Die Textform wird in den verschiedenen Vergaberegimen an unterschiedlichen Stellen vorgeschrieben.

Ein technisches Alleinstellungsmerkmal rechtssicher zu begründen, ist mit hohem Aufwand verbunden. Norbert Dippel stellt einen Beschluss der VK Südbayern vor, der die Folgen nach einer unzureichenden Begründung aufzeigt.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Die Zusammenarbeit zwischen Vergabestelle und Fachbereich ist – neben vielen vergaberechtlichen Herausforderungen und Entwicklungen – vielleicht die Königsdisziplin einer effizienten Beschaffung im Sinne der Sache und der Organisation. Des Fachbereichs liebstes Kind ist das sogenannte technische Alleinstellungsmerkmal. Mit breiter Brust wird eingeführt, es gebe nur ein Unternehmen, welches den anstehenden Beschaffungsbedarf decken könne. Dieser Umstand dient dann als Rechtfertigung , um eine in diesem konkreten Fall für unsinnig und überflüssig gehaltene förmliche Ausschreibung zu unterlassen.

Die Vergabekammer Südbayern hat in einem aktuellen Beschluss (vom 05.06.2023, 3194 . Z 3 – 3 _ 01 – 22 – 54) aufgezeigt, welche Ansprüche an die Begründung eines technischen Alleinstellungsmerkmals gestellt werden müssen. Auch lässt sich an diesem Beschluss gut erkennen, welche negativen Folgen eine unzureichende Begründung haben kann. Für den Vergabepraktiker dürfte ein Verweis auf die folgende Entscheidung manche Diskussion mit dem Fachbereich erleichtern.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle vergab einen Auftrag zur Beschaffung eines für wissenschaftliche Versuchszwecke geeigneten 3D­ Laserlithografiesystems im Wege des Verhandlungsverfahrens mit einem Bieter.

Vorangegangen war eine Markterkundung per Internet und die Einholung vertiefter Informationen bei dem Unternehmen, das den Auftrag erhalten hat, dem späteren Beigeladenen. Im Vergabevermerk wurde unter anderem auf die technischen Besonderheiten des später ausgewählten Systems hingewiesen.

Daneben führte der Auftraggeber als Begründung für die Gerätewahl auch Kompatibilitätsgründe an, da sich das ausgewählte Produkt in den bereits bestehenden Gerätepark einfüge. Auch könne der bereits vorhandene „Erfahrungsschatz der Mitarbeiter“, der in den vergangenen Jahren einen erheblichen Umfang angenommen habe und damit auch einen großen wirtschaftlichen Wert darstelle, weiter genutzt werden. Ein Umstieg auf einen anderen Anbieter bedeute laut Vergabevermerk die Einführung neuer Hard- und Softwarestrukturen, wodurch Schulungsaufwand mit nicht unerheblichen Folgekosten generiert werde. Dies würde bei dem ins Auge gefassten Gerät vermieden.

Als Fazit stellt der Auftraggeber fest:

„zusammenfassend kann somit festgestellt werden, dass das (…) (ausgewählte Gerät) für uns die einzige sinnvolle Wahl darstellt. Im Vordergrund stehen dabei eindeutig die technischen Notwendigkeiten zur Bearbeitung unserer Projekte, die nur bei diesem Gerät in vollem Umfang erfüllt werden. Ein erleichterter Einstieg durch bereits geschulte Mitarbeiter und die sichergestellte Kompatibilität mit bereits erzeugten Druckstrategien (Zeit- und Geldersparnis) kommen als Vorteile noch dazu.“

Die spätere Antragstellerin ist ebenfalls in dem von dem Auftrag betroffenen Marktsegment tätig und behauptet, ein entsprechendes Gerät liefern zu können. Sie geht gegen die Direktvergabe vor, indem sie im Nachprüfungsantrag feststellen lassen möchte, dass der geschlossene Vertrag aufgrund des unterlassenen wettbewerblichen Vergabeverfahrens unwirksam ist.

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II. Der Beschluss

Die Vergabekammer hält den zulässigen Feststellungsantrag für begründet.

