Von der Öffentlichkeit wenig beachtet hat der Bundesrat eine Empfehlung zum Einsatz von KI in der Verwaltung abgelehnt. Im Rahmen der Befassung der Länderkammer mit dem OZG-Änderungsgesetz fand eine Ausschussempfehlung zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für die algorithmenbasierte Entscheidungsfindung keine Mehrheit.

Der Autor

Carsten Klipstein ist Geschäftsführer der cosinex GmbH und CEO der Govtech Gruppe. Der E-Government-Experte ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zu den Themen Vergaberecht, E-Government und Verwaltungsmodernisierung.

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Das OZG-Änderungsgesetz wurde von der Bundesregierung am 25. Mai beschlossen. Es soll den rechtlichen Rahmen für den weiteren Ausbau der Verwaltungsdigitalisierung schaffen, nachdem das erste Onlinezugangsgesetz sein Ziel verfehlte, wonach Bund, Länder und Kommunen bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anbieten.

Aufgrund der Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzentwurfs hatte sich zunächst der Bundesrat mit ihm zu befassen. In seiner Sitzung vom 7. Juli stimmte er entsprechend über die Empfehlungen seiner Ausschüsse ab.

Neben dem federführenden Ausschuss für Innere Angelegenheiten haben sich der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz, der Finanzausschuss, der Ausschuss für Kulturfragen, der Wirtschaftsausschuss sowie der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung mit dem Entwurf befasst und eine Ausschussempfehlung mit insgesamt 76 Stellungnahmen vorgelegt.

Bundesrat lehnt Vorstoß ab

Während der Großteil der Stellungnamen mehrheitlich angenommen wurde, stieß unter anderem die geplante Stellungname mit der Ziffer 7 mit folgendem Wortlaut auf Ablehnung:

Der Bundesrat hält es für geboten, mit dem Gesetzentwurf die rechtlichen Grundlagen der datenbasierten Verwaltung zu schaffen. Dazu zählt u.a., die Zulässigkeit des Einsatzes algorithmenbasierter Entscheidungsfindung und -vorbereitung in der öffentlichen Verwaltung zu normieren. Ein Zuwarten auf den europäischen Prozess bremst den Einsatz künstlicher Intelligenz im öffentlichen Sektor aus. Die Hebung der Potentiale dieser Technologie, Verwaltungsprozesse effizienter zu gestalten und Beschäftigten der öffentlichen Verwaltung moderne Arbeitsinstrumente zur Verfügung zu stellen, werden dadurch verhindert.

Genau dem wollte sich der Bundesrat nicht anschließen. Im Video der Sitzung sind bei der Abstimmung über den betreffenden Änderungsvorschlag (ab Min. 6:30) lediglich drei Handzeichen zu erkennen, die Entscheidung scheint also nicht knapp gewesen zu sein.

KI in der Verwaltung: Gewünscht oder nicht?

Der Vorstoß hatte im Vorfeld bereits Aufmerksamkeit erregt: So äußerte sich die Abgeordnete des Bundestags Misbah Khan (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber der Deutschen Presse-Agentur kritisch. Entscheidungen, die das Schicksal von Menschen beträfen, dürften nicht Algorithmen überlassen werden und müssten transparent und nachvollziehbar sei, außerdem seien selbstlernende Systeme nicht diskriminierungsfrei.

Der Gesetzentwurf wird mit Stellungnahme der Bundesregierung dem Bundestag zugeleitet. Dort steht er gegenwärtig noch nicht auf der Tagesordnung. Nach dessen Beschluss ist erneut die Länderkammer gefragt. Nur mit ihrer Zustimmung kann das Gesetz verkündet werden.

KI-Aktionsplan des Forschungsministeriums

Ein am 23. August vorgestellter Aktionsplan des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sieht dementgegen vor, KI in der eigenen Verwaltung einzusetzen. Wortlaut: „KI kann in der Verwaltung helfen.“ Noch in diesem Jahr wolle man zunächst intern pilothaft die Nutzung von generativer KI starten. Bis Sommer des nächsten Jahres würden externe Nutzungsmöglichkeiten angeboten.

Laut dem Aktionsplan verstehe die Bundesregierung die „Bereitstellung von KI-Tools, KI-Kompetenzen und KI-Infrastruktur“ als „Teil der Grundversorgung“.

