Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat die Reform des Landesvergabegesetzes angestoßen. Das „Vorschaltgesetz“ soll nicht weniger als die Handlungsfähigkeit der städtischen Vergabestellen sicherstellen.

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Denn deren Belastung habe zugenommen, wie die Finanzbehörde in einer Pressemitteilung erklärt. So sei die Anzahl der Vergabeverfahren mit einem Auftragswert ab 100.000 Euro in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und habe sich von 2014 bis 2020 fast verdoppelt. Auch die Anforderungen seien gestiegen, so dass es zur „Aufrechterhaltung der Beschaffungsfähigkeit der Hansestadt unmittelbarer und spürbarer Entlastungen bedarf“.

Dazu soll das Vierte Gesetz zur Änderung des Hamburgischen Vergabegesetzes beitragen, das der Hamburger Senat Mitte Juni beschlossen hat. Das Landesparlament (Hamburgische Bürgerschaft) soll sich noch vor der Sommerpause mit dem Gesetzentwurf befassen.

Vorschlag zur Tariftreue folgt

Der Gesetzesentwurf enthält noch keinen Vorschlag zur Tariftreue. Um eine möglichst bundeseinheitliche Lösung zu finden, habe der Senat beschlossen, dieses Thema vom übrigen Gesetzesvorhaben zu trennen und nachgeschaltet zu erlassen. Daher wird der aktuelle Gesetzentwurf von der Finanzbehörde als „Vorschaltgesetz“ bezeichnet.

UVgO zu weitgehend? Zusätzlicher Schwellenwert

Die durchgehende Anwendung der Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO) im gesamten Unterschwellenbereich habe sich in der Praxis als zu weitgehend erwiesen und solle daher modifiziert werden. Dafür sieht der Gesetzentwurf die Änderung des § 2 a Anwendung vergaberechtlicher Bestimmungen auf Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte vor, so dass unter einer neuen Wertgrenze von 100.000 Euro (ohne Umsatzsteuer) die UVgO nicht länger zur Anwendung kommt:

(1) Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge unterhalb der Schwellenwerte gemäß § 106 GWB ist

  1. für Liefer- und Dienstleistungen ab einem Wert von 100.000 Euro die Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO) in der Fassung vom 2. Februar 2017 (BAnz. AT 07.02.2017 B1, 08.02.2017 B1) in der jeweils geltenden Fassung und
  2. für Bauleistungen Abschnitt 1 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) vom 7. Januar 2016 (BAnz AT 19.01.2016 B3, 01.04.2016 B1), der jeweils geltenden Fassung mit der Maßgabe, dass die freihändige Vergabe nach § 3a Absatz 3 Satz 2 VOB/A bis zu einem Auftragswert von 150.000 Euro zulässig ist,

anzuwenden. Abweichend von Satz 1 wenden Auftraggeber im Sinne von § 99 Nummern 1 bis 4 GWB bei der Vergabe von Aufträgen (ohne Bau- und Dienstleistungskonzessionen), die im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs (Sektorentätigkeiten) vergeben werden, auch unterhalb der Schwellenwerte gemäß § 106 GWB die Regelungen der Sektorenverordnung vom 12. April 2016 (BGBl. I S. 624, 657) in der jeweils geltenden Fassung entsprechend an

  1. für Liefer- und Dienstleistungen ab einem Wert von 200.000 Euro (ohne Umsatzsteuer) und
  2. für Bauleistungen mit der Maßgabe, dass eine Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb bis zu einem Auftragswert von 300.000 Euro (ohne Umsatzsteuer) zulässig ist.

Unterhalb dieses neuen Schwellenwerts sollen die zur Anwendung kommenden Vorschriften künftig über die Hamburgische Vergaberichtlinie (HmbVgRL) bestimmt werden. Im Baubereich bliebe es bei der vollumfänglichen Verpflichtung zur Anwendung der VOB im Unterschwellenbereich. Wie Vergabeverfahren unterhalb der neuen Schwelle ausgestaltet werden, soll die für das Vergaberecht im Liefer- und Dienstleistungsbereich zuständige Behörde im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift festlegen.

Krisenmechanismus: Aussetzung des Vergaberechts

Hamburg zieht – nach eigenen Angaben „als erstes Land“ – Konsequenzen aus den Krisenszenarien der vergangenen Jahre und ermöglicht die Aussetzung des Vergaberechts per Rechtsverordnung. Das soll ein neuer Satz 4 in § 1 Sachlicher Anwendungsbereich möglich machen:

(4) Der Senat wird ermächtigt, die Anwendung dieses Gesetzes in einer besonderen Krisensituation, die kurzfristige Beschaffungen zwingend erforderlich macht, durch eine Rechtsverordnung für die Vergabeverfahren ganz oder teilweise auszusetzen, die zur Bewältigung der Krisensituation erforderlich sind, wobei eine Befristung von jeweils höchstens einem Jahr festgesetzt werden soll. In der Rechtsverordnung ist im Einzelnen zu bestimmen:

  1. die Art der betroffenen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen,
  2. die außer Kraft gesetzten Vorschriften,
  3. die von der Aussetzung betroffenen öffentlichen Auftraggeber,
  4. der Zeitpunkt, an dem die Rechtsverordnung außer Kraft tritt.

Bevorzugte Bieter

Der § 3 a zur sozialverträglichen Beschaffung sieht überdies einen neuen Absatz 5 vor, laut dem öffentliche Aufträge, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, anerkannten Blindenwerkstätten oder Inklusionsbetrieben (bevorzugte Bieter) ausgeführt werden können, diesen bevorzugt angeboten werden. Zudem soll bevorzugten Bietern beim Zuschlag und den Zuschlagskriterien ein Vorteil gewährt werden können. Die Norm gilt laut Begründungstext ausdrücklich nur für den Unterschwellenbereich, weil mit § 224 SGX IX eine konkurrierende Norm durch den Bundesgesetzgeber erlassen wurde.

Quellen und Links

Titelbild: Patrick Rosenkranz – Unsplash