Die Anforderungen an Vergabestellen bei der praktischen Umsetzung der Vergabestatistik sorgen für Erstaunen.

Erneut hat eine Vergabekammer den Ausschluss eines Angebots wegen unvollständigem Angebotsschreiben für unbegründet erklärt.

Der Autor

Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.

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Der rechtliche Klärungsbedarf bezüglich des Umgangs mit dem Formblatt 213 Angebotsschreiben scheint fortzubestehen: In einer jüngeren Entscheidung hatte sich die Vergabekammer Sachsen damit zu befassen, dass eine Vergabestelle ein nicht vollständig ausgefülltes und unvollständiges Angebotsschreiben zum Anlass für einen vergaberechtswidrigen Ausschluss genommen hat (13.03.2023 – 1/SVK/034-22).

Ausführlich und rechtlich überzeugend stellt sie die vergaberechtlichen Problemfelder im Hinblick auf einen etwaigen Ausschluss dar, womit dieser Beschluss die bisherige kontroverse Diskussion durchaus beenden könnte.

I. Der Sachverhalt

Im Rahmen eines EU-weiten Vergabeverfahrens wurde das Angebot der späteren Antragstellerin von der Wertung gemäß § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m, § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU ausgeschlossen. Zur Begründung verwies die Vergabestelle darauf, dass die Seite 3 des Formulars „Angebotsschreiben“ (Formblatt 213 Angebotsschreiben) gefehlt habe. Außerdem seien aus den Seiten 1 und 2 des Schreibens die Firmenanschrift beziehungsweise der Bietername nicht zweifelsfrei hervorgegangen.

Da es sich bei dem einzureichenden Angebotsschreiben nach Ansicht der Vergabestelle um einen zentralen Angebotsbestandteil und weder um eine unternehmensbezogene noch eine leistungsbezogene Unterlage handele, sei dessen Nachforderung gemäß § 16 a Abs. 1 VOB/A EU ausgeschlossen.

Hiergegen wandte sich die Antragstellerin nach erfolgloser Rüge mit einem Nachprüfungsantrag.

Zum besseren Verständnis des Sachverhaltes weisen wir darauf hin, dass auf Seite 3 des Angebotsschreibens keine Felder für eigene Erklärungen oder Ankreuzen vorgesehen sind. Allerdings weist sie unter anderem das folgende Unterschriftsfeld auf:

II. Der Beschluss

Die Vergabekammer hält den gegen den Ausschluss gerichteten Nachprüfungsantrag für zulässig und begründet. Ein Ausschlussgrund wegen Verstoß gegen Formvorschriften (§ 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU) läge nicht vor.

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1. Kein Ausschluss wegen fehlender Seite 3

§ 16 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A EU enthalte zwingende Ausschlussgründe für Angebote, die den Bestimmungen des § 13 EU Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 VOB/A nicht entsprechen. Zu beachten sei insoweit zunächst, dass gemäß § 13 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A der öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren festlegen könne, in welcher Form die Angebote einzureichen seien.

Die Formulierung des „in welcher Form die Angebote einzureichen sind“ sei so zu verstehen, dass dem öffentlichen Auftraggeber ein Wahlrecht zwischen schriftlicher und elektronischer Angebotseinholung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 S. 1) eröffnet werde. Je nach Wahl müssten schriftliche Angebote unterzeichnet sein und elektronisch übermittelte Angebote müssten nach Wahl des Auftraggebers gegebenenfalls mit einer fortgeschrittenen oder qualifizierten elektronischen Signatur oder einem entsprechenden Siegel versehen werden.

Vorliegend habe die Auftraggeberin festgelegt, dass die Angebotsabgabe elektronisch und in Textform zu erfolgen habe. Dies bedeute im Umkehrschluss, dass auf die Schriftform mit Unterschriftserfordernis ebenso verzichtet wurde, wie auf Signaturen oder Siegel.

Vor diesem Hintergrund habe der Auftraggeber lediglich ein Ermessen darüber, welches Sicherheitsniveau er festlegt (§ 11a EU Abs. 4 VOB/A). Daraus ergebe sich sodann, dass das Fehlen einer Unterschrift, oder das Fehlen der Seite 3 des Formblattes 213 jedenfalls nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 16 Nr. 2 VOB/A EU i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A EU falle.

