BayObLG (11.01.2023, Verg 2 / 21): Wie ist damit umzugehen, wenn zwei Unternehmen, die als wirtschaftliche Einheit zu sehen sind, jeweils ein Angebot abgeben?
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Der Katalog der fakultativen Ausschlussgründe in § 124 GWB ist abschließend. Darin kommt der Ausschlussgrund „verbundenes Unternehmen“ nicht vor. In einem jüngeren Beschluss hat der Vergabesenat bei dem Bayerischen Obersten Landesgericht unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH einen belastbaren Weg aufgezeigt, um dennoch einen Ausschluss vergaberechtskonform zu begründen.
I. Der Sachverhalt
Der öffentliche Auftraggeber führte ein offenes Verfahren zur Vergabe von Busverkehrsdienstleistungen durch.
Unter anderen gaben die beiden späteren Antragsteller jeweils ein Angebot ab. Der Antragsteller zu 1) war ein Kaufmann, der unter seiner im Handelsregister eingetragenen Firma auftrat. Die Antragstellerin zu 2) war eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Antragsteller zu 1) war. Die Angebote der beiden späteren Antragsteller wurden von derselben Person abgegeben, nämlich dem Antragsteller zu 1) als eingetragenem Kaufmann.
Den beiden späteren Antragstellern ist daraufhin von der Vergabestelle jeweils mitgeteilt worden, ihre Angebote seien wegen Verstoßes gegen das Gebot des Geheimwettbewerbs und wegen Wettbewerbsverfälschung ausgeschlossen worden. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass die beiden Angebote von der gleichen Person gefertigt worden seien.
Die beiden späteren Antragsteller rügten den Ausschluss ohne Erfolg und stellten daraufhin einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer hat entschieden, die Angebote der Antragsteller wieder in die Prüfung und Wertung aufzunehmen. Hiergegen wendete sich die Vergabestelle mit einer sofortigen Beschwerde beim Vergabesenat des BayobLG.
II. Der Beschluss
Der Vergabesenat widerspricht der Vergabekammer: Die abgestimmten Angebote der Antragsteller seien zwingend auszuschließen, sodass der Nachprüfungsantrag insoweit zurückzuweisen ist.
1. Kein Ausschlussgrund gem. § 124 GWB
Zunächst prüfte der Vergabesenat, ob ein Ausschlussgrund gem. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB vorliegt. Demnach kann der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen ausschließen, wenn er über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Der Vergabesenat verweist in richtlinienkonformer Auslegung darauf, dass dieser Ausschlussgrund zwingend eine Willensübereinstimmung zwischen mindestens zwei verschiedenen Wirtschaftsteilnehmern voraussetze.
Diesbezüglich sei vorliegend nicht entscheidend, dass es sich bei den Antragstellern juristisch um zwei unterschiedliche Rechtssubjekte handele. Vielmehr sei ausschlaggebend, dass auch für die Antragstellerin zu 2) die Willensbildung ausschließlich über den Antragsteller zu 1) möglich sei, der als Geschäftsführer deren Vertretungsorgan sei (§ 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) und als Alleingesellschafter die Gesellschafterversammlung bestimme (§§ 45 ff. GmbHG). Damit fehlt es an einer Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen in dem aufgezeigten Sinn.
Andere Ausschlussgründe nach § 124 GWB seien nicht ersichtlich.
2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als Ausschlussgrund
Der Vergabesenat stellt zunächst fest, dass der Katalog der Ausschlussgründe in § 124 GWB abschließend ist. Auch wenn kein derartiger Ausschlussgrund vorliege, bedeute dies nicht, dass die Angebote der Antragsteller, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung nicht berücksichtigt werden könnten, wenn sie nicht eigenständig und unabhängig abgegeben worden seien.
Bei miteinander verbundenen Bietern wäre der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, wenn man es zuließe, dass diese Bieter abgesprochene oder abgestimmte, also weder eigenständige noch unabhängige, und ihnen deshalb möglicherweise ungerechtfertigte Vorteile verschaffende Angebote einreichen könnten. Dabei reiche, dass diese Unternehmen möglicherweise einen ungerechtfertigten Vorteil haben könnten. Der Feststellung eines darüber hinausgehenden „spezifischen Unrechtselements“ bedürfe es nicht.
