Im Rahmen des Vergabeverfahrens wird der Vertragspartner ausgewählt und mit dem Zuschlag der Vertrag geschlossen. Nun schließt sich die Leistungsphase an. Wie ist es allerdings vergaberechtlich zu bewerten, wenn der Vertrag zu Beginn dieser Phase aufgehoben oder gekündigt wird? Welche Wirkung hat die damals getroffene Auswahlentscheidung in Form des Zuschlags? Was bedeutet dies für die Vergabestelle? Der nachfolgende Artikel von Otmar Walter beleuchtet die Rechtslage.
Zuschlag und Angebotsannahme: Vergaberecht und Zivilrecht in einem Schritt
Gemäß § 127 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Mit der fristgerechten und unveränderten Annahme des Angebotes durch die Erteilung des Zuschlages kommt der Vertrag in zivilrechtlicher Hinsicht gemäß §§ 145 BGB ff. durch übereinstimmende Willenserklärungen zustande.
Die vergaberechtlichen Vorschriften, die die Beschaffung von Leistungen durch öffentliche Auftraggeber unter Einschränkung der freien Auswahl des Vertragspartners regeln und die zivilrechtlichen Vorschriften über die Begründung von Schuldverhältnissen, denen die Vertragsabschlussfreiheit innewohnt, lassen sich grundsätzlich hinreichend abgrenzen.
Die Erteilung des im Vergaberecht erwähnten Zuschlages, der in aller Regel auch die zivilrechtliche Annahme des Angebotes beinhaltet und zum Vertragsschluss führt, lassen sich jedoch nicht trennen. Denn der vergaberechtliche Zuschlag und die zivilrechtliche Annahme des Angebotes erfolgen in einem Schritt.
BGH zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages
In der Entscheidung1 vom 23.11.2021 hat der BGH darauf hingewiesen, dass einiges dafür spricht, dass eine zwischen dem Auftragnehmer und dem öffentlichen Auftraggeber gemäß § 311 Abs. 1 BGB vereinbarte Aufhebung den Zuschlag mit Rückwirkung hat entfallen lassen. Der BGH konnte die Entscheidung dieser Frage offen lassen. Sein Hinweis lässt jedoch erkennen, welcher Auffassung er zuneigt: Die Vertragsparteien können verabreden, so gestellt zu werden, als wäre der aufgehobene Vertrag nie geschlossen worden. Für diese vom BGH aufgezeigte Tendenz, dass der Zuschlag bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit Rückwirkung entfällt, gibt es überzeugende Argumente:
Die vergaberechtliche Vorschrift des § 127 GWB ordnet nur an, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird. Zum Vertragsschluss äußert sich die Vorschrift nicht. Auch § 58 VgV enthält keine Regelungen zum Abschluss des Vertrages. Daher ist in dieser Hinsicht auf die zivilrechtlichen Regelungen des BGB zurückzugreifen.
Das BVerwG2 hat in seinem Beschluss vom 02.05.2007 ausgeführt, dass der Staat bei der Vergabe öffentlicher Aufträge als Nachfrager am Markt tätig wird, um seinen Bedarf an bestimmten Gütern und Dienstleistungen zu decken. In dieser Rolle als Nachfrager unterscheidet er sich nicht grundlegend von anderen Marktteilnehmern. Die von der öffentlichen Hand abgeschlossenen Werk- und Dienstverträge gehören ausschließlich dem Privatrecht an. Die öffentliche Hand bewegt sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in aller Regel auf dem Boden des Privatrechts. Die Vergabe öffentlicher Aufträge ist als einheitlicher Vorgang insgesamt dem Privatrecht zuzuordnen.
Ist der Zuschlag eine eigenständige rechtliche Handlung?
Der öffentliche Auftraggeber unterliegt bei Vertragsschluss vergaberechtlichen Bindungen, die im Einzelfall die zivilrechtlichen Vorschriften ergänzen, modifizieren oder überlagern. So hat der öffentliche Auftraggeber die VOL/B gemäß § 29 VgV grundsätzlich zum Vertragsbestandteil zu machen und kann den Vertragsinhalt nicht individuell aushandeln oder bestimmen. Weiterhin ist er grundsätzlich verpflichtet, den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen (§ 127 GWB). Er wird in seiner Privatautonomie und Vertragsabschlussfreiheit eingeschränkt. Das Vergaberecht bestimmt, auf welches Angebot der Zuschlag zu erteilen ist. Liegen keine Ausschlussgründe vor, erfüllt der Bieter die an seine Eignung gestellten Anforderungen in der Phase der Prüfung und Wertung und hat er das wirtschaftlichste Angebot abgegeben, hat der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag gemäß § 127 GWB auf dieses Angebot zu erteilen. Er kann seinen Vertragspartner nicht frei wählen.
