Bei der Vergabe von Bauaufträgen findet sich nicht selten im Leistungsverzeichnis die Nennung eines Leitfabrikats mit dem Zusatz „oder gleichwertig“. In aller Regel weiß der Bieter damit umzugehen: Er bietet das Leitfabrikat an oder ein gleichwertiges Fabrikat. Wie zu verfahren ist, wenn der Bieter seinerseits im Angebot wenig konkret wird und ein „Leitfabrikat oder gleichwertig“ anbietet, dazu hat sich die zweite Vergabekammer des Bundes in einem aktuellen Beschluss geäußert.

I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb einen Auftrag unter anderem die Herstellung von zwei Straßenhilfsbrücken EU-weit aus. Im Leistungsverzeichnis war ein bestimmter Brückentyp als Leitfabrikat benannt, ergänzt um den Zusatz „oder gleichwertig“.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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In dem „Bieterangabenverzeichnis“ waren entsprechende Freifelder für „Angaben des Bieters“ vorgesehen, in denen der jeweilige angebotene Brückentyp eingetragen werden sollte. In dem von der Vergabestelle als Formblatt zur Verfügung gestellten „Angebotsschreiben“ hieß es unter anderem:

„Ich/wir erkläre(n), dass […] das vom Auftraggeber vorgeschlagene Produkt Inhalt meines/unseres Angebotes ist, wenn Teilleistungsbeschreibungen des Auftraggebers den Zusatz ‚oder gleichwertig‘ enthalten und von mir/uns keine Produktangaben (Hersteller- und Typbezeichnung) eingetragen wurden.“

Die spätere Antragstellerin sowie die spätere Beigeladene gaben ein Angebot ab. Als Ergebnis verschiedener Aufklärungen erklärte die spätere Beigeladene, dass sie im Vergabefall die Straßenhilfsbrücken des Leitfabrikats liefern werde:

„Uns liegt ein entsprechendes Angebot der Fa. […] vor. Sollte die Lieferung wider Erwarten aufgrund einer geänderten Verfügbarkeit nicht mehr möglich sein, so erhalten Sie – wie angeboten – gleichwertige neu gefertigte Straßenhilfsbrücken.“

Die zweitplatzierte spätere Antragstellerin stellte nach der Vorabinformation gemäß § 134 GWB nach erfolgloser Rüge einen Nachprüfungsantrag, der unter anderem die Bewertungssystematik sowie eine unterlassene Aufklärung des Angebotspreises zum Gegenstand hatte. Nachfolgend wird sich allein auf den Aspekt der Bestimmtheit des Angebots bezogen.

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II. Der Beschluss

Der teilweise zulässige Nachprüfungsantrag ist im Ergebnis auch begründet.

1. Rechtlicher Ansatz

Dabei greift die Vergabekammer (Beschluss vom 16.05.2023; VK 2-28/23) auf § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 VOB/A zurück: Demnach müssen Änderungen des Bieters an seinen Eintragungen zweifelsfrei sein. Dieser Regelung sei im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses der allgemeinere Grundsatz zu entnehmen, dass Angebote bereits von Beginn an – ohne dass es auf das Vorliegen einer nachträglichen Änderung ankäme – zweifelsfrei sein müssten.

Ein Grund für eine insoweit verschärfte Anforderung erst im Nachgang einer Änderung sei nicht ersichtlich (unter Berufung auf: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16. Juni 2021 – VII-Verg 47/20 zu § 57 Abs. 1 Nr. 3 VgV). Nur auf der Basis eines bestimmten Inhaltes könne das Angebot auch durch die Zuschlagsentscheidung des öffentlichen Auftraggebers angenommen werden und die vertraglichen Beziehungen zwischen Bieter und Auftraggeber definieren. Unklare Angebote hingegen ermöglichten letztlich keinen Vergleich der Angebote und damit keine gleiche Behandlung der Bieter untereinander (i.S.d. § 97 Abs. 2 GWB), eröffneten die Möglichkeit der Manipulation und böten dem Auftraggeber keine Gewissheit, welche Leistung er vom Bieter beanspruchen kann.

Liegt ein Fall des § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 VOB/A vor, sei das Angebot gem. § 16 EU Nr. 2 VOB/A auszuschließen.

2. Auf den Fall bezogen

Vorliegend käme es der Vergabestelle auf die Nennung der angebotenen Modelle der Behelfsbrücken erklärtermaßen und für die Bieter erkennbar an. Unter anderem deshalb habe sie von den Bietern verlangt, im Bieterangabenverzeichnis ihre Angebote zu konkretisieren. Dort sollte das ausgewählte Produkt benannt werden. Dementsprechend enthielt auch das Angebotsschreiben eine Regelung, wonach automatisch das Leitfabrikat als angeboten gilt, wenn der Bieter keine Angabe zum von ihm angebotenen Produkt macht. Mittels dieser Regelung sollten unbestimmte Angebote gerade verhindert werden.

