Rechtswirksame Kommunikation im Vergabeverfahren

Wie wird geschäftsähnlicher Verkehr im Kontext von Vergabeverfahren rechtssicher gestaltet? Die Vergabekammer Südbayern hat in einem jüngeren Beschluss Antworten geliefert, die auch zur Prüfung der Nutzungsbedingungen von E-Vergabe-Plattformen Anlass geben, so Norbert Dippel.

I. Der Sachverhalt

Der öffentliche Auftraggeber schrieb einen Auftrag EU-weit aus. In der Bekanntmachung wurde darum gebeten, dass sich interessierte Bewerber auf der Vergabeplattform https://my.vergabe.rib.de registrieren lassen, um vom Auftraggeber informiert zu werden.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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In den Vergabeunterlagen fand sich folgender Hinweis:

„[…] Die Bieter werden – sofern erforderlich – mit gesondertem Schreiben zu einer Verhandlungsrunde die voraussichtlich Mitte Oktober 2022 stattfinden soll, eingeladen. […] Sofern eine Verhandlungsrunde stattfindet, haben die Bieter im Anschluss an diese die Möglichkeit, ihre Angebote anhand der Verhandlungsergebnisse zu überarbeiten und anzupassen. Dazu werden Sie mit gesondertem Schreiben (Aufforderung zum finalen Angebot) aufgefordert. […]“

Den Bietern wurde ein Handbuch zu dem erforderlichen Bieterclient zur Verfügung gestellt. Darin fand sich folgender Hinweis:

„Gibt es zu Ihrer Ausschreibung Änderungen durch die Vergabestelle, erhalten Sie hierüber eine E-Mail.“

Im weiteren Verfahrensverlauf forderte der öffentliche Auftraggeber die Bieter mit einer durch die Vergabeplattform generierten und versendeten E-Mail vom 24.10.2022 zur Abgabe eines finalen Angebotes mit Frist bis zum 04.11.2022 auf. Der Versand der E-Mail an die Antragstellerin wurde in einer Log-Datei der Vergabeplattform verzeichnet; der Zugang dieser E-Mail bei der Antragstellerin ist jedoch nicht nachweisbar.

Zeitgleich zum Versand der E-Mails über die Vergabeplattform wurde in das Bieterportal der jeweiligen Bieter eine Nachricht mit dem Inhalt „Sie wurden von der Vergabestelle eingeladen!“ eingestellt, gefolgt von einem Link mit der Bezeichnung „Vergabe aufrufen“, der einen Zugang zu dem elektronisch geführten Vergabeverfahren eröffnete.

Drei Tage nach Angebotsfrist wandte sich die Antragstellerin per E-Mail an den öffentlichen Auftraggeber. Sie teilte mit, keine Benachrichtigung über die Aufforderung zur finalen Angebotsabgabe erhalten zu haben und bat um entsprechende Korrektur. Letztlich schloss die Vergabestelle die Antragstellerin gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV aus, da kein finales Angebot eingereicht worden sei.

Hiergegen wehrte sich die Antragstellerin nach erfolgloser Rüge mit einem Nachprüfungsantrag.

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II. Der Beschluss

Die Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 23.05.2023 – 3194.Z3-3_01-22-63) hält den zulässigen Nachprüfungsantrag für begründet.

Das Vergabeverfahren leide an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel, da die Antragstellerin entgegen § 17 Abs. 14 VgV nicht zur Abgabe eines finalen Angebots aufgefordert wurde. Dies mache eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote notwendig.

1. Kein Ausschlussgrund

Aus Sicht der Vergabekammer ist der vom Auftraggeber bemühte Ausschlussgrund des § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV (verfristeter Angebotseingang) bereits deswegen nicht einschlägig, da dieser ausweislich seines Wortlauts das Vorliegen eines Angebotes voraussetzt. Die Antragstellerin habe jedoch unstreitig kein finales Angebot eingereicht. Das verbindliche Erstangebot dürfe nicht zum Gegenstand der finalen Angebotswertung herangezogen werden, denn die Entscheidung über den Zuschlag sei auf Grundlage der endgültigen Angebote zu treffen, wenn Verhandlungen stattgefunden haben (§ 17 Abs. 14 Satz 2 VgV).

Zwar stünde es einem Bieter grundsätzlich frei, sein erstes Angebot unverändert aufrechtzuerhalten. Eine dahingehende Willenserklärung der Antragstellerin habe aber zum Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung nicht vorgelegen.