Die vergaberechtlichen Vorschriften bestimmen nur, auf welches Angebot der Zuschlag zu erteilen ist und wie es zu ermitteln ist. Den Regelungen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass der vergaberechtliche Zuschlag eine eigenständige rechtliche Handlung des öffentlichen Auftraggebers darstellt. Die Erteilung des Zuschlages ist hinsichtlich des Vertragsschlusses in die zivilrechtlichen Vorschriften über die Annahme eines Angebotes eingebunden. Es gibt keine unterschiedlichen Stufen, auf denen zunächst die vergaberechtliche Zuschlagserteilung erfolgt und anschließend eine zivilrechtliche Annahme des Angebotes vorgenommen wird, die zum Vertragsschluss führt. Auch die Regelungen der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge vom 26.02.20143 führen zu keiner anderen rechtlichen Bewertung des Zuschlages. Die Richtlinie verwendet den Begriff des Zuschlages, ohne ihn zu erläutern oder ihm eine bestimmte vergaberechtliche Funktion zuzuweisen. Dies ist auch sachgerecht, weil das Vergaberecht die Vergabe öffentlicher Aufträge im Wettbewerb sicherstellen soll. Es ist jedoch grundsätzlich nicht Aufgabe des EU-Vergaberechts, den Abschluss von Verträgen zu regeln.
Einbindung des Zuschlages in das Zivilrecht
Die Rechtsprechung lässt ebenfalls eine tiefe Einbindung des Zuschlages in das Zivilrecht erkennen:
Der BGH4 hat in seiner Entscheidung vom 06.09.2012 ausgeführt, dass sich das Zustandekommen eines Vertrages, der auf der Grundlage einer öffentlichen Ausschreibung geschlossen wird, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches bestimmt. Auch weitere Entscheidungen lassen erkennen, dass für den Vertragsschluss die nationalen zivilrechtlichen Vorschriften maßgeblich sind. Erteilt der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag nach dem Ablauf der Bindefrist, gilt dies als neuer Antrag gemäß § 150 Abs. 1 BGB. Denn das Angebot ist mit dem Ablauf der Bindefrist erloschen und kann nicht mehr durch eine Erklärung angenommen werden (§ 146 BGB).
Deshalb liegt in dem verspäteten Zuschlag ein neuer Antrag des öffentlichen Auftraggebers gemäß § 150 BGB5 vor. Der Bieter kann sodann entscheiden, ob er den Antrag des öffentlichen Auftraggebers auf Vertragsschluss annimmt oder nicht. Die Anwendung von § 149 BGB kommt bei verspäteter Zuschlagserteilung in der Regel nicht in Betracht, weil dem öffentlichen Auftraggeber mit der von ihm vorgegebenen Bindefrist bekannt ist, dass er den Zuschlag fristgerecht zu erteilen hat und der verspätete Zuschlag deshalb als neuer Antrag gemäß § 150 Abs. 1 BGB zu werten ist, der der Annahme durch den Bieter bedarf. Mit der Vorgabe der Bindefrist durch den öffentlichen Auftraggeber sind seine Interessen bei verspäteter Erteilung des Zuschlages grundsätzlich nicht schutzwürdig.
Rechtsprechung im Fall einer modifizierten Zuschlagserteilung
Wird der Zuschlag mit Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen erteilt, liegt ebenfalls die Ablehnung des Angebotes mit einem neuen Antrag gemäß § 150 Abs. 2 BGB vor. Die Rechtsprechung greift auch in den Fällen einer modifizierten Zuschlagserteilung auf die zivilrechtlichen Vorschriften zurück. So hat der BGH entschieden, dass es sich bei der Annahme des Angebotes mit der Maßgabe, dass eine neue Bauzeit festgelegt wird, um eine Ablehnung, verbunden mit einem neuen Antrag mit im Übrigen unveränderten Bedingungen gemäß § 150 Abs. 2 BGB handelt6. Diese Auffassung wird auch weiterhin vertreten. Wird das nach europaweiter Ausschreibung abgegebene Angebot unter Änderungen angenommen, handelt es sich gemäß § 150 Abs. 2 BGB nicht um eine Annahme, sondern um ein neues Angebot7. In diesem Fall wurde das Angebot mit dem Zuschlagsschreiben nicht angenommen, sondern gemäß § 150 Abs. 2 BGB ein neues Angebot unterbreitet. Denn die vom öffentlichen Auftraggeber mit dem Zuschlagsschreiben übersandte Vertragsausfertigung, die von dem auf den Ausschreibungsunterlagen beruhenden Angebot abgewichen ist, war als neues Angebot zu bewerten.
