Die Eignungsprüfung endet, wenn einem Bieter die Eignung zugesprochen wird. Doch wie ist damit umzugehen, wenn bei neuerlicher Durchsicht der Vergabeakte vor dem Zuschlag oder in einem Nachprüfungsverfahren Zweifel an der Feststellung der Eignung aufkommen?
Der Autor
Norbert Dippel ist Syndikus der cosinex sowie Rechtsanwalt für Vergaberecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Der Autor und Mitherausgeber diverser vergaberechtlicher Kommentare und Publikationen war viele Jahre als Leiter Recht und Vergabe sowie Prokurist eines Bundesunternehmens tätig.
Ob die Eignungsprüfung bei gleichbleibender Informationslage wiederholt werden und dem Bieter gegebenenfalls sogar die Eignung abgesprochen werden kann, hängt maßgeblich von der gewählten Verfahrensart und den konkreten Beweggründen des öffentlichen Auftraggebers ab. Die Auswirkungen können in der Praxis erheblich sein. Denn letztlich kann es auf die Bezuschlagung eines Bieters hinauslaufen, der von der Vergabestelle nicht mehr für geeignet gehalten wird.
Nachfolgend stellen wir drei sich aus den jeweiligen Vergabe(ver)ordnungen und Verfahrensarten ergebende Unterschiede vor.
I. Offenes Verfahren gemäß VOB/A
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 07.01.2014, X ZB 15 / 13) bezieht sich auf ein offenes Verfahren nach VOB/A.
1. Der Sachverhalt
Als Eignungsnachweis war von dem Auftraggeber ein bestimmter Jahresumsatz gefordert worden, den der Bieter nicht nachweisen konnte. Dennoch hat der Auftraggeber den Bieter nicht ausgeschlossen, da er dies für eine unangemessene Härte hielt. Dies änderte sich allerdings, nachdem der betreffende Bieter einen Nachprüfungsantrag gestellt hat. Bei gleichem Sachverhalt wurde nunmehr im Ergebnis festgestellt:
„Unter Abwägung aller Fakten wird entschieden, die AST 1 wegen Unterschreitung der explizit geforderten Referenzobjekte nicht in die Wertung einzubeziehen.“
Die Vergabekammer und der Vergabesenat sahen dies als unzulässig an:
„Die nochmalige Eignungsprüfung und Beurteilung erfolgte nachweislich der Vergabeakte ohne Vorlage neuer Tatsachen, mittels derjenigen Unterlagen, die der Vergabestelle bereits zum Zeitpunkt der ersten Eignungsprüfung vorlagen.
Nach der geltenden Rechtsprechung ist ein Rückspringen nach bereits erfolgter Ermessenausübung im Rahmen der Prüfung und Wertung, insbesondere bei der Eignungsprüfung nur nach dem Auftreten neuer, bisher nicht bekannter Erkenntnisse möglich.“
2. Die Entscheidung des BGH
Der BGH sah die Sache anders: Aus der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen lasse sich nicht herleiten, dass der Auftraggeber im offenen Verfahren an seine erste Beurteilung der Eignung eines Bieters gebunden wäre. Die Regelung in § 16 EG Abs. 2 Nr. 2 VOB/A a.F. 2 gelte nur für die explizit genannten Verfahrensarten.
Der Grund für diese Regelung sei darin zu sehen, dass der Auftraggeber bei diesen Vergabearten die Eignung der Bewerber prüft, bevor er sie in den Wettbewerb einbeziehe (vgl. § 6 EG Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 VOB/A für das nicht offene Verfahren). Dadurch werde ein Vertrauenstatbestand für die Bieter begründet: Sie müssten nicht damit rechnen, dass der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand durch eine nachträgliche Eignungsprüfung bei gleichbleibender tatsächlicher Grundlage nutzlos werden kann.
