinfachen können. Interessant finde ich, was Baden-Württemberg für einen Weg gewählt hat. Dort wurde die innovative Vergabe bis zu 100.000 Euro ermöglicht, die als Direktvergabe erfolgen kann – gerade auch an Start-ups. Das ist ein spannendes Instrument, das wir uns auf Bundesebene sehr genau anschauen.

Sie wollen sich gegenüber der EU-Kommission für eine Evaluierung des Instruments der Innovationspartnerschaften mit Blick auf die Anwenderfreundlichkeit für Start-ups einsetzen. Kürzlich hat die Kommission evaluiert, dass darüber europaweit lediglich 173 Aufträge in sieben Jahren vergeben wurden. Ist das Instrument überhaupt geeignet?

Es ist in der Tat so, dass die Innovationspartnerschaft bisher nicht in der Breite genutzt wird. Das scheint mir eine ausgelassene Chance, weil Innovationspartnerschaften für Unternehmen, die ein sehr neues Produkt entwickeln, das noch nicht am Markt etabliert ist, das vielleicht noch nicht zu 100 % marktreif ist, eine große Chance sein können, um zu einem frühen Zeitpunkt einen Auftrag zu bekommen. Diese Möglichkeit scheint aber noch zu unbekannt und nicht etabliert zu sein. Deswegen wollen wir uns das genauer anschauen und die Gründe für die geringe Nutzung ermitteln.

Ein weiterer Baustein ist das *Procurement for Government*-Programm, das im dritten Quartal dieses Jahres starten soll. Worum handelt es sich dabei?

Das ist ein Programm, bei dem es darum geht, in die Breite zu gehen und Beschaffungsverantwortliche mit der Start-up- Szene zu vernetzen. Wir wollen auch die digitale Beschaffungsexpertise in der Verwaltung durch ein Weiterbildungscurriculum stärken. Denn es nützt natürlich wenig, wenn einzelne Vergabestellen ganz innovativ handeln, aber das in der Breite nicht Anwendung findet. Deswegen ist der Kompetenzaufbau durch solche Programme ganz entscheidend.

Titelbild: Deutscher Bundestags/Inga Haar