Mit Blick auf die vergaberechtlichen Vorschriften und die Rechtsprechung bleibt festzuhalten, dass der Zuschlag nicht als isoliertes vergaberechtliches Institut anzusehen ist, sondern einen nicht trennbaren Bezug zum zivilrechtlichen Vertragsschluss besitzt. Mit der fristgerechten Zuschlagserteilung ist die zivilrechtliche Annahmeerklärung des öffentlichen Auftraggebers in Form einer empfangsbedürftigen Willenserklärung verbunden, mit der er sich verpflichtet und die zum Vertragsschluss führt.
Verabreden die Vertragsparteien die Aufhebung der Rechte und Pflichten aus dem Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 1 BGB, kann der fristgerechte vergaberechtliche Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot (§ 127 GWB) wegen seiner tiefen Verbindung mit der zivilrechtlichen Annahmeerklärung des öffentlichen Auftraggebers, die den Vertragsschluss bewirkt hat, nicht isoliert bestehen bleiben. Vielmehr ist anzunehmen, dass auch der vergaberechtliche Zuschlag vor dem Hintergrund der oben aufgezeigten zivilrechtlichen Einbettung das Schicksal der Vertragsaufhebung teilt und auch aus Gründen der Rechtsklarheit mit Rückwirkung entfällt. Für diese Ansicht spricht auch, dass der verspätete oder modifizierte Zuschlag, der nur ein Angebot darstellt und ohne die zivilrechtliche Annahme des Antrages des öffentlichen Auftraggebers durch den Bieter gemäß § 150 BGB keinen Vertragsschluss bewirkt. Ohne die Hilfestellung des Zivilrechts kann mit einem verspäteten oder einem modifizierten Zuschlag das Vergabeverfahren leistungsverpflichtend gar nicht beendet werden. Der verspätete oder der modifizierte Zuschlag läuft ohne die Annahmeerklärung des Bieters ins Leere. Auch diese tiefe inhaltliche Einbindung des Zuschlages in das Zivilrecht lässt den Schluss zu, dass er mit Rückwirkung entfällt, wenn von dem Auftragnehmer und dem öffentlichen Auftraggeber ein Aufhebungsvertrag geschlossen wird.
Das Argument, wonach der vergaberechtliche Zuschlag nur eine tatsächliche Handlung des öffentlichen Auftraggebers darstellt und mit dem Aufhebungsvertrag deshalb nicht entfällt, überzeugt vor dem Hintergrund seiner tiefgreifenden zivilrechtlichen Einbindung nicht. Denn die Entscheidung über die Auswahl zwischen mehreren Bietern erfolgt im Regelfall unmittelbar durch den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages mit einem Bieter durch Zuschlag8. Dabei handelt es sich um einen einheitlichen Vorgang.
Fazit und Ausblick
Es wäre widersprüchlich, einerseits die Rechte und Pflichten aus dem Schuldverhältnis vertraglich gemäß § 311 Abs. 1 BGB (rückwirkend) aufzuheben und andererseits den im Vergaberecht erwähnten Zuschlag, der mit der ihm innewohnenden zivilrechtlichen Annahmeerklärung zum ursprünglichen Vertragsschluss geführt hat, isoliert bestehen zu lassen. Deshalb ist die vom BGH aufgezeigte Tendenz, wonach der Zuschlag bei dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages wohl mit Rückwirkung entfällt, als zutreffende Wertung anzusehen.
Es stellt sich die Frage, ob eine weitere Vergabe des Auftrages auf der Grundlage der vorliegenden Angebote ohne neues Vergabeverfahren vorgenommen werden kann, wenn ein Aufhebungsvertrag bald nach Zuschlagserteilung geschlossen wird. Mit dieser Frage befasst sich der zweite Teil dieses Beitrages, der bald erscheint.
Verwandte Beiträge
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Fussnoten
- BGH, Urt. v. 23.11.2021, XIII ZR 20/19
- BVerwG, Beschluss v. 02.05.2007, 6 B 10.07
- (2014/24/EU)
- Urt. v. 06.09.2012, VII ZR 193/10
- OLG Celle, Beschluss vom 30.01.2020, 13 Verg 14/19
- Urt. v. 24.05.2005, VII ZR 141/03
- OLG Celle, Urt. v. 29.12.2022, 13 U 3/22
- BVerwG, Beschluss v. 02.05.2007, 6 B 10.07, Tz. 15