Demgegenüber sei eine entsprechende Regelung für den Schutz des Vertrauens der Bieter auf den Bestand der Beurteilung ihrer Eignung durch die Vergabestelle im offenen Verfahren in der VOB/A nicht vorgesehen. Danach bestehe auch kein Bedürfnis, weil die Bieter den mit der Erstellung des Angebots verbundenen Aufwand zumindest im Wesentlichen bereits vor der Eignungsprüfung durch die Vergabestelle erbracht hätten.
Eine Bindung ergebe sich auch nicht aus den Bestimmungen über die Prüfung und Wertung der Angebote in § 16 EG VOB/A (§§ 20, 27 ff. SektVO). Diese erfolge zwar schrittweise (Prüfung auf Ausschlussgründe und die Eignung der Bieter, Aussonderung unangemessen hoher oder niedriger Angebote, Auswahl des günstigsten Angebots aus den in die engere Wahl gelangten Offerten). Damit solle aber vor allem einer Vermischung der Prüfungsgegenstände vorgebeugt werden.
Mit dieser – sachlogischen Ordnungsprinzipien folgenden – Aufgliederung werde der Wertungsprozess aber nicht in rechtlich unabhängige Abschnitte aufgeteilt, deren Durchlaufen dem betreffenden Bieter jeweils eine Rechtsposition verschaffe, die einer nachträglichen abweichenden Beurteilung eines vorangegangenen Abschnitts entgegenstünde.
Revidiere eine Vergabestelle ihre Beurteilung der Eignung eines Bieters zu dessen Nachteil, insbesondere nachdem dieser einen Nachprüfungsantrag gestellt hat, könne das lediglich Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen, ob diese Entscheidung eine im Interesse eines verantwortungsvollen Einsatzes öffentlicher Mittel gebotene Korrektur einer Fehleinschätzung darstelle, oder von sachfremden Erwägungen getragen sein könnte.
3. Kurz zusammengefasst
Im offenen Verfahren ist der Auftraggeber auch bei gleichbleibender Tatsachengrundlage nicht an die einmal getroffene Eignungsfeststellung gebunden. Er kann sie im laufenden Vergabeverfahren korrigieren, soweit dieser Schritt nicht aus sachfremden Erwägungen erfolgt.
II. Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb gemäß VgV
Der Entscheidung (Beschluss vom 29.03.2021, Verg 9 / 21) des Vergabesenats bei dem OLG Düsseldorf lag ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb gemäß VgV zu Grunde.
1. Der Sachverhalt
Die Vergabestelle schrieb den Auftrag im Bereich Software EU-weit aus. Als Eignungsnachweis waren Referenzen gefordert, wobei Einzelheiten (beispielsweise Leistungszeitraum, Auftragswert etc.) anzugeben waren.
Am Teilnahmewettbewerb beteiligten sich unter anderem die spätere Antragstellerin und die spätere Beigeladene, die mit ihren Teilnahmeanträgen jeweils mehrere Referenzen vorlegten und von der Vergabestelle nach Prüfung der Referenzen beide zum Verhandlungsverfahren zugelassen wurden.
Mit dem Vorabinformationsschreiben wurde der späteren Antragstellerin mitgeteilt, dass die spätere Beigeladene den Zuschlag erhalten sollte. Daraufhin rügte die spätere Antragstellerin, dass die spätere Beigeladene keine geeignete Referenz für einen bestimmten Teilbereich der Leistung habe vorlegen können.
Nachdem die Vergabestelle die Rüge zurückgewiesen hatte, reichte die Antragstellerin den Nachprüfungsantrag ein. Im Nachprüfungsverfahren war unter anderem strittig, ob der Beigeladenen aufgrund einer ursprünglich etwaig falsch beurteilten Referenz nachträglich die Eignung im Nachprüfungsverfahren überhaupt aberkannt werden kann.
2. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf
Nachdem die Antragstellerin in dem Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen war, stellt diese einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung (§ 173 Abs. 1 Satz 3 GWB) bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde § 173 Abs. 2 Satz 1 GWB, der allerdings vom Vergabesenat abgelehnt wird. Dabei führt dieser aus:
„Ein Wertungsausschluss des Angebots der Beigeladenen aufgrund der Vorlage einer die aufgestellten Anforderungen verfehlenden Referenz kommt nicht mehr in Betracht, nachdem die Antragsgegner die Eignung der Beigeladenen im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs bejaht und die Beigeladene zum Verhandlungsverfahren zugelassen hat (…). Im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb prüft der öffentliche Auftraggeber gemäß § 42 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 i.V.m. § 51 VgV die Eignung der am vorgeschalteten Wettbewerb teilnehmenden Unternehmen, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Dadurch wird mit der positiven Eignungsprüfung – anders als im offenen Verfahren – ein Vertrauenstatbestand für die zum Verhandlungsverfahren zugelassenen Unternehmen begründet, dass sie nicht damit rechnen müssen, der ihnen durch die Erstellung der Angebote und Teilnahme am Wettbewerb entstandene Aufwand könnte dadurch nachträglich nutzlos werden, dass der Auftraggeber ihre Eignung auf – wie hier – gleichbleibender tatsächlicher Grundlage später nochmals abweichend beurteilt (…).
Dass dieser Vertrauenstatbestand im Interesse einer fairen Risikoabgrenzung zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bieterunternehmen einer späteren Verneinung der Eignung auf gleichbleibender Tatsachengrundlage entgegensteht, ist ein letztlich in § 242 BGB wurzelnder Grundsatz, der allgemein gilt und nicht auf Bauvergabeverfahren beschränkt ist. In den Letzteren hat er mit § 16b EU Abs. 3 VOB/A 2019 lediglich eine ausdrückliche Regelung erfahren. Mitbieter im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb haben danach einen Vergaberechtsverstoß, der in der fehlerhaften Bejahung der Eignung eines Unternehmens am Ende des Teilnahmewettbewerbs liegt, ab der Begründung des Vertrauenstatbestands hinzunehmen (…).
Ob Ausnahmen von diesem Grundsatz dann zu gelten haben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die fehlerhafte Bejahung der Eignung auf sachfremden, manipulativen Erwägungen beruht, die mit den Grundsätzen des fairen Wettbewerbs und der Gleichbehandlung unvereinbar sind (…), kann dahinstehen. Hier ist dafür weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.“
3. Kurz zusammengefasst
Bei Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb gemäß VgV ist der öffentliche Auftraggeber an die Feststellung der Eignung im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs gebunden, soweit sich die Tatsachengrundlage seiner Entscheidung nicht im Nachhinein ändert. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht nur dann, wenn die fehlerhafte Bejahung der Eignung auf sachfremden oder manipulativen Erwägungen beruht.
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III. Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb gemäß VgV / SGB V
Der Entscheidung des Vergabesenats bei dem OLG Düsseldorf (Beschluss vom 27.04.2022, Verg 25 / 21) lag ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb im medizinischen Bereich im Rahmen eines Vertrages der Besonderen Versorgung nach § 140a Abs. 4a SGB V zu Grunde.
1. Der Sachverhalt
Gemäß Ausschreibungsbedingungen sollten die Bewerber ihre Eignung und Leistungsfähigkeit bezüglich der Organisation, Administration und Durchführung durch nach Art und Größe vergleichbare Referenzprojekte für gesetzlich Krankenversicherte in den letzten fünf Jahren nachweisen. Etwaige Verpflichtungserklärungen von Nachunternehmern sollten nicht bis zum Ende der Teilnahmefrist, sondern bis zum Ende der Angebotsfrist vorgelegt werden.
Die Antragstellerin und die Beigeladene reichten nach erfolgreichem Teilnahmeantrag und unverbindlichem Erstangebot jeweils fristgerecht ein verbindliches Angebot ein. Nachdem die Vergabestelle im Rahmen der Vorabinformation darüber informiert hatte, dass der Zuschlag der Beigeladenen erteilt werden solle, reichte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag ein.