2. Kein Ausschluss wegen mangelnder Erkennbarkeit des Bieters

Vorliegend sei anhand des objektiven Empfängerhorizonts zu bewerten, ob der Bieter des eingegangenen Angebotes bei Zugrundelegung der üblichen Sorgfalt aus Sicht eines mit den Umständen des Einzelfalls vertrauten Dritten erkennbar war. Dies ist nach Ansicht der Vergabekammer zu bejahen, weil dem Formblatt an anderer Stelle als dem Adressfeld folgende Angaben zu entnehmen gewesen seien:

„Malermeister X; Telefon- und Faxnummer, Umsatzsteuer- und Handelsregisternummer; Ort (X); EMail-Adresse …@…, sowie Präqualifikationsnummer.“

Entscheidend sei, dass bei der vorgegebenen elektronischen Angebotsübermittlung in Textform der Bieter anhand des Angebotsformulars 211 zu erkennen gewesen ist. Demgegenüber sei nicht gefordert worden, dass der Bieter (ausschließlich) anhand des Textfelds „Name und Anschrift des Bieters“ erkennbar gewesen sein musste, weshalb ein Ausschluss aus diesem Grund unzulässig wäre.

3. Kein Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin wegen Fehlens einer rechtsverbindlichen Willenserklärung

Unabhängig von der tatsächlichen Erkennbarkeit des Bieters prüft die Vergabekammer, ob es durch das Fehlen der dritten Seite des Formblattes 213 an einem rechtsverbindlichen Angebot gefehlt habe.

Die Auftraggeberin hatte für die Abgabe des Angebotes (empfangsbedürftige Willenserklärung) das Formblatt 213 (Angebotsschreiben) vorgegeben. Ein solches Angebotsschreiben diene dazu, eine bindende Erklärung des Bieters über die Angebotsbestandteile und damit zum Umfang des Vertrags zu erhalten. Es stelle damit die Grundlage des Angebots dar.

Mithin war durch die Vergabekammer zu bewerten, ob es vorliegend durch das Nichtübersenden der dritten Seite des Formblattes 213 an einer solchen rechtsverbindlichen Willenserklärung zur Abgabe eines Angebotes gefehlt hatte.

Dafür sei zunächst auf § 11 EU Abs. 4 VOB/A 2019 zu verweisen, der vorsehe, dass Unternehmen ihre Angebote, Teilnahmeanträge, Interessensbekundungen und Interessensbestätigungen in Textform mithilfe elektronischer Mittel übermitteln. Textform ist in § 126 b BGB definiert:

„Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt ist, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben werden.“

Die Textform verlangt in einer lesbaren Erklärung die „Nennung der Person des Erklärenden“, also die Angabe der Identität desjenigen, dem die Erklärung zugerechnet werden soll. Diese Angabe solle sicherstellen, dass der Empfänger aufgrund des Inhalts des Schriftstücks die Person zuordnen kann, welche die Erklärung in eigener Verantwortung abgibt. Lege man all diese Prämissen zugrunde, führe dies vorliegend zunächst dazu, dass das Fehlen der dritten Seite des Formblattes als unschädlich einzuordnen wäre, denn die Namensnennung des Erklärenden war den Seiten 1 und 2 des Formblattes 213 zu entnehmen.

4. Exkurs: Widerlegung der Gegenansichten

Ausdrücklich verweist die Vergabekammer darauf, dass sich mittlerweile verschiedene Nachprüfungsinstanzen mit dem Problem der „fehlenden Unterschrift“ auseinandergesetzt haben und dabei zu anderen Ergebnissen gekommen sind.

So vertrete das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 19.02.2020 – 15 Verg 1/20 – unsere Beschlussbesprechung) die Auffassung, dass bei einem Angebot, das in Textform abzugeben ist, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden müssten.

Die Vergabekammer verweist in Bezug auf die vom OLG Karlsruhe ausgeführte Abschlussfunktion auf die geänderte Rechtslage genau in diesem Punkt. In der bis zum 13.06.2014 geltenden Fassung des § 126b BGB sei die Abschlussfunktion wie folgt festgelegt worden:

„Ist durch Gesetz Textform vorgeschrieben, so muss die Erklärung in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeignete Weise abgegeben, die Person des Erklärenden genannt und der Abschluss der Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden.“

Da die Abschlussfunktion in der Neufassung des § 126b BGB nicht mehr enthalten ist, überzeuge das Festhalten des OLG Karlsruhe an dem Erfordernis des Abschlusses der „Erklärung durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders“ nicht.

Zudem werde bei der E- Vergabe der rechtlich aufgegebenen Abschlussfunktion in der Regel dadurch entsprochen, dass die übersandten Unterlagen in ihrer Gesamtheit als Angebotsunterlagen beziehungsweise Teilnahmeunterlagen final auf der Angebotsplattform hochgeladen würden und dergestalt zu werten seien.