2. Verstoß gegen Gleichheitsgebot

Das Vergabeverfahren leide an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel, da die Antragstellerin nicht rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist von der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote unterrichtet wurde und hierdurch das in § 97 Abs. 2 GWB verankerte Gleichbehandlungsgebot verletzt wurde.

a. Kein Zugang der Mail nachweisbar

Als vergaberechtlichen Ausgangspunkt wählt die Vergabekammer § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV. Demnach hat der Auftraggeber die verbleibenden Bieter zu unterrichten und eine einheitliche Frist für die Einreichung neuer oder überarbeiteter Angebote festzulegen, wenn er beabsichtigt, die Verhandlungen im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens abzuschließen.

Die Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote bedürfe grundsätzlich des Zugangs beim Bieter. Sie sei als geschäftsähnliche Handlung zu qualifizieren, da sie auf den Abschluss der Verhandlungen gerichtet sei. Als gesetzliche Folge zöge sie das Verhandlungsverbot über die finalen Angebote nach sich. Vergleichbar mit der Rechtslage bei der Informationspflicht gemäß § 134 Abs. 1 GWB könne die Unterrichtung nach § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV ihre Funktion nur dann erfüllen, wenn sie in den Machtbereich des jeweiligen Bieters gelangt, so dass dieser die Möglichkeit hat, von ihr Kenntnis zu nehmen. Die Beweislast für den Zugang auf den vom Empfänger genutzten Mailserver trage derjenige, der sich hierauf beruft. Der Nachweis einer ordnungsgemäßen Absendung der Erklärung genüge nicht.

Vorliegend könne der Auftraggeber zwar über Logdaten den Versand der Mail, nicht aber den Zugang der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote bei der Antragstellerin mittels der von der Vergabeplattform generierten und versendeten E-Mail belegen.

b. Kein Zugang durch systemseitig generierte Nachricht

Ein Zugang der Aufforderung zur Abgabe finaler Angebote bei der Antragstellerin mittels der in deren Bieterbereich auf der Vergabeplattform eingestellten Nachricht sei ebenfalls nicht erfolgt.

Es sei bereits fraglich, ob die Nachricht, die der Antragsgegner der Antragstellerin in das ihr zur Verfügung stehende Bieterportal eingestellt hat, als eine den Anforderungen des § 17 Abs. 14 Satz 1 VgV genügende Aufforderung zur Angebotsabgabe betrachtet werden kann. Denn der Inhalt der Mitteilung beschränke sich auf den Text „Sie wurden von der Vergabestelle eingeladen“.

Zwar könne dies bei einer Würdigung der Gesamtumstände möglicherweise als Angebotsaufforderung interpretiert werden. Gleichwohl bleibe zu berücksichtigen, dass die Nachricht selbst keinen Hinweis auf eine neuerliche Angebotsfrist enthielt, sondern diese erst nach einem Klick auf den Link mit der Bezeichnung „Vergabe aufrufen“ ersichtlich wurde. Die Frage bedürfe indes keiner Entscheidung, da das Einstellen dieser Nachricht in das Bieterportal keinen Zugang bei der Antragstellerin bewirkte.

c. Exkurs: Zugang durch hochgeladene Nachrichten

Die Vergabekammer Südbayern hat in einer Entscheidung aus dem März 2019 für Aufregung in der e-Vergabe-Community gesorgt, da sie das Hochladen einer Vorabinformation gem. § 134 GWB als nicht vergaberechtskonforme Information des Bieters angesehen hat. Soweit ersichtlich, sind dieser Auffassung weder eine weitere Vergabekammer noch ein Vergabesenat gefolgt.

Auch die VK Südbayern erkennt eine Tendenz der jüngeren vergaberechtlichen Rechtsprechung, einen Zugang zu bejahen,

„da der einem registrierten Bieter zur Verfügung stehende passwortgeschützte Bereich auf einer Vergabeplattform zum Machtbereich des Bieters gehöre und ein Bieter, der sich ein Konto auf einer Vergabeplattform durch Registrierung anlegt, damit auch bestimme, dass dieses Postfach für den Empfang von Erklärungen an ihn genutzt werden kann“ 1

Für den vergleichbaren Fall des Versands einer E-Mail habe der BGH entschieden, dass ein Mailserver als zum Machtbereich des Empfängers gehörig anzusehen ist, über den ihm also auch Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Voraussetzung sei, dass der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringt, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen. (BGH, Urteil vom 06.10.2022 – VII ZR 895/21).

