Im Dezember haben die Bundesministerien für Wirtschaft sowie für Arbeit und Soziales eine öffentliche Konsultation zur Bindung der Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung von Tarifverträgen (Bundestariftreue) durchgeführt – das cosinex Blog berichtete. Die insgesamt 65 eingegangenen Stellungnahmen liegen inzwischen online vor.
Neben den großen Interessenvertretungen der Tarifparteien, deren Teilnahme zu erwarten war, haben sich auch diverse Branchenverbände, Unternehmen und auch Einzelpersonen an der Konsultation beteiligt. In ihrer Gesamtheit bilden die Stellungnahmen die vergabe- wie tarifrechtliche Komplexität des Vorhabens sehr gut ab. Wir nehmen daher einzelne Stellungnahmen und die sich abzeichnenden Konfliktlinien in den Blick.
Stärkung von Tarifverträgen vs. negative Koalitionsfreiheit
Der zu erwartende Grundkonflikt lässt sich im Vergleich der gewerkschaftlichen Stellungnahmen mit denen der Arbeitgeberverbände skizzieren. Während die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit einer Tariftreueregelung für Vergaben des Bundes eine Stärkung von Tarifverträgen und des gesamten Tarifsystems erwartet („Der Anreiz für Marktteilnehmer, sich Tarifverhandlungen zu verweigern und OT-Mitgliedschaften einzugehen, würde entfallen.“), wird arbeitgeberseitig – etwa durch den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) – vor einem Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit gewarnt.
Die Vergabepraxis würde aus Unternehmenssicht verkompliziert und verteuert, so der Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie, was insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen beträfe. Dem schließt sich der Zentralverband des Deutschen Handwerks an, der den faktischen Ausschluss von Klein- und Kleinstbetrieben, wie sie im Handwerk vorherrschend sind, von Vergabeverfahren befürchtet.
Welcher Tarifvertrag soll gelten?
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sieht auch praktische Probleme: So sei bereits fraglich, welcher Tarifvertrag für die vergaberechtliche Tariftreue maßgeblich sein soll: „In zahlreichen Branchen gibt es mehrere konkurrierende Tarifverträge, auch gibt es regionale Unterschiede. Hinzu kommen Haustarifverträge.“
Ein Einwand, dem der Deutsche Gewerkschaftsbund in seiner Stellungnahme begegnet: Grundlage der Auftragsvergabe müsse die Einhaltung des in seinem Geltungs- und im Ausschreibungsbereich maßgeblichen Tarifvertrags sein. Dies seien in der Regel Flächentarifverträge: Für Fälle, in denen Haustarifverträge als maßgeblich für eine Branche angesehen werden und mehrere Betriebsstandorte betreffen, müssten aus Sicht des DGB auch Haustarifverträge zur Anwendung kommen.
Sektorenauftraggeber einbeziehen?
Ein weiteres Konfliktfeld scheint sich in der Definition des Öffentlichen Auftraggebers zu entfalten. Die gewerkschaftlichen Stellungnahmen von verdi und DGB betonen ausdrücklich § 99 GWB, wonach auch Sektorenauftraggeber sowie Konzessionsgeber hinzuzuzählen seien. Zum Anwendungsbereich seien auch Unternehmen zu zählen, „an denen der Bund mehrheitlich beteiligt ist beziehungsweise diese finanziell fördert sowie nachgeordnete Behörden des Bundes“.
Ein in diesem Fall möglicherweise betroffenes Unternehmen, die Deutsche Bahn AG, hat selbst eine Stellungnahme eingereicht. Darin warnt sie vor möglichen Wettbewerbsverzerrungen, die aus dem Konkurrenzverhältnis zwischen Sektorenauftraggebern des Bundes und anderen Unternehmen entstehen könnten. Auch das Konkurrenzverhältnis von Landes- und Bundestariftreueregelungen wird kritisch hinterfragt.
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Kernziel des Vergaberechts verfehlt?
Eine dezidiert vergaberechtliche Einschätzung hat die Auftragsberatungsstelle Baden-Württemberg bei der IHK Region Stuttgart durchgeführt. Sie äußert Zweifel daran, ob das Kernziel des Vergaberechts, „nämlich das Erzielen günstiger Preise durch die Schaffung von mehr Wettbewerb“, mit einer Tariftreueregelung noch erreicht werden könnte. Als schwierig könne es sich gestalten, den für die konkrete Ausschreibung auszuwählenden Tarifvertrag zu bestimmen.