Die Rechtsverbindlichkeit werde nach Überzeugung der Vergabekammer bei der E-Vergabe hinreichend durch das Hochladen zum Ausdruck gebracht. Damit dürfte auch der früheren Funktion des Abschlusses der Erklärung zur Information und Dokumentation von Erklärungen ausreichend Genüge getan sein.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

5. Kein Ausschluss des Angebotes wegen Änderung an den Vergabeunterlagen aufgrund fehlender Formblattseite

Schließlich problematisierte die Vergabekammer, dass das Angebot der Antragstellerin durch die Nichtübersendung der letzten Seite des Formblattes 213 diverse Erklärungen zum Angebotsinhalt nicht beinhalte. Läge darin eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen, so könnte ein Ausschluss des Angebotes gerechtfertigt sein.

Auf Seite 3 des Formblattes waren unter anderem Erklärungen zur Akzeptanz der Langfassung des Leistungsverzeichnisses, der zugegangenen Änderungen der Vergabeunterlagen sowie der Benennung eines Sicherheits- und Gesundheitskoordinators abgefragt und dementsprechend mit dem Angebot abzugeben.

Die Vergabekammer glich diese Erklärungen mit den übrigen Vergabeunterlagen ab und stellte fest, dass nahezu alle Vorgaben ohnedies schon irgendwo in den Vergabeunterlagen enthalten waren. Ebenso sei die Auftraggeberin durch das überbordende Konvolut von Formblättern sowie die zusätzlichen und auch weiteren Vertragsbedingungen hinsichtlich der vertraglichen Inhalte des zustande kommenden Vertrages abgesichert.

Schließlich sei vertretbar, dass die Antragstellerin, indem sie auf der Seite 2 des streitbefangenen Formblattes 213 die Ziffer 5 akzeptierte, das Formblatt 213 bereits in Gänze akzeptiert und inkludiert habe. Denn in Ziffer 5 wird auf Unterlagen gem. Aufforderung zur Angebotsabgabe, Anlagen – Teil B verwiesen.

Eine Änderung der Vergabeunterlagen, die zum Ausschluss führen könne, läge somit nicht vor.

6. Nachforderbarkeit der fehlenden Seite des Formblatts

Abschließend stellt die Vergabekammer fest, dass die letzte Seite des Formblatts als fehlende (leistungsbezogene) Erklärung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A hätte nachgefordert werden müssen und nachgereicht werden können.

Ausdrücklich setzt sie sich damit auseinander, dass eine Nachforderung bei Kernbestandteilen des Angebots nicht möglich sei. Zu den Kernbestandteilen würden aber nicht solche Formulierungen zählen, die schon mehrfach über andere Formularblätter Bestandteil des Angebotes geworden seien und denen die Auftraggeberin unter anderen Umständen mutmaßlich keine Bedeutung zugemessen hätte.

Ebenso würde durch die Nachforderung kein Tor für etwaige Wettbewerbsverzerrungen oder Manipulationsmöglichkeiten eröffnet. Die Auftraggeberin wäre deshalb gehalten gewesen, dieses Formblatt nachzufordern.

III. Hinweise für die Praxis

Mehrfach haben wir im cosinex Blog bereits zu der Problematik mangelhaft ausgefüllter Angebotsschreiben (Formblatt 213) und der hierzu ergangenen Rechtsprechung berichtet. Jüngst hat etwa der ehemalige Richter am Oberlandesgericht Koblenz, Hermann Summa, den lesenswerten Artikel Das Formblatt „Angebotsschreiben“ – ein überflüssiges Übel? verfasst.

Die hier besprochene Entscheidung der Vergabekammer deckt sich umfassend mit der durch uns und insbesondere Herrn Summa vertretenen Rechtsansicht.

Vielleicht ist dieser Beschluss ein weiterer Anstoß, die E-Vergabe als Chance zu begreifen, die Fülle an Formularen zu überarbeiten und erheblich zu reduzieren. Mir jedenfalls hat das folgende Zitat aus dem Beschluss gut gefallen:

„Mit diesen eigenen Argumenten verbliebe es bei der Auffassung, dass das Fehlen der dritten Seite des Formblattes, auf dem ohnedies keine Eintragungen oder Angaben zu tätigen waren, jedenfalls mit Blick auf das Argument des fehlenden Abschlusses der Erklärung unschädlich war. Dabei verkennt die Vergabekammer nicht, dass durch diese Auffassung das Formblatt 213 in seiner Bedeutung für das Vergabeverfahren herabgestuft wird, was sie aber bspw. auch mit Blick auf Erlass des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat BWI 7 – 70426/4#1 vom 23.07.2019 im Ergebnis für richtig und vertretbar hält.“

Titelbild: fizkes – adobe.stock