Vergaberecht

Im Regelfall endet ein Vergabeverfahren mit dem Zuschlag. Der Vertrag ist durch die Annahme des Angebotes zustande gekommen. Doch wie ist damit umzugehen, wenn ein Bieter in einem förmlichen Vergabeverfahren gebeten wird, eine Vertragsausfertigung, die nicht Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen war, umgehend unterzeichnet zurückzusenden?

Der Zivilsenat bei dem OLG Celle hat das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages in dieser Konstellation unlängst verneint (Urteil vom 29.12.2022, 13 U 3 / 22) mit weitreichenden praktischen und finanziellen Folgen für den Auftraggeber. 1

I. Der Sachverhalt

Der Kläger, das Bundesland Niedersachsen, schrieb zunächst einen Auftrag zur Durchführung von Sicherheitskontrollen auf einem Verkehrsflughafen EU-weit aus.

Mit Zuschlagsschreiben vom 17. März 2015 erklärte der Kläger, dass der Beklagten der Zuschlag erteilt werde. Sie forderte die Beklagte auf, „mit der Ausführung der Leistung ab dem 01.04.2015 zu beginnen.“

Weiter heißt es:

Sie werden gebeten, umgehend die anliegenden Schriftstücke unterzeichnet zurück zu senden:

  • Eine Ausfertigung des Vertrags mitsamt Anlagen
  • Mitteilung über die Projektleitung

Dem per Einschreiben an die Beklagten übersandten Zuschlagsschreiben waren – wie in dem Kopf des Schreibens angegeben – unter anderem zwei Vertragsausfertigungen nebst jeweils drei Anlagen beigefügt. Das Schreiben war zudem „vorab per Fax“ übersandt worden. Der Faxsendung waren die Anlagen noch nicht beigefügt. Der Vertragsentwurf war nicht Bestandteil der Ausschreibungsunterlagen; die Beklagten erhielten diesen erstmals mit dem Zuschlagsschreiben.

Die Beklagte kam der Bitte um Unterzeichnung der Vertragsausfertigungen nicht nach. Im Folgenden kam es zu Unstimmigkeiten über einen von der Beklagten gewünschten Vertragszusatz. Mit E-Mail vom 26. März 2015 bat der Kläger, den unterzeichneten Vertrag umgehend zurückzugeben und die Arbeiten vertragsgemäß am 1. April 2015 vor Ort aufzunehmen. Nachdem die Beklagte die Unterzeichnung des „Vertragsvorschlags“ ablehnte, erklärte der Kläger mit Schreiben vom 27. März 2015, nach Rücksprache mit seiner Rechtsabteilung und der Geschäftsleitung sei eine Unterzeichnung des Vertrages nicht zwingend notwendig, es sei bereits ein Vertrag auf der Grundlage des Angebots zustande gekommen. Die Beklagte erwiderte mit E-Mail vom gleichen Tag, dass nach ihrer Auffassung kein Vertrag zustande gekommen sei.

Daraufhin beauftragte der Kläger die Durchführung der Sicherheitskontrollen anderweitig. Die Mehrkosten in Höhe von knapp einer halben Million Euro forderte er als Schadensersatz von der Beklagten.

Zentrale Frage des Rechtsstreits war, ob zwischen dem Kläger und der Beklagten überhaupt ein wirksamer Vertrag zustande gekommen war.

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II. Die Entscheidung

Der Zivilsenat sieht keine Grundlage für einen entsprechenden Schadensersatzanspruch, weil kein wirksamer Vertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten zu Stande gekommen ist (§ 280 BGB). Es mangele an einer wirksamen Annahme des Angebots der Beklagten. Dabei führt der Zivilsenat grundsätzlich aus:

Die Annahme sei eine empfangsbedürftige Willenserklärung, deren Inhalt die vorbehaltlose Akzeptanz des Antrags zum Ausdruck bringen muss. Ob eine dahingehende Willenserklärung vorliege, sei in Zweifelsfällen durch Auslegung nach dem Empfängerverständnis zu ermitteln. Werde das Vertragsangebot dagegen unter Änderungen angenommen, handele es sich nicht um eine Annahme, sondern um ein neues Angebot (§ 150 Abs. 2 BGB).

Grundlage der Auslegung der Willenserklärung des Klägers sei sein vollständiges Zuschlagsschreiben mit Anlagen. Die abgegebene Willenserklärung wurde erst wirksam, als der Beklagten das Zuschlagsschreiben vollständig – mit Anlagen – per Post zuging (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB).

1. Exkurs: Unbeachtlichkeit des Zuschlags-Faxes

Das „Vorab“ versendete Fax stelle kein wirksames Zuschlagsschreiben dar, weil es aus der maßgeblichen Sicht der Beklagten noch nicht vollständig übersandt worden war. Dem Fax seien die erwähnten Anlagen nicht beigefügt gewesen. Die Anlagen seien aber Bestandteil des Zuschlagsschreibens; die Beklagte habe ohne die ihr unbekannte Vertragsausfertigung nicht beurteilen können, mit welchem Inhalt nach dem Willen des Klägers ein Vertrag zu Stande kommen solle und wie die Bitte um Rücksendung einer unterzeichneten Vertragsausfertigung in diesem Zusammenhang zu verstehen sei.