Für nicht tarifgebundene Betriebe sei überdies erhebliche Bürokratie zu erwarten, etwa wenn andere Regelungen beim Einsatz von Mitarbeitenden im Rahmen von öffentlichen Aufträgen Anwendung finden als bei Mitarbeitenden, die im Rahmen der Erfüllung von Verträgen mit der Privatwirtschaft eingesetzt werden.
Mit der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales hat sich auch eine Landesbehörde in die Konsultation eingebracht, die zudem bereits über Erfahrungen mit Tariftreueregelungen im Vergabebereich verfügt. Sie empfiehlt unter anderem, aus den möglichen tariflichen Arbeitsbedingungen lediglich solche in eine mögliche Tariftreueregelung einzubeziehen, die dem Verhältnis Leistung/Gegenleistung unmittelbar zuzuordnen sind, also Entgelt, Zulagen und Zuschläge. Arbeitszeit und Urlaub wären demnach entbehrlich. Dies würde auch zu Bürokratiearmut und zur praktischen Handhabbarkeit beitragen.
Die einzelnen Stellungnahmen zur Bundes-Tariftreue
Links verweisen auf die vom BMWK bereitgestellten PDF-Dateien.
- Abwasserzweckverband Naumburg
- Agentur für Innovation in der Cybersicherheit GmbH
- Angermann, Udo (Privatperson)
- Arbeitgeber*innenverband Beschäftigung, Bildung und Beratung in Berlin e. V. (AGV 4B)
- Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband AGV MOVE
- Arbeitnehmerkammer Bremen
- ASW Bundesverband
- Atlas Elektronik GmbH (privates Unternehmen)
- Betriebsrat Berufsförderungswerk Eckert gGmbH, Manfred Petsch (privates Unternehmen)
- bfz gGmbH, Ulrich Stuber (privates Unternehmen)
- Bleck & Söhne Hoch- & Tiefbau GmbH & Co. KG
- BSU Holding GmbH, Heiko Ludwig (privates Unternehmen)
- Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Referat A 4
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V.
- Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) e.V.
- Bundesarchitektenkammer
- Bundesingenieurkammer
- Bundesverband Briefdienste e.V.
- Bundesverband der Sicherheitswirtschaft BDSW
- Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (Bildungsverband) e.V.
- Bundesverband Möbelspedition und Logistik (AMÖ) e.V.
- Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung (BVSE) e.V.
- Combé Anlagenbau GmbH (privates Unternehmen)
- Der Mittelstand, BVMW e.V.
- Deutsche Bahn AG
- Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
- Deutscher Gewerkschaftsbund DGB Bundesvorstand
- Deutscher Industrie- und Handelskammertag
- Die Familienunternehmer Verband
- Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft
- Frisch & Faust Tiefbau GmbH (privates Unternehmen)
- GEPARD Bauunternehmen GmbH (privates Unternehmen)
- Gerlach, Peter (Privat)
- Gesamtverband der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie e.V.
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
- Handwerkskammer Hamburg
- Hauptverband der Deutschen Bauindustrie e.V.
- Henning & Quade Berlin GmbH & Co. KG, Volker Schultz (privates Unternehmen)
- Huber + Jente GmbH (privates Unternehmen)
- IGBAU Bundesvorstand
- IHK Auftragsberatungsstelle Baden-Württemberg
- Institut Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg-Essen
- Internationaler Bund
- K. Peter Malhlo & Sohn Baugesellschaft mbH (privates Unternehmen)
- K.Schönebeck & Sohn Bauausführungs-GmbH, Matthias Schönebeck (privates Unternehmen)
- Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalen e.V.
- Lange (Privat)
- Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH
- Märkische Projekt Bau GmbH (privates Unternehmen)
- MRA GmbH (privates Unternehmen)
- Nemski, Willi (privates Unternehmen)
- Otto Wöltinger GmbH & Co. KG (privates Unternehmen)
- Rausch Straßen- und Tiefbau GmbH (privates Unternehmen)
- Schulze & Diemer Tief-u. Rohrleitungsbau (privates Unternehmen)
- Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales – Berlin
- TK Elevator/TK Aufzüge GmbH (privates Unternehmen)
- Tschunko, Jessica (privat)
- Ver.di, Bereich Kunst und Kultur
- Verband Deutscher Maschinen- & Anlagenbau (VDMA) e.V.
- Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Ver.di
- VOICE – Bundesverband der IT-Anwender e.V.
- Wollmann & Partner Rechtsanwälte
- Wuppertaler Kreis e.V. – Bundesverband betriebliche Weiterbildung
- Zentralverband des Deutschen Handwerks
- Zentralverband Deutsches Baugewerbe
Titelbild: A.Savin (Wikimedia Commons · WikiPhotoSpace), FAL, via Wikimedia Commons