Zu den 50 laufenden Maßnahmen, mit denen das BMBF aktuell die Erforschung, Entwicklung und Anwendung von KI fördert, sollen „zielgerichtet“ mindestens 20 weitere Initiativen hinzu kommen. In der laufenden Legislaturperiode werde das BMBF über 1,6 Milliarden Euro in KI investieren. Der Aktionsplan ist laut der Forschungsministerin Stark-Watzinger ein Update zur KI-Strategie der Bundesregierung, die im November 2018 beschlossen wurde.

Erneutes Scheitern deutscher und europäischer Digitalpolitik?

Der Vorgang zeigt, dass der Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder zurecht moniert, dass offen bleibe, wie die Initiative des Forschungsministeriums in die Gesamtstrategie der Bundesregierung zur Künstlichen Intelligenz eingebettet werden soll.

Gleiches gilt für die Einbettung der deutschen in die EU-weite Strategie. Man müsse KI europäisch denken, so die Ministerin, und man forciere „die Abstimmung innerhalb des Europäischen Forschungsraums, um im Sinne eines Team Europe Ansatzes die entsprechende Wirkungskraft auf globaler Ebene dann auch entfalten zu können“.

Hinter solchen Worten gähnt die gleiche Leere wie zwischen den Spiegelstrichen der immer längeren Listen von Handlungsfeldern (elf) und Initiativen (zuvor fünfzig, nun siebzig). Viel hilft viel, scheint das Motto zu sein. Da wird dann sogar die totgeglaubte Kopfgeburt Industrie 4.0 wiederbelebt, in welcher der KI-Einsatz nunmehr auch vorangetrieben werden soll.

Zu befürchten ist eine Wiederaufführung des Scheiterns europäischer Digitalpolitik, wie sie bereits bei der europäischen Suchmaschine oder der europäischen Cloud („Floppt mit Gaia-X das nächste europäische Digital-Projekt?“) zu erleben war.

Wo fängt KI an, wo hört sie auf?

Konfus auch die Abstimmung zwischen den Institutionen: So mutet es wie ein Treppenwitz an, dass rund zwei Monate nachdem der Bundesrat den Einsatz von KI in der Verwaltung abgelehnt oder zumindest auf die lange Bank geschoben hat, das Bundesministerium für Bildung und Forschung versucht, eine zukünftige Spitzenposition für Deutschland und Europa herbeizureden.

Kurz zurück gesprungen: Der vom Bundesrat jüngst abgelehnte Entwurf sah vor, die Zulässigkeit des Einsatzes algorithmenbasierter Entscheidungsfindung und -vorbereitung zu normieren.

Spätestens als der erste Sachbearbeiter eines Finanzamtes mit dem Taschenrechner statt einer Schieblehre eine Steuererklärung nachrechnete, hielt die algorithmenbasierte Entscheidungsfindung und -vorbereitung Einzug in deutsche Verwaltungen. Heute hilft eine Vielzahl qualifizierter Fachverfahren Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeitern durch den Paragraphendschungel des Vergabe-, öffentlichen Baurechts, KfZ- oder Meldewesens sowie vieler anderer Rechtsbereiche.

Wo KI damit anfangen oder aufhören soll, ist allenfalls eine Frage einer kaum greifbaren Begriffsbestimmung.

Verheerendes Signal an alle Verwaltungsdigitalisierer

Insofern spricht vieles dafür, dass die geplante Regelung eher deklaratorischen Charakter gehabt oder bestenfalls die gelebte Praxis legitimiert hätte. Umso praxisferner erscheint die Ablehnung des Bundesrats und umso schlechter ist das politische Signal in Richtung aller Verwaltungsdigitalisierer innerhalb der Verwaltungen selbst, wie auf Seiten der beteiligten öffentlichen und auch privaten Dienstleiter und Partner.

Wenn sich nunmehr die Innenpolitikerin Misbah Kahn von den Grünen erleichtert über die Ablehnung der Regelung zur KI im Bundesrat zeigt, während das FDP-geführte BMBF in seinem KI-Aktionsplan den verstärkten Einsatz von KI in der eigenen Verwaltung ankündigt, darf sich der geneigte Leser wundern. Der Verwaltungsdigitalisierer erkennt jedenfalls keine einheitliche Leitlinie, wie die Verwaltungsdigitalisierung aus Sicht der Bundesregierung denn nun gestaltet werden soll.

Dabei sollte mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen, die wirtschaftliche Entwicklung und die beginnende KI-Revolution klar sein, dass wir eines nicht haben: Zeit!

Quellen und Links

Titelbild: Rock’n Roll Monkey – Unsplash