Erfreulicherweise scheint sich mehr und mehr die Erkenntnis durchzusetzen, dass sachangemessene Wertungskriterien ein wichtiger Hebel sind, um das wirtschaftlichste und nicht nur das billigste Angebot zu ermitteln.

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In der Praxis wird oftmals versucht, die Qualität des eingesetzten Personals als Wertungskriterium zu verwenden. Formale Qualifikation und projektbezogene Erfahrung des konkret angebotenen Personals sollen dann im Rahmen der Wertung die Waagschale zu Ungunsten des „Billigheimers“ senken.

Die Vergabekammer Südbayern hat in einem jüngeren Beschluss (vom 30.03.2023, 3194 . Z 3 – 3 _ 01 – 22 – 49) einen wichtigen Aspekt hervorgehoben, der dabei zu beachten ist.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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I. Der Sachverhalt

Die Vergabestelle schrieb einen Reinigungsauftrag EU-weit aus. Bei der Bewertung der Angebote sollte unter anderem die Qualifikation des eingesetzten Personals berücksichtigt werden.

Laut Vergabeunterlagen wurden in den sogenannten „Kalkulationsunterlagen“ unter anderem Name und Qualifikation für die jeweiligen und für das ausgeschriebene Objekt zuständigen technischen Betriebsleiter, Objektleiter und Vorarbeiter abgefragt. Hinsichtlich Objektleiter und Vorarbeiter fand sich zudem die Vorgabe, dass die genannte Qualifikation bei einem Personalwechsel ebenfalls vorhanden sein und nachgewiesen werden müsse. In Bezug auf den Betriebsleiter fehlte diese Vorgabe.

Neben dem Preis sollte auch die Qualifikation dieser drei anzubietenden Funktionsträger in die Wertung eingehen.

Sowohl die spätere Antragstellerin als auch der spätere Beigeladene reichten ein Angebot ein. Nachdem die spätere Antragstellerin mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB darüber informiert wurde, dass der spätere Beigeladene den Zuschlag erhalten solle, rügte sie unter anderem die Bewertung ihres Angebotes. Da es den Anforderungen an die Qualifikation entsprochen habe, hätte es demnach zu allen Wertungskriterien im Wertungsbereich Qualifikation besser bewertet werden müssen. Nachdem die Vergabestelle der Rüge nicht abgeholfen hat, stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag.

II. Der Beschluss

Die Vergabekammer hält den in Bezug auf das angegriffene Zuschlagskriterium „Qualifikation“ zulässigen Nachprüfungsantrag auch für begründet. Insbesondere würde dieses Kriterium den nötigen Auftragsbezug vermissen lassen.

1. Allgemein zu den Wertungskriterien

Zunächst stellt die Vergabekammer die Grundsätze für die Zulässigkeit von Wertungskriterien allgemein dar: Gem. § 127 Abs. 3 GWB müssten die Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Diese Verbindung sei auch dann anzunehmen, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht.

Nach Art. 67 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU stünden Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand des öffentlichen Auftrags in Verbindung, wenn sie sich in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus-Stadium auf die gemäß dem Auftrag zu erbringenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen beziehen. Maßgebend für die Beurteilung des Auftragsbezugs sei der Inhalt des Angebotes beziehungsweise der Auftragsgegenstand, also die Leistung, zu der sich der Bieter verpflichtet.

Für Zuschlagskriterien i.S.v. § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV sei der grundsätzlich nötige Auftragsbezug enger gefasst. Nach dieser Vorschrift könnten neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Zuschlagskriterien berücksichtigt werden, insbesondere die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann.

In Erwägungsgrund Nr. 94 der Richtlinie 2014/24/EU werde hierzu ausgeführt, dass dies beispielsweise bei Aufträgen für geistig-schöpferische Dienstleistungen wie Beratungstätigkeiten oder Architektenleistungen der Fall sein könne. Öffentliche Auftraggeber, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sollten mit Hilfe geeigneter vertraglicher Mittel sicherstellen, dass die zur Auftragsausführung eingesetzten Mitarbeiter die angegebenen Qualitätsnormen effektiv erfüllen. Hierzu zähle auch, dass diese Mitarbeiter nur mit Zustimmung des öffentlichen Auftraggebers ersetzt werden könnten, wenn dieser sich davon überzeugt habe, dass das Ersatzpersonal ein gleichwertiges Qualitätsniveau hat.