1. Zulässigkeit

Im Rahmen der Zulässigkeit setzt sich die Vergabekammer zunächst mit der sogenannten Antragsbefugnis der Antragstellerin auseinander. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes könne die Antragsbefugnis nämlich nur einem Unternehmen fehlen, bei dem offensichtlich eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (unter Verweis auf: BVerfG, Beschluss vom. 29.07.2004 – 2 BvR 2248/03; BGH, Beschluss vom 10.11.2009 – X ZB 8/09).

Diesbezüglich macht die Antragstellerin geltend, dass ihr durch die vorgenommene Direktvergabe ein Schaden drohe, da ihr die Möglichkeit vorenthalten wurde, selbst an dem Vergabeverfahren teilzunehmen und den Auftrag zu erhalten. Sie stellt Geräte der beschafften Art her, weshalb es nicht offensichtlich sei, dass eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegen könne und die Antragstellerin den Beschaffungsbedarf ersichtlich nicht befriedigen könne.

Etwaige Zweifel des Auftraggebers, wonach die Antragstellerin zu einer ordnungsgemäßen Leistungserbringung nicht in der Lage sei, stünden der Antragsbefugnis nicht entgegen. Denn die Antragstellerin habe schlüssig dargelegt, dass sie zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe ein wettbewerbsfähiges Angebot hätte abgeben können. Im Rahmen der Antragsbefugnis sei der Vortrag der Antragstellerin folglich als zutreffend zu unterstellen.

2. Begründetheit

Der Nachprüfungsantrag sei auch begründet. Eine gesetzliche Gestattung, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu vergeben, läge nicht vor. Zunächst führte die Vergabekammer zu dem allgemeinen Rechtsrahmen aus:

Gemäß § 119 Abs. 5 Alt. 2 i. V. m. § 14 Abs. 4 VgV könne der öffentliche Auftraggeber Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV vergeben, wenn zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten der Auftrag nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht oder bereitgestellt werden könne. Zusätzlich sei gem. § 14 Abs. 6 VgV zwingend erforderlich, dass es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gebe und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter sei.

Der Ausnahmetatbestand sei eng auszulegen. Angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen von Anfang an klar sei, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde.

Dementsprechend seien die Gründe für die Wahl des Verfahrens ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren.

a. Keine ordnungsgemäße Markterkundung

Der vom Auftraggeber zu führende Nachweis des objektiven Fehlens von Wettbewerb müsse durch eine umfassende Marktanalyse auf europäischer Ebene erfolgen, die hohen Ansprüchen genüge. Dabei müssten „stichhaltige Beweise“ beigebracht werden, wonach es für andere „Wirtschaftsteilnehmer technisch nahezu unmöglich sei, die geforderte Leistung zu erbringen“.

Diesen Ansprüchen genüge die durchgeführte Markterkundung nicht.

Zunächst bemängelt die Vergabekammer, dass sich der Auftraggeber bei seiner Markterkundung ausschließlich auf eine Recherche im Internet verlassen hat.

Zwar sei eine Markterkundung mittels Internetrecherche nicht per se unzureichend. Allerdings sei zu berücksichtigen, dass Anbieter (so auch die Beigeladene und die Antragstellerin) aus strategischen Gründen nicht alle Möglichkeiten ihrer Geräte in allen Einzelheiten frei verfügbar auf ihrer Internetpräsenz vorstellen würden.

Dementsprechend sei die reine Auswertung der Internetpräsenz für eine Markterkundung jedenfalls dann nicht ausreichend, wenn bei anderen Anbietern aus anderen Quellen gewonnene Informationen herangezogen würden. Dies gelte umso mehr, wenn es sich dem öffentlichen Auftraggeber aufdrängen müsse, dass in diesem Marktsegment nicht alle Informationen frei im Internet zugänglich seien; beispielsweise, wenn auch das Produkt, das letztlich als einziges technisch geeignetes Produkt eingestuft wurde, gerade die im Vergabevermerk als relevant und ausschlaggebend bezeichneten Spezifikationen ebenfalls nicht umfänglich frei auf seiner Website präsentieren würde.