Auch der auf dem Schreiben angebrachte Vermerk „vorab per Fax“ verdeutliche aus der Sicht der Beklagten, dass das per Einschreiben mit den Anlagen übersandte Original des Zuschlagsschreibens die maßgebliche Willenserklärung darstellen soll. Das ohne die Vertragsausfertigung übersandte Fax diene lediglich der Vorabinformation über die Zuschlagserteilung.

2. Keine unveränderte Annahme des Angebots

Mit dem Zuschlagsschreiben habe der Kläger das Angebot der Beklagten nicht unverändert angenommen, sondern gemäß § 150 Abs. 2 BGB ein neues Angebot mit dem Inhalt der übersandten Vertragsausfertigung erteilt.

Der Vertragsentwurf weiche von dem auf den Ausschreibungsunterlagen beruhenden Angebot der Beklagten ab, was der Vergabesenat an verschiedenen Details erläutert. Dass der Kläger die Abweichungen in den vom Senat beispielhaft aufgeführten Regelungen als geringfügig ansehe, ändere nichts an der Beurteilung. Soweit die Annahmeerklärung eine inhaltliche Änderung darstelle, sei deren Art und Ausmaß unerheblich.

Mit der Bitte um umgehende Rücksendung der unterzeichneten Vertragsausfertigung habe der Kläger unmissverständlich seinen Willen zum Ausdruck gebracht, dass der Vertrag mit dem Inhalt dieses Vertragsentwurfs zustande kommen soll.

3. Auslegungsbedürftig aus Sicht der Beklagten

Auslegungsbedürftig war aus Sicht der Beklagten lediglich, was nach dem Willen des Klägers gelten sollte, wenn die Beklagte den angebotenen Vertrag nicht akzeptiert.

Auch hier stellt der Zivilsenat zunächst auf den Grundsatz ab: Bei einer Annahme mit Änderungen handele es sich nur dann ausnahmsweise nicht um ein neues Angebot im Sinne des § 150 Abs. 2 BGB, wenn deutlich werde, dass nur unverbindliche Änderungswünsche geäußert wurden und der Vertrag unabhängig von deren Erfüllung zustande kommen soll. Nur in einem solchen Fall handele es sich um eine Annahme des ursprünglichen Antrags, der mit dem Angebot zur Vertragsergänzung oder -änderung verbunden wird.

Vorliegend sei weder dem Zuschlagsschreiben noch dem Vertragsentwurf zu entnehmen, dass es sich lediglich um einen optionalen Änderungsvertrag zu einem bereits mit dem Zuschlag zustande gekommenen Vertrag handeln solle. Schon nach seinem Wortlaut und äußeren Bild handele es sich nicht lediglich um einen Änderungsvertrag.

Aus Sicht eines verständigen Bieters liege es vielmehr auf der Hand, dass die Vergabestelle nicht ohne gewichtigen Grund einen derartigen Vertragsentwurf „nachschiebt“, der nicht Bestandteil der Ausschreibung war. Es dränge sich aus Sicht eines Bieters das Verständnis auf, dass der Vertrag nach dem Willen des Klägers nur zu den Bedingungen des übersandten Vertragsentwurfs zustande kommen sollte.

4. Im Ergebnis

Mangels wirksamer Bezuschlagung beziehungsweise Annahme eines Angebotes kam kein wirksamer Vertrag zustande. Der Schadenersatzanspruch in Höhe von knapp einer halben Million Euro ist nicht begründet.

Von Praktikern, für Praktiker: Die cosinex Akademie

III. Hinweise für die Praxis

Eine abändernde Bezuschlagung stellt ein neues Angebot des Auftraggebers dar, welches der Bieter annehmen muss. Für den Nichtjuristen vielleicht nicht ganz verständlich, verändern sich deshalb die Rollen: Die abändernde Annahme ist dann formaljuristisch ein neues Angebot des Auftraggebers, welches er dem Bieter macht. Der Auftraggeber wandelt sich damit zum Anbietenden.

Lehnt der ursprüngliche Bieter dieses Angebot des Auftraggebers ab, kann der Auftraggeber als Rückfallposition nicht auf das ursprüngliche Angebot des Bieters zurückgreifen und dann dieses bezuschlagen. Denn mit dem neuen Angebot des Auftraggebers gilt das ursprüngliche Angebot des Bieters gemäß § 150 Abs. 2 BGB als abgelehnt. § 150 Abs. 2 BGB ist hier eindeutig formuliert: „Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag.

Daher erlosch es gemäß § 146 BGB, sodass es nicht mehr durch eine nachfolgende Erklärung des Auftraggebers angenommen werden kann. Dann bleibt dem Auftraggeber nichts anderes übrig, als ein neues Vergabeverfahren durchzuführen.

Ungeachtet der vergaberechtlichen Unzulässigkeit sollten abändernde Bezuschlagungen aus den geschilderten zivilrechtlichen Gründen unbedingt vermieden werden.

Bildquelle: p365.de – Fotolia.com

Fussnoten

  1. Anmerkung: Der nachfolgende Sachverhalt wird hinsichtlich der Anzahl der Beklagten und Beteiligten an dem Rechtsstreit vereinfachend dargestellt.