
In unserer Interviewreihe zum Vergabesymposium, das am 6. und 7. Juni 2023 in der Jahrhunderthalle in Bochum stattfindet, sprechen wir mit Prof. Dr. Michael Eßig, Universität der Bundeswehr und Mitglied des Beirats der cosinex GmbH. Er beleuchtet die strategische Bedeutung der Markterkundung für den öffentlichen Einkauf.

Herr Prof. Dr. Eßig, ist die Markterkundung ein unterschätztes oder gar vernachlässigtes Instrument?
Ja und nein. Einerseits wissen viele öffentliche Beschafferinnen und Beschaffer um die Bedeutung der Markterkundung, andererseits fehlen häufig die Ressourcen, um Markterkundung systematisch durchführen zu können.
Was steckt im Kern dahinter? Markterkundung soll einerseits dazu beitragen, „bessere“ Vergaben durchführen zu können und zum anderen, den Beschaffungsmarkt – und damit potentielle Lieferanten – auf die Vergabe vorzubereiten beziehungsweise über Vorhaben zu informieren.
Damit trifft die Markterkundung den Kern der Beschaffungsaufgabe: Einkauf „nutzt“ Märkte und braucht daher gute Lieferanten. Dabei geht es nicht darum, den Wettbewerb einzuschränken, indem man mit einzelnen Lieferanten spricht, sondern ganz im Gegenteil: Markterkundung dient dazu, möglichst marktkonforme Vergaben vorzubereiten, damit der Wettbewerb intensiviert wird, indem sich so viele Lieferanten wie möglich bewerben können. Markterkundung soll dazu beitragen, sich den marktüblichen Anforderungen anzupassen, wo immer das sinnvoll ist.
Gerade da liegt eine der Hauptherausforderungen: Marktüblich bedeutet in jeder Warengruppe etwas anderes, Markterkundung ist also sehr produktspezifisch. Das heißt, dass sich die Beschaffungsorganisation in den unterschiedlichsten Produktkategorien bewegen muss. Es geht nicht mehr um den Vergabeprozess, sondern um den Vergabeinhalt. Gerade bei technisch anspruchsvolleren Produkten und Dienstleistungen ist das häufig nur mit entsprechendem Fachwissen möglich. Und damit ist dann die bereits angesprochene Ressourcenfrage verbunden: Sind Fachabteilung oder strategischer Einkauf so gut ausgestattet, dass sie eine systematische Markterkundung durchführen können?
Geht es dabei ausschließlich um die Beschaffung innovativer oder nachhaltiger Waren und Dienstleistungen?
Ganz im Gegenteil: Markterkundung hilft praktisch bei allen Beschaffungssituationen! Sie kann sogar dazu führen, dass man feststellt, dass ein vermeintlich „innovatives“ Produkt schon längst am Markt verfügbar und damit „standardmäßig“ ausschreibbar ist.
Markterkundung kann damit zu einer Standardisierung der Leistungsbeschreibung führen – oder zum Gegenteil: Man stellt fest, dass die eigenen Nachhaltigkeitsstandards vielleicht schon im Markt so allgemeingültig sind, dass besonders nachhaltige Leistungen vielleicht mit einem Zuschlagskriterium bedacht werden müssen.

Vergabesymposium 2025
- 20. – 21. Mai 2025
- Jahrhunderthalle Bochum
- 32 Referenten · 2 Fachforen
- 14 Masterclasses für Austausch, Vernetzung, Diskussion und Best Practices
Der Kompetenzrahmen der EU für Fachkräfte des öffentlichen Beschaffungswesens umfasst auch Aspekte wie Lieferantenmanagement, Marktanalyse und Einbeziehung des Marktes. Nehmen Sie wahr, dass diese sich im realen Berufsbild wiederfinden?
Der Kompetenzrahmen ProcurCompEU der EU stellt systematisch und umfassend die verschiedenen, sehr anspruchsvollen Kompetenzen im öffentlichen Einkauf dar. Er kann damit fast als eine Art „Benchmark“ dienen, so wird er auch von der Europäischen Kommission selbst aufgefasst. Tatsächlich ist die Praxis der Vergabestellen ja sehr heterogen. Sie reicht von kleinsten Einheiten bis hin zu großen Beschaffungsorganisationen, Schätzungen zufolge gibt es ja 30.000 Vergabestellen in Deutschland.
Gerade kleinere Einheiten tun sich enorm schwer, die gesamte Bandbreite dieser Kompetenzen abbilden zu können. Wir sehen, dass der Weg zu einer „Profession öffentliche Beschaffung“ begonnen wurde, aber noch lange nicht am Ziel angekommen ist. Daher ist es wichtig, dass Politik nicht nur anspruchsvolle strategische Zielsetzungen für die Beschaffung vorgibt, sondern auch konkrete Maßnahmen zur Implementierung vorantreibt.
Was können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Ihres Fachvortrages mit in die Praxis nehmen?
Der Vortrag zeigt an einer konkreten empirischen Untersuchung bei Vergabestellen in Deutschland, wie der Stand der Markterkundung in der Praxis derzeit ist. Er geht auf die Frage ein, wie Markterkundung konkret durchgeführt wird, welche Probleme existieren, ob sie ihre Ziele erreicht und vieles mehr. Dazu wird die Markterkundung in den Kontext des strategischen öffentlichen Einkaufs eingebettet.
Verwandte Beiträge
Wo kann man die empirischen Untersuchung bei Vergabestellen in Deutschland zum Stand der Markterkundung in der Praxis von Herrn Prof. Dr. Eßig finden? Ich schreibe derzeit eine Masterarbeit zum Thema Markterkundung und würde mich sehr freuen, wenn sie mir weiterhelfen könnten.
Herzlichen Dank
Sehr geehrter Herr Rabe,
die Publikationen von Prof. Dr. Eßig sind hier zu finden.
Viele Grüße
Gibt es einen Artikel zur „systematischen Markterkundung“?