Nach Ansicht der Vergabekammer hätte dies dem Auftraggeber bei seiner Recherche auffallen müssen, da er bei der Beigeladenen im Vorfeld schriftlich bezüglich diverser Funktionen und Möglichkeiten ihres Gerätes explizit angefragt hat. Er habe somit spezifisch abgeklärt, ob das Gerät auch den Ansprüchen des Antragsgegners genügen würde. Dies hätte er im Rahmen einer ordnungsgemäßen Markterkundung auch bei anderen Herstellern tun müssen, anstatt ausschließlich die Angaben auf den Webseiten der Hersteller heranzuziehen.

b. Keine ausreichende Prüfung etwaiger Alternativen

Weiterhin bemängelt die Vergabekammer, dass sich der Auftraggeber aufgrund der unzureichend durchgeführten Markterkundung in der Folge nicht im ausreichenden Maße mit adäquaten Alternativen oder Ersatzlösungen für seinen Beschaffungsbedarf beschäftigt habe.

Hierbei verweist die Vergabekammer zunächst auf die Systematik des Ausnahmetatbestandes: Liege ein technisches oder rechtliches Alleinstellungsmerkmal vor (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. a) oder b) VgV), greife das Korrektiv des § 14 Abs. 6 VgV. Demnach müsse zusätzlich geprüft werden, ob es keine vernünftige Alternative oder Ersatzlösung gibt und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter sei. Die Bestimmungsfreiheit des Auftraggebers unterliege damit engeren vergaberechtlichen Grenzen als dies bei Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens der Fall sei. Eine Leistungsbestimmung, die im Fall des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, bedürfe größerer Rechtfertigungstiefe als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führe.

Nach Ansicht der Vergabekammer vermögen die im Vergabevermerk aufgeführten technischen Besonderheiten nicht die Feststellung rechtfertigen, dass aus technischen Gründen kein Wettbewerb im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. b) VgV vorhanden sei. Vielmehr würde keine der genannten technischen Besonderheiten nachweislich dazu führen, dass das Gerät der Antragstellerin nicht als adäquate Ersatzlösung oder Alternative zur Erreichung des mit der Beschaffung verfolgten Zwecks in Betracht käme.

Im Rahmen der inhaltlichen Begründung setzt sich die Vergabekammer sehr umfassend mit dem Vergabevermerk und den darin benannten Gründen für das behauptete Alleinstellungsmerkmal auseinander. Der interessierte Leser mag dies anhand der Originalentscheidung nachvollziehen.

3. Im Ergebnis

Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist.

Da die Gründe für ein Absehen von der wettbewerblichen Vergabe vorliegend nicht ausreichend sind, hat die Vergabekammer festgestellt, dass der zwischen dem Auftraggeber und der Beigeladenen geschlossene Vertrag unwirksam ist.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Wie bei dem berühmten Spielfilm mit dem Titel „Highlander“ aus dem Jahr 1986 von Russell Mulcahy gilt auch bei dem technischen oder rechtlichen Alleinstellungsmerkmal: „Es kann nur einen geben.

Ob dies der Fall ist, muss anhand einer EU-weiten und vor allem gründlichen Markterkundung seitens des Auftraggebers belegt und dokumentiert werden.

Deshalb vermögen die Behauptungen, dass ein Leistungserbringer die Leistung wohlmöglich besonders gut oder besonders wirtschaftlich erbringt, kein Alleinstellungsmerkmal zu begründen.

Aus eigener langer Erfahrung kann ich in Bezug auf viele Projekte behaupten: Wenn man die Zeit, die in die Begründung eines wackeligen Alleinstellungsmerkmals gesteckt wurde, in die Durchführung eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens investiert hätte, wäre man schneller und rechtssicherer zum Ziel gekommen. Zumeist weiß man schon nach dem Teilnahmewettbewerb definitiv, ob es sich um den einen „Highlander“ handelt, oder doch andere (bis dahin unbekannte) Anbieter vorhanden sind.

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