Dagegen könne seitens der Antragsteller auch nicht eingewendet werden, dass es auch bei der Nachunternehmerschaft und der Eignungsleihe zu einer zwischen zwei Unternehmen abgestimmten Angebotsabgabe komme. Denn in diesem Falle läge nur ein Angebot vor. Demgegenüber werde durch die Angebote der Antragsteller der falsche Eindruck vermittelt, es lägen zwei unabhängige Angebote vor.
Auch könne die vorliegende Konstellation nicht mit der grundsätzlich zulässigen Möglichkeit der Abgabe mehrerer Hauptangebote durch einen Bieter verglichen werden. Die Abgabe mehrerer Hauptangebote könne generell zulässig sein, wenn unterschiedliche technische Ausführungen von einem Bieter angeboten werden. Hieran mangele es allerdings bei einem Vergleich der Angebote der Antragstellerin zu 2) und des Antragstellers zu 1). Letztlich könne dies aber auch dahinstehen, weil Bieter ihre Angebote eigenständig und unabhängig voneinander abgeben müssten. Dies gelte auch für den Fall, dass mehrere Hauptangebote abgegeben werden sollen.
Von der Abgabe mehrerer Hauptangebote eines Bieters unterscheide sich die abgestimmte Abgabe von jeweils einem Angebot mehrerer Bieter, die eine wirtschaftliche Einheit bilden, dadurch, dass sie wie Konkurrenten aufträten, obwohl sie tatsächlich nicht miteinander konkurrieren würden.
3. Ausreichende Rechtsgrundlage
Der erklärte Wille des Gesetzgebers stehe einer Auslegung, wonach abgesprochene oder abgestimmte Angebote von zwei miteinander verbundenen Bietern nach § 97 Abs. 2 GWB (Gleichbehandlungsgrundsatz) nicht zu berücksichtigen seien, nicht entgegen.
Der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geprägte Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung verlange von den nationalen Gerichten mehr als bloße Auslegung im engeren Sinne; er fordere auch, das nationale Recht richtlinienkonform fortzubilden, wo dies nötig und möglich sei. Die Pflicht zur Verwirklichung des Richtlinienziels im Auslegungswege finde ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie dürfe nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem (über dessen Wortsinn hinaus) dienen.
§ 124 Abs. 1 GWB orientiere sich nach der Gesetzesbegründung eng an den Vorgaben der EU-Vergaberichtlinie. Der Vergabesenat verweist darauf, dass nach Ansicht des EuGH der abschließende Charakter der Ausschlussgründe einem Rückgriff auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht entgegenstehe. Anhaltspunkte dafür, dass mit §§ 123, 124 GWB auf nationaler Ebene engere Grenzen für den Ausschluss von Angeboten gesetzt werden sollten als nach den Richtlinien, lägen nicht vor. Daher gehe der Einwand fehl, der Gesetzgeber habe sich für eine abschließende Regelung der Ausschlussgründe in §§ 123, 124 GWB entschieden und es bedürfe deshalb einer – über § 97 Abs. 2 GWB hinausgehenden – ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage, um abgestimmte oder abgesprochene Angebote unter den vom Gerichtshof der Europäischen Union genannten Voraussetzungen ausschließen zu können.
Im Ergebnis sieht der Vergabesenat es als erwiesen an, dass die beiden Angebote nicht unabhängig voneinander erarbeitet wurden, und hält einen Ausschluss für rechtlich zulässig.
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III. Hinweise für die Praxis
Auch wenn die Kataloge der Ausschlussgründe in §§ 123 und 124 GWB abschließend sind, bedeutet dies nicht, dass Unternehmen nicht aus anderen Gründen ausgeschlossen werden können. Wie der vorstehende Beschluss zeigt, kann auch der Gleichbehandlungsgrundsatz gem. § 97 Abs. 2 GWB eine taugliche Grundlage für den Ausschluss sein.
Dabei hat der Vergabesenat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine richtlinienkonforme Auslegung auch die Verpflichtung beinhalte, das nationale Recht, wo nötig und möglich, richtlinienkonform fortzubilden. Dies unterstreicht die Wichtigkeit der Kenntnis der EU-Vergaberichtlinien auch auf der Ebene des Rechtsanwenders.
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Titelbild: iMattSmart – Unsplash