Zu dessen Begründung trug sie unter anderem vor, die Beigeladene sei auszuschließen, da sie nicht geeignet sei. Nachdem der Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer keinen Erfolg hatte, legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde bei dem Vergabesenat ein.
2. Der Beschluss
Nach Ansicht des Vergabesenats hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zu Recht zurückgewiesen. Der zulässige Nachprüfungsantrag sei überwiegend unbegründet.
Dabei widmet sich der Vergabesenat zunächst der Frage, ob die Antragstellerin nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gehindert sei, die fehlende Eignung der Beigeladenen geltend zu machen. Schließlich habe die Vergabestelle die Beigeladene nach vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zum Verhandlungsverfahren zugelassen und zur Angebotsabgabe aufgefordert.
Hierdurch sei aber kein Vertrauenstatbestand zugunsten der Beigeladenen dahingehend begründet worden, dass ihre Eignung (abschließend) bejaht worden sei und nachträglich nicht anders beurteilt werden könne. Nach Ansicht des Vergabesenats könne ein solcher Vertrauenstatbestand nur dann begründet werden, wenn der öffentliche Auftraggeber die Eignung der Bewerber abschließend bejaht habe, bevor er sie zum Verhandlungsverfahren zulässt. Hieran fehle es folglich, wenn der Bieter – so wie hier – bis zum Abschluss des Teilnahmewettbewerbs nicht alle zur abschließenden Prüfung seiner Eignung erforderlichen Unterlagen eingereicht habe. Wer wisse, dass dem öffentlichen Auftraggeber im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung zum Verhandlungsverfahren die Grundlage für eine abschließende Prüfung seiner Eignung fehle, könne legitimerweise kein Vertrauen in die Beurteilung seiner Eignung haben.
Vorliegend habe die Beigeladene die Verpflichtungserklärung ihrer Eignungsleihgeberin erst im Rahmen des Verhandlungsverfahrens mit ihrem Angebot vorgelegt. Soweit nach § 42 Abs. 2 VgV bei Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nur solche Bewerber zur Abgabe eines Angebots aufzufordern seien, die ihre Eignung – vollständig – nachgewiesen hätten, könne hiervon nach § 69 Abs. 4 Satz 3 SGB V bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge nach 140a SGB V abgewichen werden, was vorliegend geschehen sei.
Insofern könne aufgrund der Besonderheiten des Vergabeverfahrens gemäß SGB V mangels abschließender Eignungsprüfung auch kein Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Eignungsfeststellung erwachsen. Letztlich könne in diesem speziellen Fall die einmal erklärte Eignung auch wieder abgesprochen werden.
Letztlich sei dies vorliegend aber nicht erforderlich, weil sämtliche geforderten Nachweise fristgerecht vorlagen.
3. Kurz zusammengefasst
In Vergabeverfahren gemäß SGB V kann es Abweichungen zur VgV geben, die wiederum Auswirkungen auf den Vertrauenstatbestand „positive Eignungsfeststellung“ haben. Nur bei abgeschlossener Eignungsprüfung kann der betreffende Bieter darauf vertrauen, dass diese später nicht mehr revidiert wird.
IV. Hinweise für die Praxis
Die vorstehenden Beschlüsse verdeutlichen einmal mehr die Wichtigkeit der ordnungsgemäßen Eignungsprüfung. In den Verfahren mit Teilnahmewettbewerb können falsche positive Eignungsfeststellungen bei gleicher Tatsachengrundlage später nur dann revidiert werden, wenn es sich um zwingende Ausschlussgründe handelt, oder die Eignungsfeststellung aufgrund sachfremder oder diskriminierender Erwägungen erfolgt ist.
Für die sich an das Vergabeverfahren anschließende Leistungsphase ist es eine schlechte Weichenstellung, wenn an Unternehmen festgehalten werden muss, deren Eignung fälschlicherweise bejaht wurde. Ein Argument mehr, die Eignungsprüfung sorgfältig und sachkundig durchzuführen.
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