Vorliegend habe die Beigeladene im Bieterangabenverzeichnis ausdrücklich offengelassen, welche Behelfsbrücken sie anbietet. Im Zuschlagsfall könnte sie entweder das Leitfabrikat gem. Leistungsverzeichnis verwenden, oder ein bislang nicht namentlich genanntes anderes Produkt, welches aus ihrer Sicht gleichwertig zum Leitfabrikat sein soll.

a. Keine Eindeutigkeit durch Angebotsschreiben

Auch die eingangs zitierte Regelung in dem Angebotsschreiben könne die geforderte Eindeutigkeit nicht herstellen. Dort sei ausdrücklich beschrieben, dass die Konkretisierung auf das Leitfabrikat nur dann erfolgt, wenn „keine Produktangaben […] eingetragen“ wurden. Es macht damit einen Unterschied, ob ein Bieter gar keine Produktangaben einträgt, indem er das Feld offenlässt, oder aber mehrere Angaben macht, die in einem Alternativverhältnis zueinander stehen.

b. Keine Eindeutigkeit durch Aufklärung

Die Vergabekammer stellt klar, dass vorliegend eine Aufklärung unzulässig gewesen sei, weil die Grenze zur Angebotsänderung überschritten wurde. Gem. § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A sei die Aufklärung unter anderem im offenen Verfahren auch hinsichtlich des Angebotes selbst zulässig. Abs. 3 enthalte eine ausdrückliche Einschränkung, wonach Änderungen der Angebote nicht erfolgen dürfen.

Die Eintragung im Bieterangabenverzeichnis „‘Leitfabrikat‘ oder gleichwertig“ sei nicht eindeutig. Sie sei jedoch auch nicht widersprüchlich. Vielmehr enthalte das Angebot ausdrücklich ein wahlweises Angebot durch Einfügen des Wortes „oder“, wobei das gleichwertige Fabrikat gerade nicht konkretisiert werde. Demgegenüber würde ein Widerspruch voraussetzen, dass (mindestens) zwei für sich genommen klare Aussagen vorhanden seien, die einander entgegenlaufen. Dies sei hier nicht gegeben. Ein die Aufklärung ermöglichender Eintragungsfehler liege damit nicht vor.

Hierfür spreche auch, dass die Beigeladene die Unbestimmtheit ihrer Eintragung nicht durch die schlichte Aussage, welche der vermeintlich widersprüchlichen Angaben im Angebot gelten solle, klarstellen könnte. Eine denkbare Antwort auf die Frage, ob das Leitfabrikat oder ein gleichwertiges Produkt angeboten werden sollte, wäre, dass ein gleichwertiges Produkt zum Leitfabrikat angeboten werden sollte. Diese Angabe sei jedoch ihrerseits unbestimmt und wäre offensichtlich nicht geeignet, die von der Vergabestelle durch das Bieterangabenverzeichnis gewünschte Klarheit zu schaffen. Die Beigeladene müsste also, wenn sie diese Alternative als die gewollte angeben würde, ergänzend zu dem eingereichten Angebot noch ein konkretes Produkt benennen. Damit wäre jedoch die Grenze zur unzulässigen Angebotsänderung überschritten.

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III. Hinweise für die Praxis

Gem. § 7 EU Abs. 2 VOB/A muss der öffentliche Auftraggeber im Sinne einer Produkt- und Wettbewerbsoffenheit im Regelfall die Benennung eines Leitfabrikats grundsätzlich mit dem Zusatz „oder gleichwertig“ versehen. Mit diesem Gleichwertigkeitszusatz wird den Bietern die Möglichkeit eröffnet, andere Produkte als das Leitfabrikat anzubieten.

Welches Fabrikat das Angebot umfasst, muss dann jedoch jedenfalls bei den Rahmenbedingungen des vorstehenden Beschlusses (Erfordernis der Benennung des konkret angebotenen Fabrikats im Bieterangabenverzeichnis) konkret durch den Bieter bestimmt werden; daran ändert auch der Gleichwertigkeitszusatz im Leistungsverzeichnis nichts.

Eine Vergleichbarkeit und damit eine entsprechend sachgerechte Wertung der Angebote ist ansonsten nicht möglich. Dies zeigt sich hier auch daran, dass der Auftraggeber vorliegend überhaupt nicht in der Lage wäre, die Gleichwertigkeit der unbenannten, alternativen Brücken zu prüfen. Im konkreten Fall kann nicht sichergestellt werden, dass die zu liefernden Brückenteile zu den vorhandenen Brückenelementen passen, an die angedockt werden muss.

Der Auftraggeber wäre im Zweifelsfall auf die zivilrechtliche Durchsetzung der Gleichwertigkeit im Rahmen einer laufenden Vertragsausführung verwiesen, welche auch zu erheblichen Verzögerungen des Bauprojektes führen könnte; im Vergabeverfahren wäre bei Offenlassung der Fabrikatsangabe nicht sichergestellt, dass das wirklich wirtschaftlichste Angebot beauftragt wird. Auch auf diesen Aspekt hat die Vergabekammer erfrischend praxistauglich hingewiesen.

Hiernach lässt sich der vorstehende Beschluss im Hinblick auf die Nennung des Zusatzes „oder gleichwertig“ im Leistungsverzeichnis (seitens der Vergabestelle) und dem Angebot (seitens des Bieters) auch wie folgt zusammenfassen: quod licet iovi non licet bovi – und das im konkreten Fall auch aus gutem Grund!

Titelbild: 50m. above – Unsplash