2. Auf den Fall bezogen

Die Vergabekammer stellt entscheidend darauf ab, ob die jeweilige zu bewertende Qualifikation bei einem Personalwechsel erhalten bleibt. Nach den Regelungen der Vergabeunterlagen sei dies lediglich für den „Objektleiter“ und den „Vorarbeiter“ der Fall. In Bezug auf den „Betriebsleiter“ fehle es jedoch an einer entsprechenden Vorgabe. Damit wäre es Bietern prinzipiell möglich, den technischen Betriebsleiter, dessen Qualität im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung der Angebote bewertet wurde, nachträglich durch eine weniger qualifizierte Person zu ersetzen.

Es sei aber mit dem Ziel der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots nicht zu vereinbaren, wenn im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung qualitative Aspekte bewertet würden, die im Rahmen der späteren Auftragsausführung keine Rolle mehr spielen (vgl. BT-Drs. 18/6281, 112). Aus diesem Grund sei vorliegend der gem. § 127 Abs. 3 GWB nötige Auftragsbezug des Kriteriums „Qualifikation“ hinsichtlich der Person des Betriebsleiters zu verneinen.

Dadurch sei die Antragstellerin auch in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB verletzt, da den Anforderungen an die Bestimmung der Zuschlagskriterien bieterschützender Charakter zukomme. Halte der Antragsgegner an seiner Beschaffungsabsicht fest, müsse er den Fehler durch geeignete Maßnahmen beheben. Dies mache eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Angebotsaufforderung erforderlich, um die Vergabeunterlagen entsprechend ändern zu können.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Gemäß der oben zitierten EU-Richtlinie kann die Qualität des eingesetzten Personals insbesondere bei geistig-schöpferischen Dienstleistungen wie Beratungstätigkeiten oder Architektenleistungen als Wertungskriterium herangezogen werden. In der Vorgängerversion der VgV war noch eine Einschränkung enthalten, wonach diese Zuschlagskriterien lediglich auf nachrangige Dienstleistungen Anwendung fanden. Aus der Streichung dieser Beschränkung ist zu schließen, dass das Zuschlagskriterium in Bezug auf die spezifische Art der Dienstleistungen keinen Einschränkungen mehr unterliegt, sodass es ausschließlich auf die Beurteilung des Auftraggebers im Einzelfall ankommt (siehe hierzu auch: Lausen in Beck´scher Vergaberechtskommentar, § 58 VgV Rz. 80). Ob die Qualität des eingesetzten Personals tatsächlich so erheblichen Einfluss auf die Auftragsdurchführung hat, obliegt damit der Einschätzung des öffentlichen Auftraggebers.

Dennoch gilt: Die für diesen Beschluss zentrale Bestimmung des § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV stellt eine Durchbrechung des Grundsatzes der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien dar. Nach wie vor sind die bieterbezogene Eignungsprüfung und die leistungsbezogene Angebotsbewertung strikt zu trennen. Nur ausnahmsweise dann, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsdurchführung haben kann, kann dies auch als Wertungskriterium herangezogen werden. Die Entscheidung, derartige Wertungskriterien aufzustellen, ist deshalb unter Angabe der Begründung zu dokumentieren.

Werden Daten „personenscharf“ im Rahmen des Vergabeverfahrens abgefragt, ist auch die datenschutzrechtliche Dimension zu beachten. Denn letztlich enthalten die Angebote der Bieter dann höchst sensible personenbezogene Daten zum Qualifikationsstand und bisherigen beruflichen Werdegang (Projekterfahrung) der für die Auftragsdurchführung vorgesehenen Mitarbeiter. Um das Risiko hier zu minimieren, bietet es sich an, die jeweiligen Profile anonymisiert anbieten zu lassen. Nur hinsichtlich des Zuschlagskandidaten werden diese anonymisierten Daten dann mit dem jeweiligen, individuell von der Vergabestelle abgeforderten Klarnamen seitens der Bieter versehen.

Bildquelle: BCFC – shutterstock.com