Im vorliegenden Fall sei die Sachlage jedoch eine andere. Weder finde sich in den Bewerbungsbedingungen des Antragsgegners noch in den Nutzungsbedingungen, welchen der Bieter im Rahmen der Registrierung auf der im streitgegenständlichen Vergabeverfahren verwendeten Vergabeplattform zustimmen muss, ein Hinweis oder eine Regelung dahingehend, dass der Bieter mit der Registrierung auf der Vergabeplattform Zugriff auf ein individuelles Postfach erhält und dieses für die Zustellung von rechtserheblichen Erklärungen im Vergabeverfahren genutzt wird.

Im Gegenteil: Sowohl die Erläuterungen in den zusätzlichen Angaben in Abschnitt VI.3) der Auftragsbekanntmachung als auch im Benutzerhandbuch der Vergabeplattform weisen darauf hin, dass verfahrenserhebliche Erklärungen an die bei der Registrierung angegebene E-Mail-Adresse versendet werden. Der Antragsgegner habe damit berechtigterweise nicht darauf vertrauen können, dass die Antragstellerin von Nachrichten in ihrem Bieterpostfach Kenntnis erlangt.

Auch wenn eine tatsächliche Kenntniserlangung durch den Empfänger nicht Voraussetzung für den Zugang einer Erklärung ist, muss die Erklärung doch so in den Machtbereich des Empfängers gelangen, dass sie „üblicherweise – nicht zufällig – alsbald wahrgenommen werden kann“ (BGH, Urteil vom 21.01.2004 – XII ZR 214/00).

Insbesondere vor dem Hintergrund des in § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB verankerten Transparenzgrundsatzes sei daher für den Zugang von Erklärungen im Bieterbereich einer Vergabeplattform zu fordern, dass den Bietern unmissverständlich mitgeteilt wird, ob dieser für die Zustellung rechtserheblicher Erklärungen genutzt wird.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Das Vergaberecht gibt einen relativ strengen Rahmen für die Abwicklung der Kommunikation zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bewerber beziehungsweise Bieter vor. Manch ein Nutzer mag den Kopf schütteln, wenn er aus dem privaten Bereich oder dem geschäftlichen Verkehr bekannte Kommunikationswege nicht nutzen kann. Dies liegt nicht unbedingt an einem vermeintlichen Defizit der E-Vergabe-Plattform, sondern oftmals an der vergaberechtlichen Formstrenge.

Genau an dieser Stelle unterscheiden sich die Lösungen allerdings oftmals erst auf den zweiten Blick. Beispielsweise konnte in dem vorliegenden Fall zwar nachgewiesen werden, dass die auf der Plattform hinterlegte Information von dem Bieter zur Kenntnis genommen wurde, denn sie war als gelesen „markiert“. Es mangelte allerdings an einer Protokollierung, wann auf diese Information zugegriffen wurde. Mithin konnte der Zugang zeitlich nicht belegt werden.

Der Beschluss gibt den Vergabestellen Anlass zu prüfen, ob die Nutzungsbedingungen der E-Vergabe-Plattformen hinreichend klar formuliert sind: Bewerbern und Bietern muss klar sein, dass die entsprechenden Projekträume als ihre Postfächer vom Auftraggeber zur rechtswirksamen Kommunikation genutzt werden.

Bieter und Bewerber sind gut beraten, diese Postfächer regelmäßig auf den Eingang neuer Nachrichten zu prüfen. Etwaige E-Mail-Benachrichtigungen, laut denen neue Nachrichten eingegangen sind, sind letztlich ein gut gemeinter Service. Verlassen sollte man sich darauf allerdings nicht.

Wer sich noch einmal mit dem Streit befassen möchte, ob das Hochladen einer Nachricht im Projektraum als Zugang gewertet werden kann, dem sei folgender Beitrag empfohlen:

Titelbild: Gerd Altmann – Pixabay

Fussnoten

  1. vgl. VK Sachsen, Beschluss vom 28.07.2021 – 1/SVK/043-20; VK Westfalen, Beschluss vom 31.03.2021 – VK 1-9/21