Erstmals seit 2019 kam die nordrhein-westfälische Vergabecommunity wieder persönlich zusammen, um sich einen rechtlich wie technisch umfassenden Überblick zu vergabe.NRW und der E-Vergabe in Nordrhein-Westfalen zu verschaffen. Roter Faden des 16. E-Vergabe-Tages, der – erneut ausgebucht – mit rund 330 Teilnehmern in Dortmund stattfand, waren die eForms, deren Einführung am 25. Oktober nur noch wenige Wochen bevorsteht.
Transparenz war und ist Dauerproblem der Vergabe
Nach der Eröffnung der Fachveranstaltung und Begrüßung durch Johanna Reinker von der d-NRW AöR bot Ralf Sand vom Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen unter der Überschrift „Das Beschaffungswesen im Ziel politischer Stakeholder“ einen historischen Abriss der Entwicklung zu mehr Transparenz und Vereinheitlichung im europäischen Vergaberecht, deren vorläufigen Schlusspunkt die eForms bilden werden.
Beginnend bei der Richtlinie 77/62/EWG vom 21. Dezember 1976, die erstmals statistische Angaben über die von der Zentral- oder Bundesverwaltung nach dieser Richtlinie vergebenen Aufträge vorsah, bis hin zur Richtlinie 2014/24/EU zeigte Sand: Das Problem blieb über lange Zeit das gleiche, die Sicherstellung von Einheitlichkeit schwierig. Daran habe auch die im Oktober 2020 gestartete Vergabestatistikverordnung wenig geändert, deren Datengrundlage und Methodik nach Aussage des BMWK „noch nicht voll ausgereift“ sei.
„Formulare war gestern“
Nach Ralf Sands Rückblick schloss direkt Annette Schmidt vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie NRW mit einem Ausblick auf die digitalen Standards im Vergabeprozess an. Sie erläuterte zunächst die Familie der XStandards Einkauf (XSE), welche die Standards eForms, XBestellung, XRechnung und Peppol umfasst, und die das Ziel verfolgt, Unternehmen die Teilnahme an Vergabeverfahren zu erleichtern.
Die eForms-DE, die ab 25.10.2023 verpflichtend für EU-Bekanntmachungen zu nutzen sind, fungieren dabei als der verbindliche Datenaustauschstandard um die „Black Box öffentlicher Einkauf“ transparenter zu machen. Schmidt stellte die wesentlichen Komponenten mit Einführung von eForms-DE vor, vom Vermittlungsdienst, der die europaweiten Bekanntmachungen empfangen wird und zukünftig auch nationale Bekanntmachungen empfangen soll, bis hin zum derzeit noch im Bau befindlichen Self-Service-Portal, das die direkte Eingabe einer EU-Bekanntmachung beim Datenservice Öffentlicher Einkauf ermöglicht, soweit Vergabestellen weder vergabe.NRW oder dessen Module, noch zum Datenservice kompatible Lösungen nutzen.
Die Komplexität von eForms greifbar gemacht
Den roten Faden zu den eForms griff Carsten Eschenröder mit seinem Vortrag zum technischen Entwicklungsstand auf. Nach einem Rückblick auf die jüngeren und Ausblick auf die anstehenden Entwicklungen bei vergabe.NRW bot er einen vertieften Einblick in die Struktur und den Aufbau des neuen Bekanntmachungsstandards. So werde eine konkrete Bekanntmachung künftig auf Grundlage von drei Dimensionen konstruiert:
- Zum einen den sechs Formulartypen mit insgesamt 40 Subtypen,
- zweitens aus 743 verschiedenen Business Terms, die verschiedene Datenfelder enthalten können nebst 88 Codelisten (vergleichbar mit den bekannten CPV– und NUTS-Codes) und
- den über 40.000 Validierungsregeln, die Abhängigkeiten für die Anzeige und Erfassung von Daten und deren Plausibilität beschreiben.
Die Komplexität bei der Einführung von eForms erwachse insbesondere aus dem nationalen Tailoring eForms-DE, wodurch eine Vielzahl an Teilnehmern – von der EU über die Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT) bis zu einer Reihe von Dienstleistern – an dem Projekt beteiligt ist. Dieses müsse zudem stichtagsgenau, also ohne jeden Übergangszeitraum, funktionieren, wie Eschenröder erklärte.
Die Abfrage von Bieterkonzepten im Vergabeverfahren
Neben dem technischen kam auch der juristische Blick auf Vergabe und öffentliche Beschaffung nicht zu kurz: Dr. Stefan Mager, Luther Rechtsanwälte, vermittelte praxisnahe Grundlagen zu Bieter-Konzepten in Vergabeverfahren. Diese können dann zum Tragen kommen, wenn neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden sollen.
Dr. Mager erläuterte erlaubte Konzeptinhalte, beleuchtete die Zulässigkeit und Erforderlichkeit verschiedener Wertungsmethoden auf Grundlage der jüngeren Spruchpraxis und gab Einblicke in die Dokumentation der Bewertungsergebnisse.
Das Angebots-„Schreiben“ in der digitalen Vergabe
Norbert Dippel, Justiziar der cosinex und Mit-Autor des cosinex Blog, nahm in seinem abschließenden Vortrag das Formular „Angebotsschreiben“ in der digitalen Vergabe unter die Lupe.
Wird dieses von Bietern nicht oder lediglich unvollständig ausgefüllt, bestehen Unsicherheiten, wie die Vergabestelle damit umzugehen hat. Dippel stellte relevante Fallgruppen anhand der jüngeren Rechtsprechung diverser Spruchkammern vor und zeigte Lösungsansätze auf.
Im Grund handele es sich bei dem Formular „Angebotsschreiben“ um ein Artefakt papiergebundener Abläufe, wie Dippel anhand aktueller Spruchpraxis darlegte. Es laufe somit der gesetzgeberischen Intention zuwider, wonach E-Vergabe zu einer Erleichterung führen soll. Eine Ausnahme stelle das VHB NRW dar, welches bereits einen sehr modernen Ansatz bietet.
Best Practice: Beschleunigung von Verfahren bei der Stadt Bochum
Einen gleichsam praxisbezogenen, wie auch detailreichen Einblick in die kommunale Vergabepraxis lieferte Marcel Budde von der Stadt Bochum. Er schilderte, wie das Referat „Zentraler Einkauf“ in den letzten Monaten Potenziale zur Verfahrensbeschleunigung hob, indem auf die vollständig elektronische Abwicklung von Vergabeprozessen gesetzt wurde.
Dabei wurde unter anderem die Genehmigungskonfiguration so angepasst, dass es keine doppelten Genehmigungsstufen mehr gab und man sich zugleich auf „sinnvolle Genehmigungsstufen“ beschränkte. Die Folge war eine spürbare Beschleunigung der Verfahren.
Wesentliches Fazit laut Budde: Bei Änderungen im Prozess muss immer der Gesamtprozess mitbetrachtet werden – und: Strategische und nachhaltige Beschaffung ergänzen sich.
E-Vergabe-Tag 2024: Das Thema steht
Das Thema für den 17. E-Vergabe-Tag sei quasi bereits gesetzt, wie Ralf Sand am Ende seines Vortrags aufzeigte: Schließlich sei in den nächsten Monaten mit einem Entwurf des Vergabetransformationspakets zu rechnen, den der Bund derzeit vorbereitet. Der Diskussions- und Informationsbedarf hinsichtlich der Weiterentwicklung der E-Vergabe wird also bis auf Weiteres nicht versiegen.
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